"Gute Chancen für Reformen vertan"
Gewerkschaft fordert mehr Lehrer und bessere Arbeitsbedingungen
Das Oxymoron wird als rhetorische Figur definiert, bei der ein Satz mit zwei sich widersprechenden Begriffen gebildet wird. Beispiel gefällig? – "Die größten Probleme sind Lehrerarbeitslosigkeit und Lehrermangel." Mit diesen Worten beginnt Anton Salzbrunn, Landesvorsitzender Bayern der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), seine Einschätzung der Lage an Schulen im Freistaat. Das Oxymoron muss man nicht erkennen, den Widerspruch schon: Fehlen denn nun Lehrer oder gibt es zu viele? Interessante Antwort: beides. In bayerischen Gymnasien wurden 300 Pädagogen eingestellt, weitere 3.100 Bewerber haben kein Angebot erhalten. "Die Wartelisten sind voll", sagt Andreas Hofmann, Sprecher der GEW-Landesfachgruppe Gymnasien. Zur gleichen Zeit sind an Grund- und Mittelschulen viele Stellen nicht zu besetzen, weil es an Lehrernachwuchs mangelt. "Es wurde in den letzten Jahren am Minimum kalkuliert, die heutige Situation resultiert aus unmöglicher Personalplanung", erklärt Ruth Brenner, Sprecherin der GEW-Landesfachgruppe Grund- und Mittelschulen. "Viele junge Lehrer sind in andere Bundesländer gegangen."
"Unterricht ist das nicht"
Die Bildungsgewerkschaft geht davon aus, dass an Grund- und Mittelschulen rund 400 Stellen unbesetzt bleiben, zudem müssten zirka 600 befristet Angestellte weitere Leerstände auffangen – darunter Studierende und Pensionisten, aber auch Menschen ohne pädagogische Ausbildung. "Das Kultusministerium wiederholt mantramäßig, dass die Unterrichtsversorgung gewährleistet ist", sagt Brenner. 4.000 Neueinstellungen gab es laut Ministerium. Wie viele Lehrer aber in Pension gingen – darüber ist nichts zu finden. Außerdem sei Unterricht eben nicht gleich Unterricht. "Es gibt ein hohes Maß an Vertretungsstunden, zeitweise bei Parallelführung – das heißt, wir beaufsichtigen zwei Klassen in unterschiedlichen Räumen. Die Kollegen lassen die Türen offen und bemühen sich, ihrer Aufsichtspflicht irgendwie nachzukommen." Dass das nicht optimal sei, wüssten alle, aber in der Grundschule könne man die Kinder auch nicht entlassen, das wiederum verletze die Aufsichtspflicht auf jeden Fall. "Unterricht ist das nicht und zudem eine hohe Belastung für Lehrkräfte, die zu weiteren Ausfällen führt."
"Wir begrüßen die Maßnahmen"
Das Problem mit den vielen Gymnasiallehrern einerseits und den wenigen Pädagogen an Grund- und Mittelschulen andererseits ist auch dem Kultusministerium inzwischen aufgefallen. Die Politik hat reagiert: Über Zweitqualifizierungenmaßnahmen haben studierte Gymnasiallehrer die Möglichkeit, an Grund- und Mittelschulen zu unterrichten. "Wir begrüßen die Maßnahmen, das ist eine gute Alternative für hochqualifizierte Menschen", erläutert Brenner. "Aber die Rahmenbedingungen müssen sich ändern. Verbesserungen sind notwendig." Erstens müsse die Unterrichtsverpflichtung von 28 Stunden an Grundschulen auf 20 gesenkt, außerdem eine ordentliche Nachqualifizierung angeboten werden. "An fünf Nachmittagen und in zwei Basisveranstaltungen kann Grundschulpädagogik einschließlich des komplexen Erstunterrichts auf keinen Fall vermittelt werden." Zweitens soll der Lotsendienst ausgesetzt werden: Grundschullehrkräfte unterstützen Übertrittsschüler beim Eingewöhnen am Gymnasium. Außerdem helfe es, Evaluierung, das Überprüfen schulrelevanter Zusammenhänge, für den Moment einzustellen. "Dabei kann man eigentlich nur Mangel nachweisen."
"Zeiten für Schönfärberei sind vorbei"
Und langfristig? Auch für die nächsten Jahre hat die GEW einen Plan: Um Lehrerarbeitslosigkeit und -mangel zeitgleich zu beenden, müsse erstens das Einstiegsgehalt aller Lehrkräfte gleich hoch sein: A13. "Das ist eine Form der Anerkennung und macht Grund- und Mittelschullehramt attraktiver." Außerdem müsse die Lehrerbildung reformiert werden: Lehrkräfte sollen nicht mehr streng nach Schulart ausgebildet werden, sondern nach Jahrgangsstufen der Schüler: eins bis sechs und fünf bis 13. "Bei Bedarf kann mit Stufenlehrkräften flexibel reagiert werden." Dieses System helfe, wenn in einigen Jahren die heute eingeschulten Grundschulkids auch an die Gymnasien drängen. "Gymnasiallehrer, die heute nicht eingestellt werden oder an Grund- und Mittelschulen gehen, werden in Zukunft benötigt", sagt Hofmann. Zuwanderung und mehr Geburten lassen höhere Schülerzahlen erwarten. "Bisher sind gute Chancen für Reformen vertan worden, das muss sich ändern." Der Bildung müsse endlich Vorrang eingeräumt werden. Salzbrunn: "Die Zeiten für bloße Ankündigungen oder gar Schönfärberei sind jetzt vorbei."
Die Münchner Wochenanzeiger haben sich bei Georg Eisenreich, Staatssekretär für Bildung und Kultus, erkundigt, wie man dort die Situation an Bayerns Schulen einschätzt:
"Brauchen schulartbezogene Lehrerbildung"
Georg Eisenreich: "Wir wollen an Bayerns Schulen den Schülern auch künftig bestmögliche Bildungschancen eröffnen. Bildung ist und bleibt deswegen in Bayern Investitionsschwerpunkt. 12,5 Milliarden Euro fließen im Jahr 2018 in diesen Bereich (gegenüber 8,6 Milliarden Euro im Jahr 2008). Über 4.300 Lehrkräfte haben wir zu diesem Schuljahresbeginn neu eingestellt. Damit ersetzen wir vor allem ausscheidende Lehrkräfte, stärken aber auch gezielt bestimmte Bereiche, beispielsweise mit 100 zusätzlichen Lehrerstellen die Inklusion. Insgesamt tragen rund 115.000 Lehrkräfte zum Erfolg unseres bayerischen Bildungssystems bei. Dessen hohe Qualität wollen wir sichern und noch weiter ausbauen. Mit dem von der Bayerischen Staatsregierung beschlossenen Bildungspaket Bayern wird der Freistaat in den nächsten Jahren weitere 870 Millionen Euro, darunter 2.000 zusätzliche Lehrerstellen, in alle Schularten investieren.
"Einheitslehrer helfen nicht"
Eine Stärke unseres bayerischen Bildungssystems liegt im differenzierten Schulsystem. Dafür brauchen wir eine schulartbezogene Lehrerausbildung. Sie stellt sicher, dass die Lehrkräfte genau das können, was ihre Schüler brauchen, um gut gefördert zu werden. Einheitslehrer helfen uns nicht weiter. Unsere Lehrerausbildung bietet genügend Flexibilität, wenn sich der Lehrerbedarf in den Schularten unterschiedlich entwickelt. Aktuell geben wir Realschul- und Gymnasiallehrkräften über eine berufsbegleitende Weiterqualifizierung eine Berufsperspektive an unseren Grundschulen und Mittelschulen. 1.260 junge Lehrkräfte nutzen derzeit diese Chance. Sie werden verbeamtet, wenn sie sich erfolgreich bewähren. Der Freistaat schätzt die Arbeit der Lehrkräfte an den Grund- und Mittelschulen. Mit der Dienstrechtsreform wurden zusätzliche Beförderungsstellen für Grund- und Mittelschullehrkräfte geschaffen, um die Leistung der Lehrkräfte besser honorieren zu können."
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