Erzählen Sie Ihre Wohn-Geschichte
Bürger recherchieren: Wem gehört unsere Stadt?

In München gibt es über 801.000 Wohnungen (Stand Neujahr 2019). Wem gehören sie? (Foto: job)
Die Mieten steigen, der Wohnraum ist nach wie vor knapp. Auf zeitnahe Entlastung ist nicht zu hoffen. München stößt an Grenzen.
Die Frage des Wohnens ist für viele Bürger längst zu einem existenziellen Problem mit schmerzhaften Folgen geworden: Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, verlassen ihre Heimatstadt, weil sie sich im Alter ihr Zuhause nicht mehr leisten können. In Familien müssen beide Elternteile arbeiten, um die Wohnung zu finanzieren – für Kind und Kegel bleibt wenig Zeit. Betriebe finden immer schwieriger Fachkräfte, weil die händeringend gesuchten Mitarbeiter in München keine Wohnung mehr finden. Junge Leute können kaum noch daran denken, eine Familie zu gründen, weil das nötige Nest unerreichbar geworden ist.
Woher rührt das Problem?
Woran liegt das? Welche Muster stecken hinter Wohnungsmangel und Mietenspirale? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten, denn die Eigentumsverhältnisse vor allem in größeren Städten wie München sind oft nicht durchschaubar. Anders als zum Beispiel in Großbritannien gibt es in Deutschland kein öffentliches Immobilien-Register.
Der Bayerische Rundfunk und das Recherchezentrum Correctiv wollen zusammen mit den Münchner Wochenanzeigern und den Bürgern selbst herausfinden: Wem gehört die Stadt? Sie rufen wie in zwei anderen bayerischen Städten (Augsburg und Würzburg) die Menschen auf, Informationen zu ihrem Wohnverhältnis zur Verfügung zu stellen. In den vergangenen vier Wochen haben bereits etliche Münchner mitgemacht und unter br.de/wemgehoert Informationen zu den Eigentümern ihrer Wohnungen eingegeben und ihre Mietergeschichte erzählt.
Seriöse Recherche
Der Bayerische Rundfunk und Correctiv wollen so für alle transparent machen, was hinter der scheinbar ausweglosen Entwicklung steckt. Woran liegt es, dass die Miet-Preise so rasant steigen? Welche Rolle spielen institutionelle Anleger und Investoren am Markt? Wer profitiert von hohen Renditen? Woher kommt das Geld für Investitionen? Und wohin fließen die Gewinne aus den Mieteinnahmen hin? Um solche Fragen geht es bei der Bürgerrecherche "Wem gehört die Stadt?" Politik und Gesellschaft müssen Lösungen finden für die Krise auf dem Wohnungsmarkt. Das funktioniert nur, wenn sie wissen, wem die Städte gehört, wenn Strukturen und Muster erkennbar sind.
Hier kann jeder mitmachen
Bis zum 23. Februar kann hier jeder mitmachen: Teilen Sie Adresse und Eigentümer Ihrer Wohnung mit, laden Sie als Beleg zum Beispiel ein Foto Ihres Mietvertrages hoch, Eingaben überprüfen und absenden. Teilnehmen kann jeder, der in München und Umgebung wohnt.
Je mehr Bürger mitmachen, desto aussagekräftiger werden die Rechercheergebnisse. Datenjournalisten des Bayerischen Rundfunks und von Correctiv werten die eingehenden Informationen laufend aus. Über die Ergebnisse werden wir nach der Aktionsphase berichten.
Wer oder was ist Correctiv?
Correctiv ist das erste gemeinnützige Recherchezentrum im deutschsprachigen Raum. Correctiv arbeitet unabhängig und nicht gewinnorientiert. Die Redaktion finanziert sich ausschließlich über Mitgliedsbeiträge von Unterstützerinnen und Unterstützern und über Spenden. Mehr über Correctiv unter correctiv.org.
"Es haben schon über 1.000 Menschen mitgemacht"
Verena Nierle vom Recherche-Team des Bayerischen Rundfunks erklärt, warum konkrete Daten wichtig sind. Dass ihr Team neben drastischen Berichten auch von "Engeln" erfährt, schildert sie im Gespräch mit Johannes Beetz.
"Wir prüfen jeden einzelnen Eintrag"
Warum benötigen Sie für Ihre Recherche Kopien von Mietverträgen? Und wie gehen Sie mit den sensiblen persönlichen Daten darin um?
Verena Nierle: Es haben schon über 1.000 Menschen bei der Bürgerrecherche in München, Augsburg und Würzburg mitgemacht. Wir sind seit Tag eins dabei, die Informationen, die gespendet werden, zu verifizieren. Es soll ja niemand einfach irgendeinen Namen eintragen können. Und genau dafür, damit wir sorgfältig arbeiten können, brauchen wir einen Auszug aus dem Mietvertrag. Wir schauen uns jeden einzelnen Eintrag an, prüfen, ob die Adresse korrekt ist, ob die Angaben plausibel sind und mit den Daten im Mietvertrag übereinstimmen. Und dann fangen wir an zu kategorisieren: Sind die Vermieter Genossenschaften, internationale Investoren oder ist die Stadt selbst der Vermieter?
Zugang zu diesen Informationen hat nur ein kleines Team ausgewählter Datenjournalisten bei BR und Correctiv. Wir geben die Daten selbstverständlich nicht an Dritte weiter. Und natürlich werden wir keine Namen von Eigentümern und Vermietern eins zu eins veröffentlichen. Und wir werden auch keine Informationen oder private Dokumente veröffentlichen, die Rückschlüsse auf die Informationsgeber zulassen – es sei denn, sie erteilen nach Rückfrage ihre Zustimmung. Die Informationen, die wir bekommen, bilden die Grundlage für weitere, sorgfältige Recherchen. Das ist wie ein Puzzle, nach und nach setzen wir die Teile zusammen. Parallel dazu recherchieren wir andere, öffentlich zugängliche Daten und Fakten zum Wohnungsmarkt. Denn es geht bei der Bürgerrecherche nicht so sehr um den Einzelfall, sondern darum, Muster und Strukturen zu erkennen, und mehr darüber herauszufinden, was sich tut am Wohnungsmarkt.
"Fair vermieten ist möglich"
Sie haben ja schon eine ganze Menge Rücklauf erhalten. Welche Miet-Geschichten erzählen Ihnen die Münchner?
Verena Nierle: Ganz unterschiedliche. Die einen berichten von zum Teil drastischen Mieterhöhungen, wenn ein Haus den Eigentümer wechselt. Eine Rentnerin schilderte, dass sie deswegen sogar mit ihrem Mann aus München wegziehen musste: „Es ist traurig, dass man seinen Geburtsort verlassen muss, weil die Mieten immer höher werden“, hieß es in ihrer E-Mail. Und: Sie kenne weitere Münchner, denen es so gehe.
Aber auch positive Geschichten erreichen uns. Eine Frau schrieb zum Beispiel über ihren Vermieter: „Ein Engel von einem Vermieter!!! Er hat sich sehr um das Haus gekümmert, sehr zivile Mietpreise verlangt, sich an Reparaturkosten in der Wohnung beteiligt, obwohl er das gar nicht hätte machen müssen.“ Sie hofft, dass er dem „Mietwahn“ in der Stadt auch weiterhin nicht folgt.
Es machen übrigens nicht nur Mieter mit, auch Eigentümer melden sich und schildern ihre Sicht auf den Markt. Ein Ehepaar erklärte: “Wir sind sicher keine barmherzigen Vermieter, verlangen aber faire Mieten und haben ein sehr gutes Verhältnis mit unseren Mietern. Die Wertsteigerung der Wohnungen ist indes kaum zu glauben.“
Bisher stellen wir fest: Gerade private Vermieter oder städtische Unternehmen werden oft gelobt, aber auch größere, privatwirtschaftliche Unternehmen. Das zeigt, dass es offenbar möglich ist, marktwirtschaftlich zu handeln und gleichzeitig fair zu vermieten.
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