"Flüchtlinge sichern recht bald die Renten der Bürger"
Rentenexperte Holger Balodis erklärt, warum Schutzsuchende ein Gewinn für die Gesellschaft sind
Holger Balodis ist Rentenexperte, Fachreferent und Bestsellerautor (u.a. "Die Vorsorgelüge" und "Garantiert beschissen!"). Er sieht in den Flüchtlingen, die zu uns kommen, eine große Chance - auch zur Sicherung unserer Renten. Im Gespräch mit Johannes Beetz erklärt er, warum.
"Wann könnte es besser gelingen als jetzt?"
In den vergangenen Monaten haben viele Menschen bei uns Schutz gesucht. In Regionen wie München, wo der Wohnungsmarkt für Normalverdiener schwierig und Bauland knapp ist, wird die Unterbringung der Menschen zur Herausforderung.
Holger Balodis: Die Kanzlerin und der Bundesfinanzminister müssen schleunigst die nötigen Geldmittel zur Verfügung stellen, um menschenwürdigen Wohnraum und Integrationsanstrengungen für ein, zwei oder drei Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge zu finanzieren. Das kostet etliche Milliarden Euro. Doch wann könnte so etwas besser gelingen als heute, da die öffentlichen Haushalte so gut dastehen wie lange nicht mehr? Richtig angepackt wäre es ein Konjunkturprogramm, das sich langfristig sogar selber finanziert.
"Sie stabilisieren die Konjunktur"
Unternehmen sehen in Flüchtlingen die Chance, an dringend benötigte Fachkräfte zu kommen. Sie sehen ebenfalls eine Win-Win-Situation – nicht nur für die Wirtschaft, sondern für die Rentner. Wie sieht Ihre Rechnung aus?
Holger Balodis: Schon heute stabilisieren die Ausgaben für die Flüchtlinge die Inlandskonjunktur. Für das kommende Jahr rechnet das DIW mit einem erhöhten Wirtschaftswachstum von bis zu 0,3 Prozentpunkten. Bereits jetzt entstehen viele Tausend neue Arbeitsplätze bei Hilfsorganisationen, die den Flüchtlingsstrom managen. Das kostet, aber es bringt auch Einnahmen für Fiskus und Sozialkassen. Und schaffen wir es dann noch, die Menschen so zu qualifizieren, dass sie Arbeitsplätze finden, ist der Gewinn für die Gesellschaft offenkundig: 1 Million neue Arbeitskräfte erhöhen die Lohn- und Gehaltssumme durchschnittlich um 30 bis 40 Milliarden Euro. Allein in die Rentenkasse fließen rund 7 Milliarden Euro mehr pro Jahr. So finanzieren die Flüchtlinge schon recht bald die Renten der heute so „besorgten Bürger“. Und jedes Plus an Beschäftigung sorgt über die gültige Rentenanpassungsformel dafür, dass die Renten stärker steigen als ohne neue Arbeitskräfte.
"Schnell die Sprache lernen"
Wer Flüchtlinge in die Arbeitswelt einbinden will, muss eine ganze Reihe Hürden nehmen. Arbeitgeber etwa brauchen Sicherheit, dass ihre Beschäftigten nicht abgeschoben werden; sonst können sie nicht sinnvoll planen. Flüchtlinge müssen zügig Deutsch lernen können, um überhaupt Beschäftigung zu finden.
Holger Balodis: Es funktioniert natürlich nur, wenn die Flüchtlinge schnell die deutsche Sprache lernen und eine Chance auf Arbeit bekommen. Es funktioniert nicht, wenn sie subsidiär (also ohne Anerkennung als Flüchtling) nur ein Jahr bleiben dürfen oder stets Gefahr laufen, abgeschoben zu werden.
"Besorgte Bürger sollten sich entscheiden"
Die Union will den Familiennachzug begrenzen: Wem die Flucht vor dem Krieg in Syrien gelungen ist, soll seine Familie nicht zu uns in Sicherheit bringen dürfen. Sie sprechen sich gegen eine solche Einschränkung aus – wieder mit Blick auf die Renten.
Holger Balodis: Liegen uns die Renten-Pessimisten nicht seit Jahrzehnten in den Ohren, dass ohne höhere Geburtenzahlen die Sozialsysteme und speziell die Rentenkasse vor die Hunde gingen? Ja, was denn nun? So langsam sollten sich die besorgten Bürger also entscheiden: Haben Sie mehr Angst vor dem Kollaps der eigenen Rente oder vor jungen Syrern, die sich danach sehnen, endlich wieder in die Schule gehen zu dürfen, schnell Deutsch zu lernen und ihre Chance nutzen zu können.
Die Bundesregierung und wir alle sollten uns schließlich entscheiden, ob wir uns diese ökonomischen Wahrheiten endlich zu Eigen machen, uns mutig gegen die Hetzer am rechten Rand stellen und verkünden: „Ja, wir wollen das!“
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