Eine Nacht für Luther
500 Jahre Reformation: Veranstaltungen im Dekanatsbezirk München
Hören, erleben, mitmachen – viele Gemeinden und Einrichtungen der evangelischen Kirche zeigen sich am Freitag, 27. Oktober, in ihrer ganzen Vielfalt. Von 18 bis 24 Uhr ist im Dekanatsbezirk München anlässlich des 500-jährigen Reformationsjubiläums nämlich die "Lange Luther-Nacht" geplant. Auf dem Programm stehen unter anderem Luther-Choräle, Vorträge, Luther-Filme und Ausstellungen.
500 Jahre Reformation – dieses Jubiläum feiert die evangelisch-lutherische Kirche an unterschiedlichen Orten und in sehr verschiedener Weise. Unter dem Motto „Am Anfang war das Wort – Luther 2017“ fanden und finden noch in ganz Deutschland zahlreiche Gottesdienste, Konzerte und weitere Veranstaltungen zum Reformationsjubiläum statt. Am Reformationstag 2016 wurde das Jubiläum mit einem großen Festgottesdienst in Berlin eröffnet. Im Zentrum der Feierlichkeiten stehen natürlich Luther-Städte wie Wittenberg. Aber auch die Münchner Kirchengemeinden und Einrichtungen gedenken mit zahlreichen Veranstaltungen des Reformators – auch wenn die protestantische Geschichte in München keine 500 Jahre alt ist.
Reformation heute
Als Martin Luther im Jahr 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel veröffentlichte (heute würde er dafür keine Schlosskirchentore, sondern ein Anzeigenblatt nutzen), löste er eine Bewegung sowohl im kirchlichen als auch im weltlichen Bereich aus. Viel hat sich in den vergangenen Jahrhunderten getan – es wurde erneuert, denn "reformare" bedeutet umgestalten, verändern.
In den vergangenen 500 Jahren wurde in Kirche und Gesellschaft viel umgestaltet. Blicken wir aber einmal auf unsere Gegenwart: Welche Dinge in Kirche oder Gesellschaft sind in die wichtigsten, die einer Umgestaltung bedürfen? Dazu befragten wir evangelische Geistliche:
"Geld darf nicht zum Gott, zum Mammon werden"
Pfarrer Karl Mehl, Auferstehungskirche Westend und Himmelfahrtskirche Sendling:
Reformation und Geld: Das ist der Aspekt, den ich aktuell häufig vermisse. Nur wenig wird der Luther gesehen, der in vielen Schriften die wirtschaftlichen Dynamiken seiner Zeit aufgreift und massiv kritisiert. Ein gerechtes Handeln ist für ihn die logische Konsequenz seiner Glaubensüberzeugungen. Für Luther gehört es dazu, dass die Ökonomie eine dienende Rolle einnimmt und nicht alles beherrscht. Geld darf nicht zum Gott, zum Mammon werden. Viele Menschen in den verschiedenen christlichen Kirchen engagieren sich in diesem Sinne für eine gerechtere Welt, nicht zuletzt Papst Franziskus, und dies mit dem Fokus auf Gerechtigkeit und nicht nur auf karitativen Ausgleich. Damit Reformation seinen Namen verdient, muss beides im Blick behalten werden: Rechtfertigung und Gerechtigkeit.
"Sich der Vielfalt der Menschen öffnen"
Pfarrer Hans-Martin Köbler, Himmelfahrtskirche Pasing:
Die Dinge verändern sich – und wir uns mit ihnen. Manches davon erleben wir als Bereicherung, anderes macht uns Angst. Die Frage lautet immer: Wie gehen wir damit um? Ich wünsche mir von meiner Kirche, dass sie sich noch mehr als bisher der Individualität und Vielfalt der Menschen öffnet. Ein aktuelles Beispiel ist die Öffnung der Trauung für schwule und lesbische Paare. Außerdem brauchen wir noch mehr Gelegenheiten und öffentliche Räume, in denen wir einander in unserer Unterschiedlichkeit begegnen können: Fremde wahrnehmen, gerade in ihrer Andersartigkeit und konstruktiv miteinander streiten. Jesus hat es uns vorgemacht: Besonnen, mutig, überraschend. Die Digitalisierung spielt dabei eine immer größere Rolle. Der Staat muss die dafür nötigen Rahmenbedingungen schaffen und auch die Kirchen sollten attraktiv und up to date in diesem Feld unterwegs sein.
"Weniger Dinge, mehr Zeit"
Pfarrerin Andrea Borger, Himmelfahrtskirche Sendling:
Wir brauchen eine neue Ethik der achtsamen Bescheidenheit. Was sind die Grundlagen für ein glückliches Leben? Gute Beziehungen, und dass ich frei sein kann von existenziellen Ängsten. Was müssen wir tun, damit alle Menschen die Chance auf ein solches Leben haben? Wir sollten, wenn wir in den Spiegel schauen, sagen können: Ich habe das mir Mögliche in dieser Richtung getan. Politische Ziele wie die Begrenzung von Reichtum und Einfluss gehören genauso dazu wie private Entscheidungen, den eigenen Lebensstil betreffend. Weniger Dinge, mehr Zeit. Alles fängt mit Gottvertrauen an und mit der Freude an dem uns geschenkten Leben und einer guten Gemeinschaft, die wir selber erleben und dann weiter mitgestalten können. Wenn wir uns darauf konzentrieren, dann kommen wir von selber darauf, was wir alles nicht brauchen.
Nicht zu Lasten der Nächsten leben
Dekan Christoph Grötzner, Apostelkirche Solln:
Mich bewegt die Lektüre des Buches von Prof. Dr. Stefan Lessenich: "Neben uns die Sintflut!". Als Soziologe beschreibt und analysiert Lessenich globale Lebenszusammenhänge und kommt zu dem Schluss: "Wir leben nicht über unsere Verhältnisse, sondern über die Verhältnisse der anderen." Mit dem Begriff "Externalisierung" beschreibt er, wie es gelingt, Problemzonen eigenen Lebens auf Kosten, zum Schaden und zu Lasten anderer ohne Verantwortungsübernahme auszulagern. Für mich trifft er damit den Nerv dessen, worum es geht und worin die wichtigsten Lern- und Umgestaltungsaufgaben für Kirche und Gesellschaft liegen, wenn wir dem nachfolgen möchten, der uns einlädt: Gott mit ganzem Herzen mit ganzer Seele und mit ganzem Verstand zu lieben und unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst.
"Jeder und jede von uns gefragt"
Pfarrerin Heike Immel, Simeonskirche Hadern:
Veränderungen geschehen gewinnbringend nur im Dialog, innerkirchlich aber eben auch zwischen Kirche und Gesellschaft. Deshalb ist es gut, wenn sich Kirche und Gesellschaft auch weiterhin im Dialog sind: Wenn das gelingt und die Botschaft ist, dass wir als Christinnen und Christen weiterhin Salz der Erde sein wollen in unserem Land, dann bin ich sehr froh. Leben in der Verantwortung vor Gott und den Menschen: klingt altmodisch, ist aber meiner Meinung nach hochaktuell. Martin Luther hat gesagt, dass die Bibel entscheidend ist für das Gewissen. Ich stelle mir vor, Luther würde auf unsere Gesellschaft heute schauen: Sicher würde er anprangern, dass wir so auf Geld, Erfolg und Konsum fixiert sind. Rechtfertigung aus Glauben allein ist da eine ganz andere Botschaft. Da bin ich frei, mich der Realität zu stellen, dass wir eine Welt sind, alle Menschen auf der Welt eine Lebensberechtigung haben und Gerechtigkeit nur gerecht ist, wenn wir alle Menschen in den Blick nehmen, egal welcher Hautfarbe, Nationalität oder Geschlecht.
Ja, das ist eine große Aufgabe, aber eine überlebensnotwendige, wenn ich an die Generationen nach uns denke. Wir haben heute schon eine Verantwortung für die Menschen von morgen: Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung dürfen keine leeren Worthülsen sein oder gar werden. Und da ist jeder und jede von uns gefragt. "Reformatorisch" heisst ja "selber denken". Du darfst lesen – deshalb hat Luther ja die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt und Schulen für alle gefordert – du darfst fragen, und du sollst aber auch denken.
Mir ist das ganz aktuell wichtig gegenüber all dem Fundamentalismus und Nationalismus, dem Rassismus und der Hetze, die sich leider gerade neu formieren. Ecclesia reformata semper reformanda – die Kirche der Reformation darf und muss sich immer wieder erneuern. Wir sollten keine Angst davor haben, mutig zu unserem Glauben stehen. Der gibt uns Haltung, wie er Luther vor dem Reichstag in Worms ermutigt hat. Und Menschen mit Haltung werden heute wahrhaftig gebraucht.
"Das Hamsterrad der Beschleunigung anhalten"
Pfarrer Michael Lorenz, Dietrich-Bonhoeffer-Kirche Germering:
Die heute wichtigste Reformation sollte in meinen Augen das Hamsterrad der Beschleunigung anhalten. Das wäre ein Segen für uns, für unsere Beziehungen und für unseren blauen Planeten. Die meisten Menschen ahnen es wohl, dass ständige Beschleunigung und Wachstum die Grenzen dessen sprengen, was unsere Erde verkraftet. Wirtschaft ohne Wachstum, das klingt unmöglich in unseren Ohren, ist es aber nicht. Es widerspricht nur den Denkmustern, in denen wir uns eingerichtet haben. Lasst uns daher wie Luther in die Irre führendes Denken bei Seite schieben, um Platz für das Notwendige zu schaffen: ein Gleichgewicht zwischen unseres Lebensweise und der Natur. Neue Studien zeigen, dass eine Wirtschaft ohne Wachstum funktionieren kann, wenn wir es politisch gestalten. Wir retten so nicht nur die Natur für unsere Enkel, sondern gewinnen Zeit für uns. Eine Konzentration auf das, was uns wirklich wichtig ist, bedeutet nicht Einschränkung, sondern Bereicherung.
Veranstaltungen in der Luther-Nacht am Freitag, 27. Oktober:
Auferstehungskirche, Westend (Gollierstr. 55):
18 Uhr: Einstimmung mit Pfarrerin Iris Geyer und Pfarrer Karl Mehl
18.30 Uhr: Gemeinsames Essen im Gemeindesaal, unter anderem mit der Spezialität selbst gebackene "Lutherköpfe".
19.30 Uhr: Auf der Kirchenempore werden Lutherlieder gesungen, erläutert durch kurze "Zwischenrufe". Danach kurze Pause.
21 Uhr: Dialog zum Thema "Luther und die Frauen".
21.45 Uhr: Der Gospelchor der Auferstehungskirche präsentiert ins Englische übersetzte Lutherlieder. Zum Ausklang singt der liturgische Chor mit Frater Gregor aus St. Paul eine Komplet. Zum Abschluss der Komplet und der Luthernacht singen alle gemeinsam Luthers "Gelobet seist Du Jesu Christ" mit Orgelbegleitung.
Reformations-Gedächtnis-Kirche, Hadern (Ebernburgstr. 12):
18 Uhr: Kirchenchor unter der Leitung von Michael Pfeiffer.
19 Uhr: Ökumenisches Taizé-Gebet.
20 Uhr: Konzert für Orgel und Flöte mit Organistin Swetlana Lang.
21 Uhr: Konzert des Posaunenchors.
22 Uhr: Gospel-Eve unter der Leitung von Ralph Schoeller.
23 Uhr: Andacht mit Veeh-Harfengruppe (Andacht: Andree Dammann, Leitung der Veeh-Harfengruppe: Gabriele Bauer)
Simeonskirche, Hadern (Stiftsbogen 74):
17 Uhr: Zum 125. Geburtstag Martin Niemöllers – Lesung mit Dekan Christoph Jahnel mit zeitgeschichtlichen Kommentaren von Pfarrerin Marion Gardei.
18.30 Uhr: Andacht.
19 Uhr: Offenes Singen.
20 Uhr: "Unsere Neue Simeonskirche" – Künstlergespräch mit Arichtekt Robert Rechenauer, Moderation Markus Raeder.
21 Uhr: Kirchenmusik mit Barbara Hintermever und Martin-Christoph Dieterich "Eine Reise durch die Welt der Blockflöten".
22 Uhr: Brot und Wein – Weinprobe und Brotverkostung mit einer Einführung von Markus Raeder und Matthias Eckel.
23 Uhr: Konzert für Orgel und Cello mit Markus Oberniedermayr.
24 Uhr: Abendsegen Pfarrerin Heike Immel.
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