Der Schreihals
Die Nächte auf der Piazza sind ruhig, obwohl hier einhundertzwanzig Appartements um die Piazza herumgebaut sind. Selbst der Verkehr kommt nur gedämpft hinein. Man kann also mit offenem Fenster schlafen, die kühle Luft hineinlassen und seinen Schönheitsschlaf genießen.
Meistens. Es sei denn, Laurentin kriegt seinen Rappel. Trotz seines seltenen Namens ist seine Herkunft leicht zu verorten. Man hört manchmal nachts seinen schweren Ruhrpottdialekt über die Piazza quengeln. Mitten in der Nacht, sagen wir zwischen zwei und vier, reißt er seine Balkontür auf, stürmt hinaus, lehnt sich, Gott weiß warum, weit über das Geländer und beginnt jemandem am Handy sein Geschäftsmodell zu erklären. Unaufhaltsam poltern die Worte, Sätze, Phrasen und Plattitüden über seine Lippen. Von trainierten Stimmbändern werden sie zielgerichtet an den Zuhörer, den, leider anders als wir, ewig weit entfernten Empfänger der Botschaften.
Ach, würden die Laute doch alle in diesem kleinen Loch im Mobilfunktelefon versickern, dann käme ich nicht in Versuchung, nachzudenken, welche der vielen strafbaren Möglichkeiten, diesen Nachtstörer zum Schweigen zu bringen, die beste wäre. Ich fürchte, alles käme seiner Gesundheit und meiner Freiheit nicht gut zustatten. Er redet und redet.
„Hey, Kumpel, wir wollen schlafen, geht das nicht leiser?“
Er erklärt gerade ungerührt etwas über Franchising. Völlig falsch übrigens.
„Ruhe verdammt, es ist mitten in der Nacht.“
Nichts. Mein Blutdruck steigt. Meine Rachephantasien werden immer radikaler. „Mach, dass du in deine Bude kommst, sonst krachst.“
Keine Reaktion. Oh Mann, ein stocktauber Ignorant telefoniert bei schlechter Verbindung mit Obumba, Cincinnati, USA oder so.
Stinkbomben, Kakerlaken, Tretminen ...
Grrrr. Ich schließe das Fenster. Werfe mich ins Bett, stecke meinen Kopf unters Kissen und fluche mich in den Schlaf. Morgen, morgen werde ich ihn ...
Unsere nächste Geschichte von der Piazza an der Bo gerät jemand "Unter Verdacht".
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