Genießen ist eine Kunst
Geflüchtete kochen das "Vierte Abendmahl"
Ich sehe Mijgaan über die Schulter: Konzentriert rollt sie ihren Teig aus. Hauchdünn liegt er auf der Arbeitsplatte. Mijgaan streicht ihn mit zerlassener Butter ein und schneidet die Masse in kleine Quadrate. Auf jedes häuft sie einen Löffel Hackfleisch, verfeinert mit Gewürzen, Zwiebeln und Kräutern. Mijgaan hebt die Enden der Quadrate an und legt sie vorsichtig über die Füllung, verklebt den Teig zu einer duftenden Hackfleisch-Tasche. Täschchen für Täschchen verschwindet in heißem Öl, nach kurzem Frittieren und Abtropfen landen die Teigtaschen in ihrer Schale am Buffet. Dampfend und rundherum perfekt gebräunt warten sie auf hungrige Esser.
Ich sehe mich nach meinen Kollegen von den Münchner Wochenanzeigern um; in der allgemeinen Hektik haben alle einen kurzen Moment inne gehalten, um zu sehen, wie Mijgaan ihre wunderbaren Teigtaschen vollendet. Jetzt ist es aber auch genug mit Zuschauen, wir haben schließlich Zeitdruck – in 30 Minuten kommen unsere Gäste. Ich mache einen Rundgang durch die Küche, hebe Deckel an, spähe in Töpfe und überzeuge mich, dass überall nur noch Kleinigkeiten zu erledigen sind, bevor wir die Gerichte in den Speisesaal bringen können.
Menschen zusammenbringen
Aller guten Dinge sind drei? Das sehen wir nicht so. Die Münchner Wochenanzeiger haben bereits drei Mal mit Geflüchteten gekocht und mit Gästen aus Politik, Wirtschaft, Helferinitiativen und Verbänden gegessen: das "Erste, Zweite und Dritte Abendmahl". Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören. Noch so ein Spruch, der für uns nicht gilt. Wer sagt denn, dass aus einem bisherigen "am schönsten" nicht ein weiterer Superlativ entstehen kann – ein neues, besseres "am schönsten". Das testen wir gerade: Wir kochen das "Vierte Abendmahl".
Im Juli 2016 haben wir die Veranstaltungsreihe begonnen und im Oktober 2016 mit dem "Zweiten Abendmahl" fortgesetzt. Gemeinsam mit der Initiative "Ein Teller Heimat" hatten wir uns das Ziel gesteckt, junge Geflüchtete, die Erfahrung in der Küche, eine Ausbildung als Koch oder Hotelfachmann oder sogar ein Studium in diesem Bereich mitbringen, mit potentiellen Arbeitgebern zusammenzubringen. Ehrengäste waren Gastronomen und Hoteliers. Eigenlob stinkt – schon wieder ein Spruch, den ich nur bedingt richtig finde: Denn – wir waren sehr erfolgreich, wir haben fast der Hälfte unserer Köche zu einem Job verholfen. Unser Eigenlob riecht nach gutem Essen.
Alle lernen etwas
Im April 2017 haben wir das "Dritte Abendmahl" veranstaltet, diesmal unter neuem Schwerpunkt: Das Jahr stand für die Münchner Wochenanzeiger unter dem Motto "Generationen füreinander". Also haben wir unbegleitete minderjährige Geflüchtete als Köche eingeladen. Ein Teil unserer Gäste kam aus dem Alten- und Servicezentrum Neuhausen. Wir haben Jung und Alt zusammengebracht und schnell gemerkt: Wenn beide Seiten sich unterhalten, gibt es für alle etwas zu lernen.
Und jetzt sind wir wieder hier: Gemeinsam mit Köchen aus Eritrea, Afghanistan und Syrien stehen wir in der Lernküche der Kermess Hotelfachschule an der Pasinger Blumenauer Straße 131. Wir dürfen die top ausgestattete Küche und den angrenzenden Speisesaal nutzen – obwohl wir bei den letzten drei Events das ein oder andere Messer verschlissen haben, unterstützt die Kermess uns gerne. Unsere Köche hat uns die Initiative "ArrivalAid" vorgestellt. Redaktionell haben wir mit der Flüchtlingshilfeorganisation schon mehrmals zusammengearbeitet. Jetzt nutzen wir die Chance, die tolle Arbeit von "ArrivalAid" auch unseren Gästen vorzustellen und zeitgleich die Ehrenamtlichen und Geflüchteten zu feiern, die sich hier engagieren.
Tolle Köche von "ArrivailAid"
Neben Mijgaan steht Zeeba. Die eine kommt aus Afghanistan, die andere aus Syrien – unterhalten können sich die Damen dennoch problemlos. Gerade geht es um den Salat, der die warmen Speisen ergänzen soll. Die deutschen Schnibbelhilfen haben Zwiebeln und Gurken nicht perfekt geschnitten: Das ginge noch etwas kleiner, werden wir angewiesen. Nun gut, auf ein Neues. Zeeba hat ihre Familie mitgebracht. Mit Hanifa kümmert sie sich jetzt um den Reis. Mit Hilfe von Zeebas Ehemann schichten die Frauen die Körner aus einem riesigen Topf in einen anderen um: Dampfwolke, in der alle vier kurz verschwinden. Dann taucht die Familie freudestrahlend wieder auf: Alles ist gut gegangen, der Reis ist im richtigen Topf. Zeeba kann ihn mit frittierten Karottenspalten, Rosinen und Kreuzkümmel verfeinern. Ich deute vielsagend auf meine Armbanduhr, sie muss fertig werden. Zeeba verdreht die Augen – ich habe das im Griff, sagt ihr Blick. Jemand, der nicht einmal Gurken ordentlich schneidet, sollte ihr keine Ratschläge erteilen.
Ich wandere also kleinlaut weiter zu Basel und Ammar. Die beiden Syrer haben ihre Hauptspeisen schon erledigt. Jetzt widmen sie sich dem Dessert. Es gibt Baklava, die traditionelle Süßspeise aus Filoteig, Nüssen und Pistazien. Das Gebäck wird eben mit einer Zuckermischung getränkt. Basel streut einige Deko-Pistazien obenauf. Gut, hier ist also alles im grünen Bereich.
Auf zu den letzten beiden Arbeitsplätzen. Simon aus Eritrea verteilt sein Sauerteigbrot auf der Anrichteplatte, neben ihm blubbern Töpfe mit den zugehörigen Soßen. Er beginne jetzt mit dem Anrichten; in fünf Minuten kann alles ans Buffet. Ich drehe mich zu Abdul um. Auch hier kein Grund zur Sorge: Der Afghane streut bereits Koriander über seinen Reis: fertig. Soweit, so gut. Ich schnappe mir die Platten und trage sie in den Speisesaal. Das Buffet steht, die großen Tische sind liebevoll eingedeckt und die Mitarbeiter der Münchner Wochenanzeiger erwarten mit Getränken in Händen die ersten Gäste.
Stammgäste und neue Gesichter
Im Zwischengang wird es plötzlich laut: Paul und Claudia von "ArrivalAid" sind vom Spielplatz zurück – jaja, richtig, vom Spielplatz. Der Leiter des Münchner "ArrivalAid" Standortes und die Ehrenamtliche waren mit Mijgaans und Hanifas Kindern unterwegs. Mijgaans beide Mädchen rennen mich fast um, es gibt so viel zu erzählen, das Mama unbedingt hören muss. Hanifas Kleine haben ihre Mutter schon an den Händen gepackt. "Aber der Reis, der Salat?", wage ich zu protestieren. Hanifa und Zeeba grinsen, alles schon auf dem Weg in den Speisesaal – natürlich.
Pauls Hose hat etwas gelitten, aber als wir gemeinsam die Gäste begrüßen, fallen die Sandkastenflecken kaum mehr auf. Der Saal ist voll. Viele bekannte Gesichter sind dabei. Ich kann inzwischen getrost von Stammgästen sprechen, die zum zweiten, dritten oder vierten Mal mit uns essen: Petra Reiter, Stadträtin Beatrix Zurek, der Landtagsabgeordnete Michael Piazolo oder Germerings Referentin für Integration, Fereshteh Erschadi-Zimmermann.
Natürlich freue ich mich auch über alle Gäste, die zum ersten Mal das "Abendmahl" probieren: Sabine Nowack vom Jobcenter Pasing etwa. Gemeinsam mit Stammgast Romanus Scholz, Vorsitzender des Pasinger Bezirksausschusses, lässt sie sich von Simon das Prinzip Sauerteig und Soße erklären. Mijgaan verteilt ihre Teigtaschen an Christa Liebscher von der Nachbarschaftshilfe. Landtagsabgeordnete Isabell Zacharias probiert sich durch verschiedene Soßen. Zeeba hat sich selbst schon etwas zu essen geholt und auch die anderen Köche kommen jetzt zur Ruhe und setzen sich zu den Gästen. Ich habe Gelegenheit, mir von der Spitze des Saals ein Bild zu machen:
Das Buffet ist geplündert, die Teller sind voll. Der Geräuschpegel ist hoch, Lachen von links, zusammengesteckte Köpfe rechts. Weiter hinten wird angestoßen. Zwischen den Tischen wuseln Mijgaans und Hanifas Kids. Der Kleinste braucht noch etwas Hilfe von einem Mitarbeiter der Münchner Wochenanzeiger: Hoch auf den Arm, von dort aus sieht man schließlich erst so richtig gut. Zum Dank wird dem Kollegen das angelutschte Baklavastück in die Hand gedrückt. Hanifas Kleiner teilt brüderlich. Ich denke an das Sprichwort: Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören. Heute haben wir einen neuen Superlativ geschaffen. Aber wer, wenn nicht wir und unsere Köche, könnte das noch toppen? Ich grinse und setze mich dazu.
Zum Nachkochen:
Baklava
Zutaten für ein Blech:
150 Gramm Haselnüsse und/oder Walnüsse, gehackt
100 Gramm geschälte und gemahlene Mandeln
75 Gramm Pistazien, gehackt
200 Gramm Zucker
1/4 Teelöffel Zimt
250 Gramm Butter
450 Gramm Filoteig
125 Milliliter Honig
150 Milliliter Wasser
1/2 Zitrone
Zubereitung:
Mandeln, Nüsse und Pistazien mit Zucker und Zimt mischen.
Butter schmelzen und abkühlen lassen. Backform mit Butter einfetten und Backofen auf zirka 200 Grad vorheizen. Alle Teigblätter aufeinander legen. Backform umdrehen und auf den Teig legen. Einmal herum schneiden. Teigblätter mit Butter fetten und in die Form legen. Nach mehreren Teigblättern einen Teil Nussmischung dazugeben und verstreichen. Dreimal wiederholen. Restliche Teigblätter obenauf legen. Rautenmuster oder Rechtecke einschneiden. Mit Butter bestreichen goldbraun backen – 25 bis 30 Minuten. Wasser mit Honig und Zucker zu einem Sirup verkochen. Etwas Zitronensaft zugeben und auskühlen lassen. Baklava aus dem Ofen nehmen, etwas ruhen lassen. Danach mit Sirup übergießen. Pistazien darüber streuen.
Was ist eigentlich...
Injera?
Die Traditionsspeise aus Eritrea ist gesäuertes Fladenbrot. Auch in Äthiopien ist Injera ein beliebtes Essen. Teffmehl wird mit Wasser vermischt. Der Teig gärt einige Tage. Auf heißen Platten werden dann Fladen gebacken. Gegessen wird Injera mit anderen Gerichten und Soßen. Ein Stück Fladen wird abgerissen und damit ein bisschen Soße getunkt. Guten Appetit!
Was macht eigentlich...
ArrivalAid:
"ArrivalAid" hat verschiedene Hilfen für Geflüchtete im Angebot: Die Organisation bildet Ehrenamtliche zu Anhörungs- und Integrationsbegleitern aus. Als solche helfen sie Geflüchteten, Interviews beim Bundesamt für Migartion und Flüchtlinge gut zu meistern und unterstützen in allen Belangen: Wohnungs- oder Deutschkurssuche. Außerdem macht "ArrivalAid" eine eigene Zeitung, die "ArrivalNews" und engagiert sich in vielen weiteren Bereichen. Die Initiative ist immer auf der Suche nach engagierten zukünftigen Ehrenamtlichen. Im Internet sind unter www.arrivalaid.org weitere Informationen erhältlich.
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