„Heute können wir eine hohe Lebensqualität erzielen“
Diagnose Parkinson: Wie geht es weiter?
Stellen Sie sich vor, Ihr Körper gehorcht Ihnen nicht mehr: Sie verlieren das Gleichgewicht und fallen unkontrolliert um. Sie möchten nach einem Gegenstand greifen, erstarren jedoch in der Bewegung. Sie sind durstig, doch Ihre Hände zittern so sehr, dass ein Schluck Wasser zu einer großen Herausforderung wird. So – ähnlich oder in vielen weiteren Ausprägungen – geht es Menschen, die an Parkinson erkrankt sind. Sie wissen, wie schwer der Alltag mit verlangsamten Bewegungsabläufen, Muskelsteifigkeit, Zittern und gestörter Haltungsstabilität zu bewältigen ist – und das oft unter den Augen der Öffentlichkeit. Neugierige, befremdete oder abschätzige Blicke der Mitmenschen sind da leider keine Seltenheit.
„Viele Namen – eine Erkrankung“
Deutschlandweit leiden mehr als 250.000 Menschen an der neurodegenerativen Krankheit, welche die Nervenzellen im Gehirn angreift. Die Ursache ist ein Mangel an Dopamin, einem Botenstoff des zentralen Nervensystems, im Volksmund auch bekannt als „Glückshormon“. Vereinfacht ausgedrückt: Parkinson ist ein langsam fortschreitender Verlust bestimmter Nervenzellen, welche für die Kontrolle von Körperbewegungen zuständig sind. Der Mangel an Dopamin kann u.a. zu Symptomen wie Zittern, Sprechschwierigkeiten und Muskelsteifheit in den Extremitäten führen.
Morbus Parkinson, Idiopathisches Parkinson-Syndrom, Paralysis agitans, Schüttellähmung oder Shaking Palsy: So umfangreich wie die Symptome der Erkrankung sind auch die parallel verwendeten Bezeichnungen, auch wenn genaugenommen mit den Begriffen andere Erkrankungen benannt werden. Die Feinheiten zu unterscheiden, obliegt den Medizinern. „Viele Namen – eine Erkrankung“, heißt es von Seiten der Deutschen Parkinson Vereinigung e.V., einer Selbsthilfevereinigung, die 1981 von Betroffenen mit dem Ziel gegründet worden ist, die Lebensumstände von Parkinson-Patienten und deren Partnern zu verbessern.
„Zweithäufigste degenerative Erkrankung“
„Nach Demenz ist Parkinson die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung in Europa“, sagt Professor Dr. Johannes Levin. Der Facharzt arbeitet seit 2006 am Klinikum der Universität München in der Neurologischen Klinik und ist seit 2018 stellvertretender Leiter der klinischen Forschung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, Standort München.
Die Ursache der Erkrankung ist im Detail nicht vollständig geklärt: „Parkinson kann man nicht kausal behandeln, man kann aber die Symptome lindern“, so Prof. Dr. Levin. „Die Therapien, die wir zur Verfügung haben, sind rein symptomatisch. Das bedeutet, sie helfen, den Zustand des Patienten zu verbessern: Wie er sich fühlt, wie er funktioniert. Sie sind aber nicht dafür geeignet, dass Nervenzellen länger überleben.“
Die Vielfalt der Symptome
Vom Parkinson-Syndrom sind Männer ein bisschen häufiger betroffen als Frauen. Das Alter bei der Diagnose beträgt im Schnitt 60 Jahre. In seltenen Fällen manifestiert sich das Syndrom bereits vor dem 40. Lebensjahr. Neben den oben beschriebenen Hauptsymptomen können eine Reihe von unterschiedlich ausgeprägten Begleitsymptomen auftreten; darunter Depression, Angstzustände, Vergesslichkeit, Schlafstörungen, Kreislaufprobleme, Verstopfung, übermäßiges Schwitzen sowie Störungen der Sinneswahrnehmungen und Empfindungen. All dies sind Beschwerden, die nicht gleich zum Neurologen führen und eine schnelle und genaue Diagnose häufig erschweren. Auch an bestimmten Blutwerten kann die Krankheit nicht nachgewiesen werden, sodass Betroffene nicht selten eine Odyssee an Arztbesuchen durchleben. Bei Unklarheit sollte daher ein Neurologe aufgesucht werden.
„Es wird eine umfassende Anamnese erstellt“
„Bei Verdacht auf Parkinson wird der Patient sehr im Detail untersucht, es wird eine umfassende Anamnese erstellt“, sagt Professor Dr. Johannes Levin. „Als erstes werden Auffälligkeiten in der Motorik überprüft. Am besten werden bereits Bilder vom Kopf (Magnetresonanztomographie, Anmerkung der Redaktion) mitgebracht, einfach auch, um andere Krankheiten auszuschließen, zum Beispiel gefäßbedingte Veränderungen, die die Motorik stören könnten.“
Um Gewissheit zu schaffen, wird ein Medikament verabreicht und die Motorik nach Einnahme nochmals getestet. „Haben sich die Symptome gelindert, kann man von Parkinson ausgehen. Bestehen dann immer noch Zweifel, kann auch auf weitere molekulare Diagnostik zurückgegriffen werden“, beschreibt der Facharzt.
Keine Heilung möglich
Nach der Diagnose erfolge eine genau auf den Erkrankten und seine Symptome abgestimmte Medikation: „Die Therapie mit L-Dopa war Anfang der 1960er-Jahre ein wesentlicher Durchbruch und wird immer noch angewendet“, so Professor Levin. „Seit den 90er Jahren gibt es zusätzlich zu Medikamenten auch die neurochirurgische Methode der Tiefen Hirnstimulation.“ Dabei werden feine Elektroden in den betroffenen Bereich des Gehirns gepflanzt werden. Das kommt erst zum Einsatz, wenn die Medikamente die motorischen Störungen nicht mehr ausgleichen können. Der Eingriff eignet sich somit nicht für jeden. Es werde auf diesem Gebiet viel geforscht, aber „im Wesentlichen behandelt man Parkinson so wie auch schon vor 20 Jahren“.
„Es wird viel Hokuspokus betrieben“
Im Internet stellt sich häufig die Frage, ob eine spezielle Ernährung, Diäten oder alternativen Therapien den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen können. Professor Levin warnt: „Es gibt einen ziemlichen Hokuspokus, der betrieben wird – was eben leider in der Natur der Sache bei unheilbaren Krankheiten liegt. Manche Menschen und Firmen versuchen, sich an der Verunsicherung und Angst der Menschen zu bereichern. Das sollte man bei kostspieligen Diäten und Alternativtherapien immer im Hinterkopf haben.“
In Deutschland müsse sich prinzipiell kein Parkinson-Patient Sorgen um die ärztliche und medikamentöse Versorgung machen. Der Rat des Neurologen: „Alles, was der Krankheit entgegenwirkt, wird in der Regel von der Krankenkasse übernommen. Ist dies nicht der Fall, hat die Substanz häufig keinen nachweislich positiven Effekt. Dann sollte man das Verfahren als Patient hinterfragen.“ Neben der Medikation rät er zu integrativen Therapieformen wie Physiotherapie und Logopädie, um Beweglichkeit und Sprache zu fördern.
„Wesentlicher Teil des ärztlichen Gesprächs“
Eine große Rolle spiele bei Parkinson-Erkrankten auch die Psyche, denn ein Mensch, der schleichend seine Motorik und damit die Selbstständigkeit verliert, leidet stark darunter: „Die Stimmung des Patienten ist selbstverständlich ein wesentlicher Teil des ärztlichen Gesprächs. Als Ärzte steuern wir aber in erster Linie medikamentöse Therapien und behalten dabei die Stimmungsschwankungen des Erkrankten im Auge. Eine tiefgründige psychologische Unterstützung können wir bei einer ambulanten Behandlung in unser Klinik jedoch nicht bieten“, sagt Prof. Dr. Levin. „Wir sind mit entsprechenden Einrichtungen des Fachgebiets Psychologie, in denen die Patienten seelisch umfangreicher betreut werden können, gut vernetzt und vermitteln gerne dorthin weiter.“ Auch Selbsthilfegruppen seien eine gute Anlaufstelle, um sich mit Betroffenen und deren Angehörigen auszutauschen.
Ob Parkinson jemals geheilt werden kann? Professor Levin ist optimistisch: „Das bleibt aktuell noch Zukunftsmusik, aber es gibt viele extrem vielversprechende Ansätze, die auf dem immer besser werdenden molekularen Verständnis der Erkrankung basieren. Heute schon können wir durch die symptomatische Medikation in den ersten zehn Jahren für die meisten Patienten eine hohe Selbstständigkeit und Lebensqualität schaffen. Bei der Behandlung ist das immer unser primäres Ziel.“
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