"Integration leben anstatt darüber zu sprechen"
Wie gelingt das Miteinander? Wir zeigen Beispiele in den Vierteln
Alle reden von "Integration" - aber wo gelingt sie? Die Münchner Wochenanzeiger stellen Beispiele vor, wie das Zusammenleben funktioniert. Und das tut es in München, der Großstadt mit dem höchsten Anteil an Bürgern mit "Migrationshintergrund", sehr gut. Ob Flüchtlinge und hier Geborene, junge Menschen und Senioren, Behinderte und nicht Behinderte, Arme und Reiche: Alle gehören zusammen. Dazu leisten Vereine und bürgerschaftlich Engagierte, die vor Ort anpacken, unverzichtbare Beiträge.
"Der perfekte Ort"
Michael Franke, 1. Vorsitzender der FT München-Gern e.V., meint:
"Der perfekte Ort für praktizierte Integration sind die Sportvereine. Dort wird Integration nicht totdiskutiert, sondern ganz einfach gelebt. Dies gilt vor allem für Mannschaftssportarten. Dort agieren Menschen unabhängig von der Muttersprache, der Religion, dem Geschlecht, dem Lebensalter, der sexuellen Ausrichtung, oder auch vom sozialen Hintergrund gemeinsam und engagieren sich für ihr verbindendes sportliches Hobby.
Dies wirkt sich ganz speziell im Mannschaftssport aus, der zudem verschiedenste Ebenen der gelebten Integration bietet. Egal ob als aktiver Sportler, Trainer oder auch Funktionär. Es bieten sich in den Vereinen verschiedenste Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe.
In unserem Verein, der FT Gern, spielen Kinder, Jugendliche, Erwachsene aber auch Senioren aus über 25 Nationen im Alter von 5 bis 65 in 30 Teams gemeinsam Fußball. Von 54 ehrenamtlichen Jugendtrainern haben 13 einen Migrationshintergrund und übernehmen so eine besondere Rolle als Vorbilder und Bezugspersonen. Eine besondere Qualität erhält dies, wenn Jugendliche die Verantwortung als Trainer von Kindern übernehmen.
"Fairer Umgang miteinander"
In Vereinen wie der FT Gern erhalten vor allem auch Kinder aus prekären sozialen Verhältnissen, und diese ziehen sich quer durch unsere Gesellschaft, eine Heimat und soziale Einbindung in ein System, in dem Werte wie Zuverlässigkeit und fairer Umgang miteinander gelebt werden. Hier treffen sich Menschen aller sozialer Schichten, aller Generationen, aller religiöser Ausrichtungen und entwickeln auf der gemeinsamen Basis Sport Verständnis und Sympathie für einander.
Leider platzen gerade die Sportvereine im Stadtgebiet München aus allen Nähten. Und gerade das prognostizierte Bevölkerungswachstum Münchens innerhalb der Stadtgrenzen läßt befürchten, dass vielen Kindern und Jugendliche gerade diese unglaublich tolle Möglichkeit ein wichtiger akzeptierter Teil der Gesellschaft zu werden verwehrt bleibt, weil die Vereine keine Kapazitäten mehr haben. Und das ist ein sozialpolitischer Skandal und Offenbarungseid. Hier wird die Chance verschenkt, soziale Probleme bereits präventiv an der Wurzel zu packen. Die Politik ist gefordert. Handeln statt Reden wäre angesagt."
"Patenschaften entstehen"
Stephan Theo Reichel, Berater und Koordinator Kirchenasyl Bayern, verweist auf die Arbeit im Rahmen Kirchenasyl:
"In den in München und anderswo für besondere Notfälle gewährten Kirchenasylen wird die Zeit genutzt, um intensiv Sprachunterricht, Integrationsschulung und Ausbildungsvorbereitung zu leisten. Dazu entstehen intensive, oft freundschaftliche Kontakte und Patenschaften, die auch nach dem Kirchenasyl weitergehen. Ein Beispiel ist eine afghanische Familie, die jetzt im Allgäu lebt, und die ich dort weiter betreue."
"Mitbewohner unterstützen sich"
Von Menschen mit und ohne Behinderung erzählt Rudi Sack (Geschäftsführer des Vereins Gemeinsam Leben Lernen):
"Unser Verein betreibt nun schon seit mehr als 25 Jahren Wohngemeinschaften, in denen Menschen mit geistiger Behinderung zusammen mit nicht behinderten jungen Menschen (in der Regel Studierende) leben. Es sind jeweils neun Menschen, die in einer WG zusammenleben, davon haben fünf eine Behinderung. Die jungen Menschen ohne Behinderung unterstützen ihre Mitbewohner im Alltag und leben als Gegenleistung für ihre ehrenamtliche Mitarbeit in der WG mietfrei. Wir sind stolz darauf, dass diese Form des solidarischen Zusammenlebens sehr gut funktioniert. Unsere erste WG dieser Art wurde 1989 in Neuhausen eröffnet, weitere 1996 in Großhadern, 2005 Am Hart, 2006 in Riem, 2010 in Gröbenzell, 2014 in Gräfelfing und nun in den nächsten Wochen unser neuestes Projekt in Freimann."
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