"Die Rechnung wird kommen"
Sommergespräch über Schulden, Banken und die Zukunft des Euro
Wie sicher ist unser Geld? Wie steht es um die Zukunft des Euro? Müssen die Reformen in den südeuropäischen EU-Mitgliedsländern dringend fortgesetzt werden oder werden so Volkswirtschaften kaputtgespart? Müssen Länder aus dem Euro austreten können? Wer muss was verantworten? Was muss neu geregelt werden? Darüber haben sich beim Sommergespräch im Hirschgarten vier Politiker und ein Bankchef die Köpfe heiß geredet: Heinz Schneider, Vorstandsvorsitzender der Raiffeisenbank München Süd, die Landtagsabgeordneten Michael Piazolo (Freie Wähler), Florian Ritter (SPD) und Georg Eisenreich (CSU) sowie der Münchner FDP-Ortsvorsitzende und Landtagskandidat Daniel Föst. Einen stabilen Euro benannten alle als ihr Ziel. Einig waren sich die Politiker auch darüber, dass das Vertrauen der Bürger zu Europa gestärkt werden müsse.
Die Entwicklung in Zypern habe viele Leute verunsichert, berichtete Heinz Schneider, er sei in den letzten Wochen verstärkt von den Kunden darauf angesprochen worden, ob ihre Ersparnisse wirklich sicher seien. "Ich konnte sie beruhigen. Die Situation ist hier eine andere. Ich kann natürlich nur für die Volks- und Raiffeisenbanken sprechen, aber das Gleiche gilt auch für die Sparkassen. Wir haben ein funktionierendes Sicherungssystem, da braucht man sich keine Sorgen zu machen." Das niedrige Zinsniveau sorge allerdings dafür, dass die Leute nach Alternativen suchen und bei Instituten mit Sitz im Ausland anlegen. "Wer hohe Zinsen will, der muss auch ein hohes Risiko in Kauf nehmen. Ich halte es für einen Fehler, wenn man erwarten kann, dass es der Staat schon richten wird", kommentierte er mit Blick auf die pleite gegangene isländische Kauphting-Bank. "Jeder muss schon die Verantwortung für sein Handeln übernehmen." Das Vertrauen in die deutschen Banken sei immer noch sehr hoch. Auch die Politiker am Tisch äußerten ihr Vertrauen in das deutsche Bankensystem.
"Mit der heutigen Kenntnis wäre der Euro so nicht gekommen"
"Ich wünsche mir, dass die Optimisten Recht behalten und das Geld für alle sicher ist", erklärte CSU-Abgeordneter Eisenreich. "Aber ich hätte mir auch schon früher gewünscht, dass die Optimisten Recht behalten hätten. Wir haben heute fundamentale Probleme in Europa. Mit der heutigen Kenntnis wäre der Euro nicht in dieser Form gekommen. Das war alles gut durchdacht mit den Stabilitätskriterien, aber dass sie über Jahre so offensichtlich – und ohne Konsequenzen – nicht eingehalten wurden, das hat man damals nicht gedacht, und man würde es heute auf jeden Fall anders machen müssen. Wer die Bankschulden und die Staatsschulden in Europa zusammenzählt, der kommt zu dem Ergebnis, dass das nicht zurückgezahlt werden kann. In irgendeiner Form wird die Rechnung kommen. Wie, das weiß heute noch keiner – ob über eine Inflation oder einen Schuldenschnitt. Deswegen muss man aus dieser Krise lernen, und der Reformeifer in Europa darf nicht nachlassen."
"Das Schlimme ist, dass die Verträge nicht eingehalten wurden", merkte Michael Piazolo an. Und die Stabilitätskriterien, hakte Eisenreich ein, seien von Rot-Grün unter Schröder gleich mal aufgeweicht worden. Griechenland habe sie von vornherein nie eingehalten und hätte gar nicht aufgenommen werden dürfen.
Schulden: ein weltweites Problem
Staats- und Bankschulden seien nicht nur ein Problem der Eurozone, sondern ein weltweites Problem, gab Daniel Föst zu bedenken. Der Euro sei nicht der Grundauslöser für das Staatsschuldenproblem. Bankchef Heinz Schneider benannte den tiefer liegenden Missstand: eine Finanzwelt, die sich von der realen Wirtschaftswelt abgekoppelt hat. Sorge bereite ihm das riesige Volumen an Verpflichtungen aus Derivaten (finanzwirtschaftliche Verträge, Anm. d. Red.) außerhalb der Bilanz von Banken. "Meine Angst ist, wenn das mal kippt, dass das keiner mehr steuern kann", sagte Schneider. "Das ist etwas, wofür die Politik weltweit Regeln finden muss."
Zocken ohne realen Gegenwert
"Schön, dass man das aus der Bankenwelt hört", sagte Michael Piazolo. Sparkassen und Raiffeisenbanken seien es zwar nicht gewesen, aber bei den anderen Banken sei das Modell doch bisher gewesen: Zocken ohne realen Gegenwert, immer auf der Jagd nach dem schnellen Geld. Dass die Finanzmärkte reguliert werden müssen, darüber waren sich alle am Tisch einig. Die Schwierigkeit: "Wenn etwas in einem Land verboten ist, in zahlreichen anderen aber nicht, dann bringt das nichts. Wir bräuchten globale Regelungen", sagte Georg Eisenreich. – "Aber natürlich bringen nationale Regelungen etwas", widersprach ihm Florian Ritter. "Wir brauchen dringend ein Verbot bestimmter Finanzprodukte. Ich denke beispielsweise an Kreditversicherungen, die unabhängig von Krediten gehandelt werden und die letzten Endes dazu beitragen, dass man auch auf Staatspleiten spekulieren kann. Wenn Sie das in Deutschland oder ganz Europa verbieten und unter Strafe stellen, wird das zurückgehen."
"Auf den Finanzmärkten halte ich das für ausgeschlossen", widersprach Heinz Schneider. Auch Daniel Föst sagte: "Die Finanzwelt ist die globalste Wirtschaft der Welt. Finanzströme lassen sich national nicht steuern." Erste Bemühungen seien ja, viel zu langsam aber immerhin, mit den Basel-III-Regeln in Gang gekommen. "Man kann sich aber nicht hinstellen und sagen, eine nationale Regelung bringe nichts, und das Ganze auf den Sankt-Nimmerleinstag verschieben", meinte Florian Ritter. Da stimmte ihm CSU-Kollege Eisenreich zu: "Man kommt nicht aus der Pflicht, selber möglichst viele Verbündete zu suchen und gemeinsame Regelungen auf den Weg zu bringen." Um Europa in der Staatsschuldenkrise zu stabilisieren und die Wettbewerbsfähigkeit einiger Länder wiederherzustellen, dürfe man mit den Reformen nicht nachlassen, fügte Eisenreich hinzu.
Gewinne für die Banken, Verluste für die Steuerzahler
"Aber nicht mit denen, die man jetzt macht", hakte Michael Piazolo ein. Die Banken seien doch schon wieder dabei, genau das Gleiche zu machen wie zuvor. "Es ist viel zu viel Geld im Markt, es beginnen Spekulationsblasen. Man hat in den Jahren zuvor den Banken doch erlaubt, große Gewinne einzufahren und in dem Moment, als Verluste kamen, hat man diese Verluste sozialisiert, umgelegt auf den Steuerzahler durch die Rettungsschirme. Und jetzt haben die Banken wieder Geld und es beginnt das gleiche Spiel von vorne – mit ein paar wenigen neuen Regeln."
Über die Vergemeinschaftung der Verluste seien viele Bürger sehr verärgert, meinte Georg Eisenreich. Und genauso ärgere es die Leute auch, wenn sie für Schulden anderer Staaten haften sollten: "Wer Schulden macht, muss die Schulden auch selber zahlen." Eine Haftungsunion oder Eurobonds müsse man auf jeden Fall verhindern. "Dem stimme ich ja zu", entgegnete Michael Piazolo, "aber Ihr habt Euch anders politisch verhalten: Die CSU hat dem ESM zugestimmt, und da sind genau diese Dinge drin, auch eine Haftungsunion und Schuldenunion."
"Es ging ja nicht darum irgendwelche Banken zu retten, denen es nicht so gut ging, sondern es ging darum Volkswirtschaften zu retten", rechtfertigte Florian Ritter, und das sei nicht anders möglich gewesen. Banken müssten jetzt aber auch ihren Teil leisten, dass sie nicht ganze Volkswirtschaften runterziehen können. Wenn man frage, ob der Euro Schuld sei, müsse man sehen, dass der Euro die Währung sei, die die Rettungsaktionen erst möglich gemacht habe.
"Das sehe ich anders", meinte Piazolo. "Ohne Euro ginge es den Griechen und Spaniern heute besser."
"Banken und Staaten müssen abgewickelt werden können"
Daniel Föst erklärte, die Politk habe nicht anders handeln können: "Man stand mit dem Rücken zur Wand." Nun müsse man aber eine Regelung finden, dass Banken insolvent gehen und abgewickelt werden können. "Auch Staaten müssen abgewickelt werden können." Dann habe man auch das Haftungsproblem da wo es hingehöre.
"Länder müssen aus dem Euro austreten können"
"Europa ist mehr als der Euro", betonte Georg Eisenreich. Es müsse auch die Möglichkeit geben, dass Länder in der Europäischen Union verbleiben, aber aus dem Euro ausscheiden und durch die Abwertung der Währung ihre Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangen. "Das würde aber nur bei einer stark exportorientierten Wirtschaft etwas bringen", entgegnete Florian Ritter, was ja bei Griechenland nicht der Fall sei. "Bei Griechenland haben wir den Ausstieg verpasst, dafür ist es schon zu spät", stellten Daniel Föst und Heinz Schneider fest.
Griechenland: reformiert oder kaputtgespart?
Michael Piazolo wies darauf hin, dass Griechenlands Haupt-Wirtschaftszweig der Tourismus sei, und da sei die Situation inzwischen so, dass die Deutschen lieber in die Türkei fahren, weil sie dort die gleichen Leistungen für weniger Geld bekämen. In Griechenland liege die Jugendarbeitslosigkeit inzwischen bei 65 Prozent, die allgemeine Arbeitslosigkeit bei 27 Prozent, die Wirtschaftszahlen seien um mehr als ein Drittel eingebrochen. Tausende von Lehrern würden entlassen: "Das zeigt doch, dass die Reformpolitik nicht funktioniert", fand Piazolo. Georg Eisenreich dagegen plädierte dafür, die Reformen fortzusetzen, auch wenn es ein steiniger Weg für die Bevölkerung sei. Schließlich sei bekannt, dass der griechische Staatsapparat aufgebläht sei. Man käme wohl nicht umhin, Beamte zu entlassen, und dass es ausgerechnet Lehrer seien, liege in der Verantwortung der griechischen Politiker.
Florian Ritter wies daraufhin, dass die Kanzlerin und die Troika den Griechen sehr genaue Sparvorgaben machten, was etwa bei Personal oder im Gesundheitswesen eingespart werden muss. "Und es war Bedingung, dass sämtliche Rüstungsaufräge, die nach Deutschland und Frankreich vergeben waren, aufrecht erhalten bleiben. Da wird nichts gespart!" Maßnahmen, um die Wirtschaft anzukurbeln, seien vernachlässigt worden.
"Die EZB darf keine Politik machen"
Angesprochen wurde auch die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB): Sie dürfe keine Politik machen, was aber de facto der Fall sei, wenn sie unbegrenzt Staatsanleihen aufkauft, gab Piazolo zu bedenken: "Da geht es um Billionen, die wir überhaupt nicht im Griff haben." Von einem "Konstruktionsfehler" sprach Daniel Föst in diesem Zusammenhang. Die EZB habe die Aufgabe, für die Stabilität der Währung zu sorgen, erklärte Georg Eisenreich, dürfe aber nicht schleichend dazu übergehen Staaten zu finanzieren, dafür habe sie nicht das Mandat (siehe auch Statement von Peter Gauweiler).
Vertrauen in Europa stärken
Seine Sorge sei, dass der Euro gerettet wird, darüber aber das Vertrauen der Bürger zu Europa verloren gehe, sagte Michael Piazolo: "Ich hoffe, das sehen wir nicht nächstes Jahr bei der Europawahl." Heinz Schneider äußerte sich kritisch über das schnelle Wachstum Europas. "Europa muss konsolidiert werden", stimmte Daniel Föst zu. Die Mehrheit der Deutschen sei inzwischen europakritisch. "Die Maastricht-Verträge waren gut, man braucht sie gar nicht zu verändern, aber sie müssen eingehalten werden. Dafür brauchen wir einen Sanktionsmechanismus", forderte Föst.
Volksabstimmungen
Georg Eisenreich überraschte die Runde mit der Forderung nach Volksabstimmungen zu wichtigen europäischen Fragen – sein Vorschlag für einen Weg zu mehr Vertrauen. "Warum hat die CSU dann bei allen Initiativen im Bundestag dagegen gestimmt?", fragte Florian Ritter. Wenn er die Bürgerbeteiligung stärken wolle, dann solle er doch zu den Freien Wählern kommen, lud Michael Piazolo seinen Kollegen Eisenreich ein. "Ihr setzt sie ja nicht durch!", entgegnete Eisenreich. – "Ihr auch nicht!", konterte Piazolo.
"Wir müssen das Europäische Parlament stärken", forderte Daniel Föst. "Und wir geben die falschen Kompetenzen nach Europa ab." In wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen müsse es europäische Lösungen geben, nicht bei Glühbirnen. Florian Ritters abschließende Forderung war, die Finanzmärkte vernüftig zu bändigen, um künftigen Krisen vorzubeugen.
Wer nimmt wen mit?
Die obligatorische Abschlussfrage unserer Sommergespräche lautet: Wen aus dieser Runde würden Sie mitnehmen, wenn Sie 30 Schulkinder durch München führen müssten? Florian Ritter meinte spontan: "Am besten einen Professor", also Michael Piazolo. Heinz Schneider würde Georg Eisenreich mitnehmen, weil der Bildungspolitiker ist und die Schüler gleich mit ihm über das acht- oder neunjährige Gymnasium diskutieren könnten. Michael Piazolo würde Heinz Schneider mitnehmen, weil dann über das Thema Geld und Euro gesprochen werden könnte, was für die Kinder ein wichtiges Zukunftsthema sei. Auch Daniel Föst entschied sich für den Bankchef, weil grundlegendes Wissen zu unserem Wirtschafts- und Währungssystem nicht weit genug verbreitet sei. Georg Eisenreich entschied sich für seinen SPD-Kollegen Florian Ritter, "weil ich ein Fan von Volksparteien bin."
Das sagt der Euro-Kritiker MdB Peter Gauweiler (CSU)
"Durch die „Euro-Rettung“ wird die als Stabilitätsunion konzipierte Wirtschafts- und Währungsunion in eine Haftungs- und Transferunion umstrukturiert. Zwar gibt es gegen ständig neue Kapitalerhöhungen Parlamentsvorbehalte, aber diese stehen nur auf dem Papier. So überträgt der ESM-Vertrag die Verfügung über Steuergelder in dreistelliger Milliardenhöhe einem demokratisch nicht legitimierten Gremium, dessen Direktorium gegen den Willen Deutschlands Kapitalabrufe für hohe Milliardenbeträge beschließen kann. Mit der Ankündigung unbegrenzter Ankäufe von Staatsanleihen der Problemstaaten ist der EZB letzten September außerdem schlagartig gelungen, was die Eurostaaten mit ihren ständig aufgestockten Rettungsschirm-Milliarden nicht geschafft hatten: die Finanzmärkte zu beruhigen und das Zinsniveau der Problemstaaten drastisch zu senken. Und während sich die EZB noch im Glanze des Erfolges sonnt und die Medien ihren Präsidenten als eine Art Euro-Superman feiern, geht die Demokratie vor die Hunde."
Das sagt Grünen-Fraktionsvorsitzende MdL Margarete Bause
Um es gleich vorauszuschicken: Wir brauchen die Europäische Union, weil wir im 21. Jahrhundert viele Fragen einfach besser gemeinsam anpacken als jeder Staat einzeln für sich. Und für mich steht Europa für Frieden und Zusammenwachsen von Staaten und Menschen unterschiedlicher Herkunft. Doch die Eurozone steckt in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Die bisherige Krisenpolitik von Schwarz-Gelb hat dazu beigetragen, dass immens viel Vertrauen auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger verloren gegangen ist. Wir fordern deshalb für die Zukunft eine strikte und effektive Aufsicht und Regulierung aller Banken. Nicht die Steuerzahler sollen für die Risiken haften, sondern die Banken, Manager und Anleger. Wir wollen darüber hinaus, dass Manager persönlich für ihr Handeln haften. Alle Banken sollen in einen Fonds einzahlen, der im Krisenfall einspringen muss. Dass hier sehr viel in Schieflage ist, zeigt dieser Vergleich: Die Deutsche Bank hat 30 mal mehr Schulden als reales Geld. Wer hingegen als mittelständisches Unternehmen oder als Privatperson investieren will, braucht Sicherheiten und rund ein Drittel Eigenkapital. Und ganz grundsätzlich wollen wir Vermögende in Europa durch höhere Steuern an den Kosten der Bankenkrise beteiligen.
Was denken Sie?
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Unser nächstes Sommergespräch
Dass man in der Politik unterschiedliche Meinungen haben kann, ohne sich gleich an die Gurgel zu gehen, zeigt unser nächstes Sommergespräch. Wir haben OB-Kandidat Josef Schmid, Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch, MdB Peter Gauweiler, die Landtagsabgeordneten Georg Eisenreich, Andreas Lorenz, Florian Ritter, Tobias Thalhammer und Andreas Lotte sowie den Münchner FDP-Chef Daniel Föst zu einem zwangslosen Boccia-Spiel eingeladen. Lesen Sie mehr im nächsten Samstagsblatt.
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