"Geil, krass, super!"
Worte können die Welt ein Stück weit bestimmen
Eine Autorin, eine Schauspielerin, ein Schuldirektor, ein Politiker, ein Medienpädagoge und eine Stiftungsvorsitzende – auf den ersten Blick scheint diese bunt zusammengewürfelte Tischrunde kaum etwas zu verbinden. Bald stellt sich heraus: Es sind die Worte, die für alle eine wichtige Stellung in ihrem Leben einnehmen. Unsere Sommergespräche, die traditionell die Titel der Münchner Wochenanzeiger in den Sommerferien bilden, wurden in diesem Jahr auf das Gebiet der 5-Seen-Wochenanzeiger ausgeweitet. Wir sind dafür in den Landkreis Starnberg gefahren. Treffpunkt ist der Biergarten beim Oberen Wirt, dem Gasthaus Widmann in Gilching. Nebenan steht die alte Kirche, aus der regelmäßig das Schlagen der Turmglocke zu vernehmen ist. Thema des Biergartengesprächs ist: „Wie wählen wir Worte?“
„Man muss Worte gut wägen und bewusst wählen“, diese Aussage fiel mehrmals in der Diskussion. „Worte können die Welt ein stückweit bestimmen und formen“, so die Schauspielerin Karin Krug. Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidl-Stiftung, brachte passende Beispiele. So habe der Verteidigungsminister früher Kriegsminister geheißen und aus der Gebühreneinzugszentrale GEZ ist ein Beitragsservice geworden. „Beitragsservice – das klingt wunderbar, gemeint ist die gleiche Behörde, die Mahnbescheide verschickt und das Geld eintreibt.“ Einen manipulativen Charakter habe Sprache also durchaus, „man kann mit ihr Macht ausüben“, war sich Landtagsabgeordneter Michael Piazolo sicher.
Es kommt auf den Kontext an
Schriftstellerin Julia Fischer ergänzte, dass es nicht auf das Wort allein ankomme, sondern in welchen Kontext man es stellt. „Worte sind nichts wert, wenn sie bloße Hülle sind.“ Um zu wirken, müsse man sie mit „Werten, Emotionen, mit dem, was wir empfinden“, ausfüllen. Das sei heute gar nicht so einfach. Bei Theaterworkshops lässt Krug die Teilnehmer gerne Gefühle beschreiben, „da merke ich, dass sie gar keine Worte dafür haben“. Im Gegensatz zu anderen Sachbereichen, in denen es tausende von Begriffen gebe.
Ein Grund für die fehlenden Worte für Gefühle könne in der Schule liegen, so Fischer. „Freies Schreiben ist an der Schule nicht erwünscht. Es werden Betrachtungen geschrieben, Interpretationen – alles strenge Gebilde, an die man sich halten muss.“ Eine Deutschlehrerin habe ihr den Grund genannt. So sollten Jugendliche sich nicht genötigt fühlen, in der schwierigen Phase der Pubertät Gefühle ausdrücken zu müssen.
Rede in Rap-Form
Selbstkritisch gab Schulleiter Peter Meyer zu: „Was wir in der Schule zu wenig vermitteln, ist die Lust am Schreiben.“ Dabei habe er bei den Schülern Potenzial festgestellt. „Es gibt eine wunderbare Einrichtung, das Literaturhaus in München“, erzählte er. Auch Schüler nehmen regelmäßig an den Sprachwerkstätten teil. „Ich bin jedesmal begeistert, zu welchen sprachlichen Fähigkeiten sie in der Lage sind." Und bei der diesjährigen Abiturfeier habe eine Schülerin sogar eine Rede in Rap-Form gehalten. „Ich war fasziniert, wie toll das Mädchen mit Wörtern umgehen konnte.“ Im Alltag fällt ihm dagegen der begrenzte Wortschatz der Schüler auf: „geil, krass, super – mit diesen drei Wörtern werden Gespräche bestritten.“ Schüler würden zwar in den verschiedenen Fächern lernen, sich sehr genau mit Sprache auseinander zu setzen. „Es ist aber wichtig, dass sie die Fertigkeiten, die sie in einem literarischen Text oder Gedicht entwickeln, für ihr Leben nutzen und über ihre Sprache reflektieren."
Kurz und knapp auf den Punkt
Medienpädagoge Björn Friedrich informierte die Tischrunde, dass Jugendliche eben anders kommunizieren und einen anderen Umgang mit Sprache hätten. Bei der Jugend geht der Trend zur visuellen Kommunikation. Instagram, Snapchat, Whatsapp. Ein Foto ersetze viele Worte. „Ich bin mir nicht sicher, ob das eine Verschlechterung der Sprache bedeutet, es ist einfach eine andere Art von Sprache.“ In der Verknappung der Worte könne auch eine Chance liegen. Bei Twitter müsse man beispielsweise Inhalte „kurz und knapp auf den Punkt bringen.“ Facebook und Twitter seien dafür gemacht, um „Kontakt zu halten, aber nicht um zu argumentieren“, sagte Männle. „Sie dienen der direkten Ansprache der Wähler ohne Filterung durch die Medien“, stimmte Friedrich zu. Bestes Beispiel sei der amerikanische Präsident Donald Trump. Seine kurzen Twitter-Botschaften würden wegen fehlender Erläuterungen oft für Verwirrung sorgen.
Neuer Umgang mit Sprache
Piazolo brachte einen anderen Aspekt ins Gespräch. In den Medien greifen viele persönlich an und schreiben besonders drastisch, um überhaupt gehört zu werden. Jeder wolle den anderen überbieten. Das fange mit den Schimpf- und Schmähworten auf den Pausenhöfen der Schulen an. Man müsse genau schauen, wie weit das bereits gesellschaftsfähig sei.
Für Friedrich ist das Spiel mit Worten wie beim Poetry Slam oder beim Hiphop der Ausdruck eines neuen Umgangs mit Sprache. „Hiphop kann gut und künstlerisch sein, es gibt aber auch Ghettosprachen, oder frauenverachtende Sprache.“ Da müsse ein Bewusstsein für Werte geschaffen werden.
Worte und Zeit
Doch dafür fehle die Zeit. Piazolo: „Heute ist schnell eine Kamera und ein Mikrofon da und man muss etwas sagen. Das da das eine oder andere rauskommt, was nicht so gemeint war, ist normal. Leider fehle dann die Einsicht zu sagen, "ach pardon – das ist falsch ausgedrückt, das muss ich nochmal sagen. Die Bedeutung von Sprache ist in den Hintergrund gerückt. Immer wichtiger ist Schnelligkeit, Bewegung, Action.“
Das Thema Worte und Zeit bewegte die Sommerrunde sichtlich. „Die Qualität der Texte ist viel schlechter geworden“, wusste Fischer. In alten Filmen konnte man Texte und Bilder betrachten und wirken lassen. „Heute wird das kompensiert durch Geschwindigkeit, schnelle Schnitte oder Musikeffekte.“
Auch Männle erinnerte an vergangene Zeiten. „Früher stand fest: Gebildet war der, der viel gelesen hat, der die gesamte Literatur intus hatte, auch in Fremdsprachen. Wir haben Shakespeare und Camus in Originalsprache gelesen, aber als ich das erste Mal nach Paris kam und Milch kaufen wollte, ging das nicht.“ Heute würde der geistige Hintergrund nicht mehr gewertet. Wichtig sei jetzt, „dass ich mich hinstelle, frei sprechen kann und gut rüberkomme.“
"Bürger" oder "Bürger*innen"?
Wie sieht es mit der genderspezifischen Sprache aus? Macht es einen Unterschied, ob man von "Bürgern" spricht oder die Menschen mit "Bürger und Bürgerinnen" anspricht und beim Schreiben womöglich noch ein „Sternchen“ hinter das Wort anfügt, um damit Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen, nicht auszugrenzen? Für Karin Krug ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass das Ganze unverkrampft bleibe. Ob das Wort „Studierende“ statt Studenten etwas zur Gleichberechtigung beitrage, glaube sie nicht. Das fand auch Piazolo. Bei der Debatte reiche ein „Bürgerinnen und Bürger“ nicht aus. Das würde die Probleme, die ja ganz woanders und nicht in der Sprache liegen, nicht verschwinden lassen, stimmte auch Fischer zu und Krug ergänzte: „Vielleicht muss sich die Sprache nicht verändern, wenn das Gleichwertige von Frau und Mann gar nicht in Frage gestellt wird?“
Korrekte Anrede
Das sah Ursula Männle ganz anders. Ihr hatte die ehemalige Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner den Rat gegeben, darauf zu achten, dass die weibliche Form gebraucht werde. In ihrem früheren Amt war Berghofer-Weichner als Staatssekretärin angesprochen worden. „Als sie Justizministerin wurde, haben ihr die Herren des Ministeriums klargemacht, dass durch die Anrede „Frau“ bereits das Weibliche abgedeckt ist und es Frau Minister heiße. „Typisch, an der oberen Position kamen die Bedenken gegen eine weibliche Anrede. Da kommt das Machtverhältnis in der Sprache. Und deswegen lege ich Wert auf die korrekte Anrede. „Es muss in die Köpfe rein, dass auch eine Frau Ministerin sein kann und mit Frau Ministerin angesprochen wird.“
In der Sprache würden weibliche Attribute übrigens durchaus mit männlichen Artikeln versehen und umgekehrt. Männle: „Es heißt zum Beispiel „der Busen“, aber „die Brustbehaarung“.
Sprache ist ein Handwerk
Piazolo steuerte ebenfalls eine Anekdote bei. Vor kurzem sei er mit einer Polizistin ins Gespräch gekommen. Sie habe erklärt: „Ich bin Polizei, dein Freund und Helfer.“ Piazolo erwiderte: „warum nicht Freundin und Helferin“. Die Polizistin fand, dass dies „komisch“ klinge. „Stellen Sie sich vor, Sie hätten zu der Polizistin gesagt, 'die Polizei - dein Freund und Helfer' und die Polizistin hätte gesagt, „nein, die Polizei – deine Freundin und Helferin“, spann Peter Meyer die Situation weiter. Klinge unpassend, warum wusste die Tischrunde aber auch nicht.
Julia Fischer nennt sich übrigens auch „Sprecher“ und nicht „Sprecherin“. „Vielleicht hat das damit zu tun, wie klar sich der Mensch ausdrückt und was im Kontext mitschwingt." Zustimmendes Kopfnicken gab es abschließend für die Aussage von Karin Krug. „Sprache ist ein Handwerk. Damit man es beherrscht, muss man üben. Das ist die Mühe aber wert.“
Unsere Sommer-Frage
Gibt es ein Wort, dessen Verwendung Sie ärgert? Und haben Sie ein zutreffenderes dafür? Unsere Gäste antworten:
Julia Fischer: "Flüchtlingsbekämpfung". Damit assoziiere ich sofort Schädlingsbekämpfung. Das wird in diesem Zusammenhang auch bewusst so benutzt. Ich habe kein passenderes Wort dafür, weil es das Ganze überhaupt nicht geben darf.
Björn Friedrich: "Handysüchtig". Sucht ist ein medizinisches Problem, das man medizinisch und therapeutisch lösen muss. Nur wenn man auf das Handy schaut, ist man nicht gleich süchtig.
Karin Krug: Ich würde, wenn es um Leistung geht, das Wort "gut" durch das Wort "schön" ersetzen. Wenn ich gut bin, dann gibt es einen anderen, der ist besser ist, ich bin sofort in einer Leistungshierarchie. Wenn ich etwas schön mache, dann ist ein ästhetischer Ausdruck von mir verlangt.
Prof. Ursula Männle: Den Begriff „man“. Den würde ich ersetzen durch „ich“, "wir" oder "ihr". Der Begriff "man" führt dazu, dass sich niemand verantwortlich fühlt. Ich habe heute aufgepasst und ich habe zweimal "man" benutzt. Das hat mich geärgert.
OStD Peter Meyer: "Sozialschmarotzer". Das ist ein Begriff, den ich ganz schrecklich finde. Ich könnte es so umschreiben, dass jedes soziale System auch Möglichkeiten bietet, das System auszunützen.
MdL Michael Piazolo: "Flüchtlingswelle". Da hat jeder gleich ein Bild vor Augen. Ich würde eher sagen "Flüchtlingsthematik" oder so, das hat nicht gleich dieses Wertende und klingt sachlich.
Unsere Gäste
Bei unserem Sommergespräch diskutierten:
Julia Fischer (Sprecherin, Autorin – u.a. „Die Fäden des Glücks“)
Björn Friedrich (SIN - Studio im Netz e.V. )
Karin Krug (Gründungsmitglied fastfood theater )
Prof. Ursula Männle (Vorsitzende Hanns-Seidel-Stiftung)
OStD Peter Meyer (Schulleiter und Seminarvorstand Christoph-Probst-Gymnasium Gilching )
MdL Michael Piazolo (Generalsekretär Freie Wähler Bayern, Prof. der Politikwissenschaft )
Unsere Zeit und wir
Ehrenamtliche schenken Zeit, Kinder brauchen Zeit und Erwachsenen fehlt sie häufig: Unser redaktionelles Schwerpunktthema 2018 mit vielen Beiträgen dazu ist „Zeit“. Auch alle unsere Sommergespräche beschäftigen sich mit einem Aspekt der Zeit. „Gut Ding will Weile haben“, sagten schon die "Alten". Nehmen wir uns im immer schnelleren Kommunikationstakt zu wenig Zeit, um über unsere Wörter und die Dinge dahinter nachzudenken?
Alle unsere Gespräche
Lesen Sie hier alle unsere Sommergespräche:
Wann machen Veränderungen Angst?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2599)
„Eine Entschuldigung ist keine leere Floskel“
Wie gelingt Versöhnung?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2587)
"Wir bedeutet füreinander da zu sein"
Wer ist "Wir"?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2588)
Nehmen wir uns Zeit zum Zuhören?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2589)
"Zur Kreativität gehört Leerlauf"
Lassen wir Kindern genug Zeit zum Kindsein?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2593)
Wie werden wir älter?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2590)
"Man gibt etwas und bekommt viel zurück"
Warum übernehmen Menschen Ehrenämter?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2591)
Wie treffen wir Entscheidungen?
www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2592)
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