Gemeinsam auf dem "Sahnehäubchen"
Wie zukunftstauglich ist der Münchner Einzelhandel?
Fast drei Viertel aller Menschen in der Region München waren im vergangenen Vierteljahr mindestens einmal in der Münchner Innenstadt. Und wer in die Innenstadt geht, will hier in der Regel etwas kaufen. Die hier ansässigen Einzelhändler schätzen ihren Platz daher als die "Shopping destination in Deutschland schlechthin", wie Wolfgang Fischer (CityPartner) sagt, und als das "Sahnehäubchen" der Republik. Doch auch in dieser herausragenden Position müssen sich die Unternehmen großen Herausforderungen stellen. Über diese diskutierten im Bayerischen Hof Münchner Einzelhandel und Stadt-Politik: Wie sieht die Zukunft des Münchner Einzelhandels aus?
Gemeinsame Werte, neue Herausforderungen
Die fünf traditionsreichen Münchner Unternehmen Hirmer, Sporthaus Schuster, Kustermann, Bettenried und Kaut-Bullinger bilden als Verbund „Münchens Erste Häuser“ eine Wertegemeinschaft im Einzelhandel, um gemeinsam die Werte und Kultur der Traditionshäuser und die Einzigartigkeit von Münchens Innenstadt hervorzuheben. „Der Handel steht vor großen Herausforderungen“, sagt Robert Waloßek von Bettenrid. Das veränderte Einkaufsverhalten, der zunehmende Online-Handel, die Anonymisierung der Innenstädte und der allgemeine Frequenzrückgang sind nur einige Themen, auf die es zu reagieren gilt. Bis 2020 werden rund 50.000 Geschäfte in Deutschland verschwinden, der Frequenz-Rückgang ist bereits jetzt mit 19 % in den letzten neun Jahren massiv. „Über Jahrzehnte hat sich der Einzelhandel kaum verändert, die letzten zehn Jahre aber extrem. Darauf müssen wir gemeinsam reagieren – auch in einer so attraktiven Einkaufs-Metropole wie München“, so Waloßek. „Miteinander können wir unseren Kunden ein viel größeres Spektrum anbieten. Wir sind alle Spezialisten in unseren Themen und können mit ‚Cross-Over’-Erlebnissen auf der Fläche eine gemeinsame und einzigartige Eventkultur schaffen. Dabei spielt auch das Thema ‚Individualisierung’ von Produkten eine immer größere Rolle“, ergänzt Flori Schuster. Denn das geht nur vor Ort, nicht online.
Mehr Besucher als die Wiesn
Münchens Erste Häuser stärken den unabhängigen, mittelständischen, regionalen Einzelhandel und sorgen für Vielfalt im Stadtbild. „Wir sind aber nicht die einzigen ‚Leuchttürme’ in der Stadt – Gott sei Dank“, so Caspar-Friedrich Brauckmann von Kustermann. Als Familienunternehmen stehe man seit Generationen für Servicequalität, typische Lebensart und hoihe Ansprüche. Gemeinsam haben die fünf Häuser mehr Verkaufsfläche als das legendäre Harrods in London und mit rund sieben Millionen Besuchern pro Jahr mehr als die Münchner Wiesn. Das Einkaufsverhalten und die Kundenstruktur haben sich deutlich verändert. Der informierte und "hybride" Kunde kauft auf verschiedenen Kanälen (online / offline) über alle Konsum- und Warengruppen hinweg. Es gibt keine klassische Zielgruppe mehr. „Dennoch haben wir homogene Kundengruppen mit vielen Schnittmengen. Wir haben aber trotzdem jeden Tag zu beweisen, dass wir die richtige Einkaufsstätte sind. Als Haus alleine können wir es auch, aber gemeinsamen schaffen wir es besser“, so Cornelia Schambeck von Kaut-Bullinger.
Acht von zehn Onlineshops in den roten Zahlen
"Wir wollen in unseren Häusern Räume für Begegnungen schaffen und ein guter Gastgeber für unsere Kunden sein“, erklärt Caspar-Friedrich Brauckmann. „Online ist nicht böse. Online ist ein weiterer Vertriebs-und Servicekanal sowie ein zusätzliches Schaufenster“, sagt Frank Troch von Hirmer. „Wir gewinnen unsere Kunden für unseren Onlineshop aus unserem stationären Haus heraus und nicht über Google. Acht von zehn Onlineshops sind hochdefizitär", so Troch. "Warum kommen Online-Player wie Amazon oder Zalando auf die Idee, sich stationär zu engagieren? Weil sie die Wichtigkeit von stationärer Präsenz erkannt haben!" Der Abgesang auf den stationären Handel habe viel zu früh stattgefunden. "Wenn es uns gelingt, mit unseren qualitätsvollen Produkten und einem entsprechenden Durchschnittspreis unsere Angebote auch online zu vermarkten – mit Service und Vielfalt – sind wir Amazon und Zalando ein deutliches Stück voraus“, so Troch weiter. Dies lasse sich z.B. auch in den deutlich geringeren Retourenquoten der fünf Häuser gegenüber dem Onlinehandel ablesen.
Hinter dem Bauzaun sichtbar bleiben
Aktuelle Großbaustellen in der Münchner Innenstadt stellen den Einzelhandel vor weitere Herausforderungen. Insbesondere Bettenrid ist an seinen zwei Standorten in der Theatinerstraße (Marienhof / zweite Stammstrecke) und Neuhauser Straße (Alte Akademie) davon betroffen. Die benachbarten Großprojekte werden das Geschäft in den kommenden drei bis zehn Jahren deutlich beeinträchtigen. Hier regt Waloßek grundsätzlich für alle Münchner Großbaustellen Gesprächsrunden und deutliche Flexibilität in der Nutzung von Außen- und Werbeflächen an. „Wir wollen dem Kunden zeigen, dass es uns hinter dem Bauzaun noch gibt. Für viele Münchner Einzelhändler ist diese Situation existenzgefährdend“, Robert Waloßek.
Abends länger öffnen?
Um zukunftstauglich zu sein, bedarf es auch angepasster Rahmenbedingungen. Münchens Erste Häuser betonen hier beispielsweise die Wichtigkeit der punktuellen Flexibilisierung von Ladenöffnungszeiten. „Es geht uns darum, individuell sein zu dürfen. Derzeit ist ein Abendevent nach 20 Uhr, um Erlebnisse zu schaffen, nicht möglich", klagt Robert Waloßek.
Regelmäßiger Austausch mit der Stadt
Bürgermeister Josef Schmid sicherte den Einzelhändlern seine Unterstützung in ihren Bemühungen um Zukunftsperspektiven zu. Dazu gehört auch, dass die Stadt die Fußgängerzone besser gestaltet - u.a. mit vermehrten Sitzmöglichkeiten, neuem "stöckelschuhfreundlichen" Belag sowie einem neuen Fussgänger-Leitsystem, das in diesem Jahr noch umgesetzt werden wird. „Wir würden sehr gerne bei der Mitgestaltung der Innenstadt mithelfen“, so Cornelia Schambeck. „Alleine die Tatsache, dass wir alle Einzelhändler gemeinsam mit der Stadt an einem Tourismuskonzept arbeiten können, ist sehr positiv“, Caspar-Friedrich Brauckmann.
Für Wolfgang Fischer, Geschäftsführer von CityPartner, ist genau diese Attraktivität für die stabile Entwicklung mit 14 Mio. Übernachtungen der nationalen und internationalen Touristenzahlen für München von Bedeutung. Für den Tourismus sieht er neben Aspekten wie Sightseeing, Kultur und Oktoberfest die besonderen Traditionshäuser in München als attraktive Shopping-Destination. Die neue Tourismus-Kampagne der Stadt München zielt darauf, die Wahrnehmung von der Genuss-Kultur zum Kultur-Genuss zu erweitern.
Stationäre, temporäre Präsentationsmöglichkeiten z.B. für kleine Start-Ups im innerstädtischen Bereich können neue Impulse stiften und neue Zielgruppen ansprechen. Auch das aktuelle Konzept „Kauf lokal“ von Hirmer zeigt eindrucksvoll, wie Frequenzen in der Innenstadt erhöht werden können und für beide Seiten ein Mehrwert entstehen kann. „Es hat bereits ein regelmäßiger Austausch mit der Stadt begonnen. Wir schätzen es sehr, dass wir nun ein offenes Ohr bei der Stadt haben und freuen uns auf weitere gemeinsame Schritte“, so Caspar-Friedrich Brauckmann.
Auf die Mitarbeiter setzen
Die fünf Traditionshäuser sichern gemeinsam rund 1.200 Arbeitsplätze im innerstädtischen Einzelhandel. Dazu gehört auch die Investition der Unternehmen in ihre Mitarbeiter. Gemeinsame Weiterbildungsprojekte der fünf Häuser zeigen den Erfolg, die Mitarbeiter gemeinsam zu fördern: seit 2014 besteht das „Azubi College“ von Bettenrid, Kaut-Bullinger und Kustermann – ein einzigartiges Ausbildungsprojekt, unterstützt von der Rid Stiftung. Mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung wollen die Unternehmen jungen Menschen mit einer unternehmensübergreifenden Ausbildung einen besonderen Start in das Berufsleben bieten. Im März 2017 startete ein weiteres Förderungsprogramm aller fünf Häuser: „Mit dem Talente-Programm erhalten junge Nachwuchsführungskräfte der fünf Häuser ein gemeinsames Coaching, welches sie bereits jetzt auf ihre zukünftige Führungstätigkeit vorbereitet“, so Cornelia Schambeck.
Münchens Erste Häuser
Münchens Erste Häuser sind fünf alteingesessene Unternehmen mitten in der Stadt, die sich seit Generationen dem Einkaufserlebnis für lokale und internationale Kunden verschreiben: Hirmer, Schuster, Kustermann, Bettenrid und Kaut-Bullinger. "Sie prägen das Gesicht der Stadt", sagt Bürgermeister Josef Schmid über die Einzelhändler im Herzen der Stadt.
Wohin geht der Einzelhandel?
Auf dem Podium diskutierten:
Bürgermeister Josef Schmid
Frank Troch (Geschäftsführer und Komplementär Hirmer)
Flori Schuster (Geschäftsführender Gesellschafter Sporthaus Schuster)
Caspar-Friedrich Brauckmann (Gesellschaftervertreter und Geschäftsführer Kustermann)
Robert Waloßek (Geschäftsführer BETTENRID),
Cornelia Schambeck (Gesellschafterin Kaut-Bullinger)
Wolfgang Fischer (Geschäftsführer CityPartner).
Moderiert wurde die Gesprächsrunde von Nina Ruge.
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