Fastenbrechen mit Freunden
Pasinger Christen und Muslime tafeln nach Sonnenuntergang gemeinsam
Samstag, 28. August 2010, 20.12 Uhr. Für die in München lebenden Muslime ist das im Koran festgelegte Fasten im Fastenmonat Ramadan für diesen Tag beendet. Seit die Sonne um 4.50 Uhr den Morgen langsam heraufziehen ließ, haben sie keinerlei Speisen noch irgendwelche Getränke zu sich genommen. Unters Fastengebot fallen auch das Rauchen, Sex sowie böse Gedanken und arge Reden über andere. Viele Gläubige sind dem Ruf des Muezzins gefolgt, das Fasten mit einem Gebet zu beenden. Muezzine sind Ausrufer, die Muslime fünfmal täglich zu bestimmten Uhrzeiten auf Arabisch zum Gebet aufrufen. Ihr Ruf beginnt mit den Worten „Allahu akbar”, das heißt auf Deutsch: „Gott ist größer!". Muezzine sind keine Geistlichen, sie gehören zum Personal einer Moschee. Ihre Funktion ist nur sehr bedingt mit dem Läuten der Kirchenglocke durch den Mesner im Christentum vergleichbar.
Im Gebetsraum der Moschee in Pasings Planegger Straße werden um Punkt 20.12 Uhr – das ist die Stunde des wissenschaftlich errechneten Sonnenuntergangs an diesem Tag – Datteln als erste Speise gereicht. Auch die nichtmuslimischen Gäste, die zum „Iftar“ – dem Fastenbrechen nach Sonnenuntergang – eingeladen sind, bedienen sich an den Früchten. Junge Männer aus der Gemeinde hatten bereits zwei Tage zuvor damit begonnen, die große Garage der Moschee zu einem Festsaal umzufunktionieren. Schon um 19 Uhr sind die Tische gedeckt, die Speisen bereitet. Die ehrenamtlich arbeitenden Helfer haben alles soweit hergerichtet, dass sich die Gäste sogleich an den Tisch niederlassen können. Nach dem „Ritualgebet“, das der neue Imam der Pasinger Moschee, Bünyamin Uysal spricht, strömen rund 200 Gäste in den Saal. Neben Gemeindemitgliedern sind deutsche Freunde gekommen, um mit den Muslimen das Mahl einzunehmen: eine pikante Suppe, ein Yoghurtgetränk, Fleisch mit Reis und Gemüse, Salat und zum Abschluss schwarzen Tee mit Baklava – einem Gebäck aus Blätter- oder Filoteig, gefüllt mit gehackten Walnüssen, Mandeln oder Pistazien.
Zubereitet hat das alles Mehmet Taspinar. Der Koch ist aus Anatolien eingeflogen worden, um die Gemeinde jeden Abend während des Ramadan zu bekochen. Das wird mittlerweile von vielen Gemeinden so praktiziert, ist in Pasing zu hören. Es sei aussichtslos zu versuchen, in Deutschland eigens für den Fastenmonat einen Koch zu finden. Ein weiterer Grund sei: Die Speisen sollten schmecken. Die Fastenzeit der Muslime hat am 10. August begonnen, sie wird noch bis zum 8. September dauern. Am 9. September wird dann das Ramadan-Fest – der Bayram – gefeiert. Die Türken nennen es auch Zuckerfest, weil an diesem Tag die Kinder Süßigkeiten bekommen.
„Der Gast wurde von Gott geschickt“
„Unsere Türen sind offen“, erklärt Volkan Türlü. Der türkische Beauftragte für den interkulturellen und interreligiösen Dialog betont, Menschen aller Glaubensrichtungen seien an jedem Abend zum Fastenbrechen in der Pasinger Moschee willkommen. Eingeladen seien genauso jene, die nicht an Gott glauben. Für alle Muslime gelte der Satz: „Tanri Misafiri“. Das bedeute soviel wie „Der Gast wurde von Gott geschickt.“ Selbst ein überraschender Ansturm in der 250 Mitglieder zählenden Gemeinde kann Türlü nicht schrecken. „Hier ist noch nie jemand weggegangen, ohne satt geworden zu sein.“ Volkan Türlü spricht perfekt deutsch. So kann er gut erklären, was es mit dem „wandernden“ Ramadan auf sich hat: „Nach dem muslimischen Mondkalender verschiebt sich der Ramadan jedes Jahr um zehn Tage zurück.“ Weil er in diesem Jahr am 10. August begonnen habe, werde er also im nächsten Jahr am 1. August einsetzen. So wandere der Fastenmonat im Laufe der Jahre durch alle Jahreszeiten.
Türlüs Hauptaufgabe ist es, gemeinsam mit Günes Onur, seinem Kollegen, Besucher durch die Moschee zu führen. „6.000 bis 7.000 Besucher zählen wir jährlich seit der Eröffnung der Moschee im Jahre 1999“, so der Integrationsbeauftragte. Ihre Gäste seien Schulklassen von der Grundschule bis zu Gymnasien, Kindergartengruppen, Parteienvertreter und Mitarbeiter der Stadtverwaltung.
„Eine schöne Gästerunde“
Dieser Samstagabend ist für die Pasinger Gemeinde ein besonderer Abend. Gäste und Freunde sind von den Pasinger Muslimen zum Iftar geladen. Imam Bünyamin Uysal, Halil Ersoy, Vorsitzender der Gemeinde und Volkan Türlü heißen sie herzlich willkommen. Der Imam: „Durch Ihre Teilnahme am Fastenbrechen fördern Sie das gegenseitige Verständnis und die Toleranz.“ „Eine schöne Gästerunde von Muslimen und Christen“ sei das, meint der türkische Ditib-Landesbeauftragte für den interkulturellen Dialog Aykan Inan: „Unser Ziel ist es, den interreligiösen Dialog zu fördern.” In der Runde sind sogar einige „Offizielle” vertreten. Zum Beispiel Lale Arci, Vize-Konsulin am Türkischen Generalkonsulat in München, Ekremhan Tuncer, Vorsitzender des Landesverbandes der Türkisch-Islamischen Union (Ditib) sowie deren Attaché für Religionsangelegenheiten in Oberbayern, Ali Ünal. Der bedankt sich bei den Gästen dafür, dass sie die Muslime „beim Fastenbrechen nicht alleine lassen. Wir freuen uns wirklich darüber, dass unsere deutschen Freunde hier sind.“ Für die Evangelisch-Lutherische Kirche überbringt Kirchenrat Rainer Oechslen, Islambeauftragter und zuständig für den interreligiösen Dialog, Grüße des bayerischen Landesbischofs Johannes Friedrich. Oechslen verurteilt das gerade erschienene Buch vom Mitglied des Bundesbank-Vorstandes, Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“. Darin greift Sarrazin – nicht zum ersten Mal – den Islam an. Oechslen: „Liebe Muslime, verzeihen Sie, dass es in Deutschland Menschen gibt, die sich in unqualifizierter Weise zum Islam äußern.“ Die Gemeinde könne sich der Solidarität der Christen in dieser Auseinandersetzung sicher sein.
„Respekt und Toleranz“
Freunde und Förderer der Gemeinde sind nicht zum ersten Mal in der Moschee. Sie pflegen den Kontakt. Zu ihnen gehört auch Ludwig Meier, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Pasing (PI 45). Meier: „Wir sind regelmäßig hier und suchen das Gespräch.“ Was gebe es Schöneres, als von Freunden zum Essen eingeladen zu sein, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen und sich an der Gesellschaft zu erfreuen. Meier versichert: „Jeder, der in München gemeldet ist, ist für mich ein Münchner, egal welcher Nationalität er angehört.“ Und: „Integration ist eine gemeinsame Aufgabe.“ Es gehe darum, durch das Verstehen des anderen, das von Respekt und Toleranz getragen sei, Vertrauen zueinander zu fassen und sich verantwortlich zu fühlen.
Ingeborg Ott ist seit der Eröffnung der Moschee vor elf Jahren eine „große Freundin“ der muslimischen Gemeinde. Der im Kulturforum München-West engagierten Frau ist es „ein Anliegen” die Gemeinde zu unterstützen und zu fördern. Sie setzt sich dafür ein, Muslime nicht auszugrenzen, sondern stattdessen in guter Nachbarschaft mit ihnen zu leben. So gebe es viele gemeinsame Veranstaltungen des Kulturforums mit der Pasinger Moschee, so Ott. „Mach aus dem Fremden den Freund“, lautet ein Text von Josef Reding, den sie während des Essens vorträgt. „Ich nehme sehr viel mit nach Hause und lerne viel“, sagt Dagmar Mosch (Grüne), Migrationsbeauftragte des Bezirksausschusses 22, Aubing-Lochhausen-Langwied. Mosch ist überzeugt davon, das Zusammenleben mit Andersgläubigen sei der Schlüssel dafür, dass Integration funktioniert.
„Viel trinken vor Sonnenaufgang“
Wie kommen Muslime mit dem Verzicht aufs Essen und aufs Trinken am Tage zurecht. Volkan Türlü: „Vom fünften Tag an gewöhnt sich der Körper daran. Dann hat man einen spirituellen Genuss.“ Türlü trinkt vor Sonnenaufgang sehr viel. „Ich speichere das. Dann komme ich gut über den Tag.“ Er hat festgestellt: „Beim Fasten habe ich wieder einen besseren Zugang zu meinem Körper und zu meiner Umgebung.“ Überdies freue er sich den ganzen Tag aufs Abendessen: „Ich lerne zu schätzen, was uns geschenkt wird und bin dankbar dafür.“ Auch die Schwestern Hicran und Ismihani Kandemir, 19 und 20 Jahre alt, sind vom Fasten überzeugt. Ismihani: „Es ist gesund und reinigt den Körper.“ Überdies habe sie festgestellt, dass sie während des Fastens bei weitem nicht so oft am Computer sitze wie sonst. Hicran erlebt: „Das Fasten schwächt das Ich. Es bringt einem seinen Glauben viel näher.“ Und: „Es bleibt mehr Zeit, über unsere Existenz nachzudenken und darüber, was nach der Welt kommt.
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