"Gute Erziehung und Bildung haben ihren Preis"
Waltraud Lucic über Diskrepanz in Schulen - und wie sie überwindbar wird
Schulen sind entscheidend für die Integration junger Migranten. In Übergangsklassen kümmern sich viele Lehrer sich mit großem Einsatz um Schüler aus anderen Ländern. Die Münchner Wochenanzeiger haben in den vergangenen Wochen einige solcher Projekte vorgestellt. Doch auch für die hier geborenen Kinder ist Schule ein Lebensmittelpunkt. Schule scheint indes mehr und mehr gesellschaftliche Probleme und Entwicklungen auffangen zu müssen. Ein Beispiel: Der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrer-Verband (BLLV) organisiert mit anderen zusammen in vielen Schulen ein Frühstück für hungrige Kinder.
Aufgabe des Elternhauses, aber ...
"Ich sehe hier eine Diskrepanz", sagt BLLV-Vizepräsidentin Waltraud Lucic, "dass Kinder ein Frühstück erhalten ist wirklich Aufgabe des Elternhauses. Trotzdem: Ich kann nicht zusehen, wie Kinder hungrig in die Schule kommen." Sie verweist auf die Kinderrechte und das Diskriminierungsverbot: Jedes Kind ist gleich viel wert. Es spielt keine Rolle, welchen kulturellen oder sozioökonomischen Hintergrund das Kind hat. Gleich welche Hautfarbe, welche Sprache, welche Religion, ob mit Handicap oder hochbegabt.
Erzieher besser bezahlen
"Die Herausforderung in unserer Zeit liegt darin, dennoch bestehende Diskrepanzen auszugleichen um die Benachteiligten zu unterstützen, Kinder zu fordern und zu fördern", so Lucic. Das alles können die Lehrer nicht zusätzlich und nebenbei leisten – so wie sie es oft tun. "Es bedarf Ressourcen, zeitliche und finanzielle", unterstreicht Lucic, "gute Erziehung und Bildung haben ihren Preis. Sie sollten es uns wert sein!" Erzieher müssen optimal ausgebildet und wesentlich besser bezahlt werden. Nur dann "haben wir ausreichend Erzieherinnen haben, die geduldig, liebevoll und bewusst die Kinder in die Schulzeit begleiten."
Kinder lernen von Vorbildern
Kinder brauchen aber auch Vorbilder: "Kinder lernen durch das Vorbild, im positiven als auch im negativen Sinn", so Lucic. "Um gesund aufzuwachsen, braucht das Kind von den Erwachsenen die Botschaft, dass es positiv wahrgenommen wird, dass der Erwachsene dem Kind etwas zutraut und es führt. Kinder brauchen Liebe und Regeln, die es einzuhalten gilt. Eine gut austarierte Balance von verstehender Einfühlung und Führung ist das Kernstück der pädagogischen Beziehung."
Lehrer und Eltern wollen Respekt
Ein solches Vorbild müssten auch Schule und Eltern geben, indem sie zusammenarbeiten. "Wie soll das Kind und Lehrkraft Achtung und Respekt voneinander haben, wenn die Erwachsenen nicht achtsam miteinander umgehen?" fragt Lucic. Oder. " Wie soll ein Mittelschüler stolz auf seine Schule sein, wenn in der Öffentlichkeit von einer 'Restschule' gesprochen wird?" Mit solchen Begriffen werde die wochenlange Arbeit der Pädagogen zunichte gemacht.
"Kinder wollen dazugehören"
"Ich werde den Eishockeybesuch der Mittelschüler an der Fernpassstraße nicht vergessen", erzählt Lucic. Die Kinder (der EHC hatte als Pate des Frühstückprojekts die Frühstückskinder der Mittelschule ins Stadion geladen) wurden am Display und über Mikrophon begrüßt: "Der EHC grüßt die Mittelschule an der Fernpassstraße": Die Klassenlehrerin habe noch Wochen mit diesem Motivationsschub der Kinder gearbeitet. "Sie wollen dazugehören, sie wollten dabei sein", unterstreicht Lucic, "Ausgrenzen tut weh. Ein 'Rest' ist etwas Ausgegrenztes. Ausgrenzung ruft Aggression hervor."
Zeit für Kinder bleibt auf der Strecke
In ihrer täglichen Arbeit greifen die Schulen auf mehr bürgerschaftliches Engagement und die Unterstützung von örtlichen Firmen zurück. Entsteht hier ein neues Miteinander oder müssten nicht eher staatliche Stellen diese Aufgaben übernehmen?
"Auch das hat zwei Seiten", antwortet Waltraud Lucic. Immer mehr Eltern geben immer mehr Aufgaben ab – denn das Leben in München ist teuer. Zwei oder drei Arbeitsstellen sind notwendig, um die Bedürfnisse der Familie zu befriedigen: "Was auf der Strecke bleibt ist die Zeit für die Kinder."
Zusammengehörigkeit ... und Unruhe
In der Schule sammeln sich alle Herausforderungen wie in einem Brennglas. Die Schule soll alle Probleme lösen. Also werden die Ärmel zurückgekrempelt, Ehrenamtliche akquiriert, Sponsoren gesucht und die Politik und Verwaltung aufgefordert, zu helfen. So wird die Schule eine Stadtteilschule, für die jeder Verantwortung übernimmt. Eine gemeinsame Aufgabe kann verbinden, kann Zusammengehörigkeitsgefühle schaffen.
Auf der anderen Seite ist viel Unruhe in der Schule. Schulleiter kümmern sich um Ehrenamtliche, Lehrer unterstützen Nichtpädagogen, ausfallende Stunden müssen vom Kollegium aufgefangen werden. Auch diese Aufgaben erfüllt das Kollegium zusätzlich. "Manchmal wundert es mich nicht, wenn die Schule nicht mit Begeisterung reagiert, wenn der zehnte Ehrenamtliche sein Projekt für die Schule vorstellt", meint Lucic. Da sei es notwendig, dass beide Seiten sich in die Lage des Anderen versetzen. Einfühlungsvermögen, Rücksprache, Rücksichtsname und Verständnis sind gefragt. "Wenn beide Seiten achtsam miteinander umgehen, kann es für die Kinder ein Erfolgsrezept sein!"
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