Ein Fünftel bestimmt den neuen Chef
Dieter Reiter gewinnt eine Stichwahl, die den meisten Münchnern völlig egal ist
Es hätte die spannendste Entscheidung seit einer Generation werden können: die Stichwahl des Nachfolger des Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude. Doch das Duell stieß vor allem auf eines: Desinteresse. Nur 38,5 Prozent der Wahlberechtigten nahm an der Abstimmung teil - noch weniger als am ersten Wahlgang. Noch nie war eine Kommunalwahl in München so vielen Menschen egal.
Dieter Reiter gewann mit 56,7 Prozent der gültigen Stimmen die nötige Mehrheit, um Oberbürgermeister zu sein und die Führungsrolle der SPD fortzuführen. Sein Herausforderer Josef Schmid kam mit 43,3 Prozent auf einen so hohen CSU-Wert, wie ihn zuletzt nur Peter Gauweiler 1993 erreicht hat. Bezogen auf alle Wahlberechtigten konnte Dieter Reiter aber lediglich gut ein Fünftel der Münchner (21,7 %) hinter sich vereinen, Josef Schmid 16,6 %.
ver.di gratuliert Dieter Reiter
Dieter Reiter ist nach Hans-Jochen Vogel, Georg Kronawitter und Christian Ude der vierte Oberbürgermeister in Folge, der Mitglied der Gewerkschaft ver.di bzw. der Vorgängergewerkschaft ÖTV ist. "Ich freue mich, dass wir wieder einen Oberbürgermeister bekommen, der sich der Tradition der Arbeiterbewegung verbunden fühlt und den Wert der Arbeitnehmer zu schätzen weiß“, sagte Heinrich Birner, ver.di-Geschäftsführer in München.
Der Münchner Oberbürgermeister ist der oberste Verwaltungschef von rund 40.000 städtischen Beschäftigten. Hinzu kommt u.a. die Verantwortung als Gesellschaftervertreter für rund 8.000 Beschäftigte der Stadtwerke, 8.000 beim Städtischen Klinikum und 2.700 bei der Stadtsparkasse.
Birner ist überzeugt, mit Reiter im "Konzern Landeshauptstadt München" vieles "zukunftsweisend gestalten und Schwierigkeiten sachlich, pragmatisch und fair lösen zu können.“
Zusätzliche Ruderer im rot-grünen Boot?
Der neue Oberbürgermeister muss nun eine Mehrheit im Stadtrat finden. Dort ist künftig die CSU stärkste Fraktion, für das bisherige rot-grün-rosa Bündnis hat es nicht zu einer Mehrheit gereicht. Dieter Reiter will weitere "Mini-Gruppen" ins rot-grüne Boot holen, um München zu regieren. Angst vor einem instabilen Mehrparteien-Bündnis hat er nicht: "Es funktioniert auch nur mit einer Stimme, glauben Sie mir", meinte er am Wahlabend über eine Mehrheit, die er im Stadtrat zusammenbringen will. Sabine Nallinger von den Grünen feierte Dieter Reiters Sieg zusammen mit der SPD. Sie dürfte Anfang Mai zur zweiten Bürgermeisterin gewählt werden. Eine "neue Dynamik" will sie in das alte Bündnis bringen, eine "grünere Handschrift" soll im Rathaus erkennbar werden - z.B. in Sachen Verkehrspolitik und Stadtplanung.
"Unser Kurs stimmt"
Etwa 23.000 Wähler, die im ersten Wahlgang Sabine Nallinger gewählt hatten, nahmen laut einer KVR-Analyse nicht mehr an der Stichwahl teil: Jeder dritte Grünen-Wähler hat demzufolge weder Dieter Reiter noch Josef Schmid unterstützt. Hier sieht Josef Schmid Potential für sich: "Das macht uns Hoffnung für die Zukunft", sagte er am Montag. "Unser Kurs stimmt, wir setzen ihn unbeirrt fort", fügte er an, "die CSU ist die Partei, die konservative Werte in die Moderne übersetzt." Schmid warnte vor dem wahrscheinlichen rot-grünen Bündnis mit kleinen Zusatzpartnern, das wegen seiner hauchdünnen Mehrheit instabil sein werde. Münchens CSU-Vorsitzender Ludwig Spaenle rief die "Kleinen" dazu auf, sich nicht "zum Wurmfortsatz einer abgewählten, postensichernden Koalition" zu machen.
Der Bezirksvorstand der Münchner CSU forderte Josef Schmid am Montag einstimmig auf, sich für die nächsten beiden Jahren wieder als Fraktionsvorsitzender im Stadtrat zu bewerben. "Diese Aufgabe nehme ich sehr gerne an", meinte Schmid. "Wir bringen uns weiter ein, damit diese Stadt weiterkommt". Der CSU sei es gelungen, die politische Agenda zu bestimmen und Themen zu setzen, bilanzierte Wahlkampfleiter Georg Eisenreich. "Die Themen bleiben", ergänzte Josef Schmid, der eine geschlossene CSU hinter sich weiß, "wir sind nicht aufzuhalten!"
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