Ein besonderes Fleckchen Erde
Zu Besuch auf dem Gnadenhof Gut Aiderbichl Iffeldorf
Weitläufige Weiden und Koppeln umgeben ein schönes bayerisches Haus mit weißen Kalkputzwänden, Windläden aus Holz, typisch großen Dachüberständen und einem Balusterbalkon, von dem aus man einen guten Ausblick auf die angrenzenden Osterseen hat. Dahinter erhebt sich die mächtige Alpenkette. Wie schlafende Riesen sehen die Berge mit ihren schneebedeckten Gipfeln aus.
Um dieses oberbayerische Idyll perfekt zu machen, müsste nur die Sonne scheinen; auch ein bisschen Grün an den Bäumen wäre nicht schlecht. Aber anstatt Blätter hängen bunte Ostereier an den noch kahlen Zweigen und anstelle der Sonne strahlen Hansi und Martina Süß. Das Ehepaar braucht keine frühlingshaften Temperaturen, um Wärme im Herzen zu spüren; nur ihre Tiere, um die sie sich auf Gut Aiderbichl Iffeldorf im Landkreis Weilheim-Schongau jeden Tag voller Aufopferung kümmern können.
Ein Herzensort
Der Gutshof, vor dessen Haupthaus ein großer "Maibaum der Tiere" in den Himmel ragt, ist umzäunt. Betreten kann man ihn durch ein kleines Holztor. „Tor unbedingt schließen, freilaufende Tiere“, warnt ein Schild. Das weckt sofort die Neugierde der Besucher. Und tatsächlich hört man neben dem Plätschern des Löschteichs gleich Erika und Werner aufgeregt grüßen. Eine Infotafel samt Bildern der beiden Wasservögel erklärt die Geschichte der ausgesetzten Hausgans-Dame und ihres Ganters, die nun glücklich vereint auf Gut Aiderbichl leben dürfen.
Schnell wird klar: Dieser Ort ist nicht nur irgendein Gutshof, es ist ein ganz besonderes Fleckchen Erde, ein Herzensort. Denn auf diesem Gnadenhof dürfen Tiere, die schwere Schicksale erleiden mussten, bis zu ihrem letzten Tag in Frieden leben.
Star der Herzen
Neben Erika und Werner leben weitere 353 gerettete Tiere auf Gut Aiderbichl Iffeldorf – darunter Hunde, Katzen, Pferde, Ponys, Esel, Rinder, Schafe, Ziegen, Lamas, ein Alpaka, Schweine, Kaninchen und... "Das ist unsere Franzl und sie ist der Star der Herzen", lacht Gutsverwalter Hansi Süß und stellt uns die Kameldame Franziska vor. Aufgeregt trabt sie auf ihn zu, weiß, dass er niemals mit leeren Händen zu ihr kommen würde. Heute hat er leckere Karotten für sie dabei und die sibirische Schönheit lässt sich von ihm streicheln und kraulen.
Die Vertrautheit zwischen den beiden berührt, ist für den Zuschauer greifbar. Die enge Bindung geht auf einen schweren Schicksalsschlag zurück, den die inzwischen zwölf Jahre alte Kameldame erleiden musste: "Sie stammt ursprünglich aus einem Zirkus und wurde dort trächtig", erklärt Süß. "Da sie deshalb bei der Zirkusnummer nicht mehr mitwirken konnte, wurde sie uns 2010 zum Kauf angeboten. Wir wussten, dass sie Nachwuchs erwartete, jedoch nicht, dass Trampeltiere über 400 Tage trächtig sind. Nach dieser langen Wartezeit brachte Franziska endlich ihren Sohn zur Welt, den unsere Unterstützerin Gertraud Gruber nach mir benannte."
Doch das Mutterglück hielt leider nicht lange an: "Hansi verstarb nach nur vier Monaten an einem Herzfehler, wohl wegen Inzucht. Die Trauer unserer Franzi war unermesslich, sie hat nur noch geschrien." Noch immer sieht man in den Augen des Gutsverwalters das Mitgefühl und den Schmerz – Erinnerungen, die niemals verblassen werden. Um das trauernde Tier zu trösten und es zum Fressen zu animieren, schlug er zusammen mit seiner Frau in Franziskas Stall sein Lager auf. Tag und Nacht verbrachte das Ehepaar bei ihr, bis ihr Kummer nachließ. Dieser bedingungslose Zusammenhalt schuf eine tiefe Verbundenheit, die bis zum heutigen Tag zwischen den dreien spürbar ist.
Vom Milchbetrieb zum Gnadenhof
Wie für Franziska haben Hansi und Martina Süß für alle ihre tierischen Gutsbewohner ein offenes Herz, Respekt und Mitgefühl. Das war schon im Jahr 2010 so, als das Ehepaar in Iffeldorf den Hof übernahm, der damals noch ein Milchbetrieb war. Schnell merkten sie, dass der Leistungsdruck auf die Kühe zu hoch, der Milchpreis hingegen zu niedrig war. "Es war nicht rentabel. Die Lösung wären nur noch mehr Kühe, noch mehr Milch, noch mehr Leistung gewesen. Das machte uns unglücklich und war nicht, was wir wollten", gibt der Tierschützer zu.
Ein Besuch auf Gut Aiderbichl Deggendorf erweckte in den Landwirten den Wunsch, selbst zu Gut Aiderbichl zu gehören. Sie wandten sich an den Gründer Michael Aufhauser, doch es fehlte an finanziellen Mitteln, denn kurz zuvor konnten endlich die 38 Labor-Schimpansen im österreichischen Aiderbichl Henndorf aufgenommen werden. Die Bilder der Freilassung der Primaten, die noch nie zuvor Frischluft gerochen und Sonnenlicht gesehen hatten, eroberten damals die Medien.
Das Schicksal war Familie Süß gewogen: Gertraud Gruber, die Gründerin der ersten Schönheitsfarm in Europa, wünschte sich ein Gut Aiderbichl in der Nähe vom Tegernsee und versprach finanzielle Unterstützung. So konnte der Herzenswunsch des Ehepaars realisiert werden und es folgten zwei Jahre Bauzeit. 2012 öffnete Gut Aiderbichl Iffeldorf als drittes besuchbares Gut neben Henndorf und Deggendorf seine Tore für Besucher. Als Dank an die Spenderin trägt der Hof auch den Beinamen „Gertraud Gruber Osterseehof“.
"Jedes Tier hat seine Daseinsberechtigung"
"Auf den insgesamt 26 Gut Aiderbichl Höfen in Deutschland, Österreich, Frankreich und der Schweiz leben rund 6.000 gerettete Tiere", fasst Sonja Großmann von der Guts- und Stiftungs-Gesamtverwaltung zusammen. "Jedes Tier hat seinen eigenen Namen, sein eigenes Schicksal und seine Daseinsberechtigung." Auf Infotafeln, die an den Ställen und Gehegen angebracht sind, können die Besucher sich ausgiebig über die tierischen Bewohner und ihren Leidens- und Lebensweg bis zum Aiderbichler informieren.
Ob dreibeinige, fünfbeinige oder blinde Kühe, Ponys mit Leukämie, Pferde mit Arthrose, altersschwache, vorm Schlachter geflohene, von Menschen verstoßene, misshandelte oder traumatisierte Vierbeiner: Sie alle dürfen auf Gut Aiderbichl sein wie sie sind und sich in Sicherheit und Geborgenheit wissen. "Bei ihren festen Pflegern und Bezugspersonen lernen sie, nach und nach wieder Vertrauen zum Menschen aufzubauen und sich wieder zu entspannen", weiß Großmann. "Und wenn ich auf unseren Höfen unterwegs bin und den Tieren Hallo sage, merke auch ich, wie die Anspannung des Tages von mir abfällt."
Dies können Gutsverwalter Hansi und seine Frau Martina Süß nur bestätigen. Ob Sommer oder tiefster Winter: Sie lieben ihre Arbeit mit den Tieren. "Die Dankbarkeit, die uns unsere geretteten Viecherl entgegenbringen, lässt uns jedes Mal das Herz aufgehen. Sie erkennen uns, begrüßen uns und sagen – jedes auf seine ganz eigene Weise – Danke. Dieses großartige Gefühl ist uns alle Mühen wert."
Ostermarkt und Ferienprogramm
Wer Gut Aiderbichl Iffeldorf näher kennenlernen möchte, kann den Familienausflug noch bis Sonntag, 8. April, mit dem Besuch des Ostermarktes verbinden. Neben Deko-Gegenständen und Geschenkideen gibt es auch ein Rahmenprogramm für Groß und Klein. Zudem erfahren Besucher in einer Sonderausstellung vieles über aussterbende Tierarten. Auch in den Ferien ist jede Menge geboten: Jedes Wochenende und an Feiertagen können Kinder von 9 bis 18 Uhr an der Bastelstation kreativ sein, sich auf der Heuhüpfburg austoben, oder bei der Pony- und Eselpflege mithelfen.
Der Eintritt zum Gut Aiderbichl beträgt 8 Euro für Erwachsene und 3,50 Euro für Kinder (4 bis 14 Jahre). Kinder unter 4 Jahren haben freien Eintritt. Weitere Infos rund um die Aiderbichl-Gnadenhöfe und ihre Tierschutz-Projekte, Spenden und Patenschaften sowie zum Ostermarkt gibt es unter www.gut-aiderbichl.com im Internet.
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