Der Platz für alles, was wirklich wichtig ist
Ein kleiner Ausflug in die Geschichte - und zurück mitten ins Heute
Marktplätze sind das Herz unserer Gemeinden, Viertel und Städte - denn sie sind weit mehr als Orte, an denen Dinge ver- und gekauft werden. Das ist seit Tausenden von Jahren so: Die antiken Griechen erfanden die "agora", was wir mit "Marktplatz" übersetzen. Dort wurde nicht nur um Waren gefeilscht, sondern einander auch Neuigkeiten erzählt, Freundschaften geschlossen, Streitfragen diskutiert, Entscheidungen getroffen, Urteile gefällt. Die Agora, der Marktplatz, war der Ort für all das, was im alltäglichen Leben der Menschen wichtig war. "Auf dem Markt lernt man die Menschen besser kennen als in der Kirche", sagt ein altes Sprichwort und erklärt damit, wie Märkte aus dem Nebeneinander von Leuten ein Miteinander von Nachbarn machen.
Mit Städten, die über keinen solchen Platz verfügten, musste etwas im Argen liegen: Homer warnte in seiner Odyssee vor solchen Orten: Wo eine Agora fehlte, konnte es nur recht- und gesetzlos zugehen. Als im antiken Griechenland die Demokratie geboren wurde, war der antike Marktplatz die Kinderstube dieser - bei allen Mängeln - nach wie vor besten und stabilsten aller Formen des Zusammenlebens.
Das Alltagsleben regeln
Wer einen solchen Marktplatz hatte, gab ihm gerne auch ein besonderes Gesicht: Die Griechen errichteten um ihre Marktplätze gerne Gebäude mit langen Säulenhallen. So konnte man sich mit vielen Nachbarn und Bürgern in aller Öffentlichkeit treffen und war zugleich geschützt vor Wind und Wetter.
Dieses "Marktkonzept" haben wir nicht nur in die Architektur unserer Kirchen übernommen, sondern finden es als Galerien und Passagen noch immer in unseren Einkaufszentren und Fußgängerzonen.
Die Römer übernahmen diese Form des öffentlichen Miteinanders und gaben ihr nur einen neuen Namen: Forum. Auch hier ging es neben den Einkäufen und der Versorgung immer darum, wie eine Gemeinde zusammenlebt: Auf dem Forum wurden die wichtigsten Reden gehalten und es wurden Gerichtsverhandlungen durchgeführt und Fälle untersucht. Daher findet man das Wort "Forum" heute noch in Begriffen wie Forensik.
Jeder römische Kaiser legte Wert darauf, "sein" Forum zu bauen, um das Volk hinter sich zu wissen: Mit einem guten Marktplatz legt man nachhaltigere Grundsteine als mit Standbildern und Statuen. Wer seine Macht gesichert wissen wollte, musste die Grundbedürfnisse seiner Untertanen befriedigen können - im sprichwörtlichen "Brot und Spiele" steht das "Brot" aus gutem Grund an erster Stelle: Heute würden wir "Dinge des alltäglichen Bedarfs in fußläufiger Erreichbarkeit" dazu sagen.
Existentielle Sicherheit und bessere Lebensqualität
Später, als sich die Römer längst aus unseren Breiten zurückgezogen hatten und ein - mitnichten so dunkles - Mittelalter begonnen hatte, scharten sich die Menschen wieder um ... die Märkte. Nicht Burgen und Rittergüter wurden zur Keimzelle unserer Städte, sondern die Plätze des Handelns: die Marktplätze. Ein "Marktflecken" zu sein, erfüllte mit Stolz und stellte die Versorgung sicher. Noch heute feiern viele Gemeinden nicht das Jahr ihrer am weitesten zurückliegenden "Ersterwähnung", sondern etwas viel Handfesteres: das Jahr, in dem sie zum "Markt" erhoben wurden. Erhob der Kaiser einen "Flecken" zum "Markt", war das ein echtes Privileg: eine "Zertifizierung", die weithin Bedeutung versprach, denn auch im Mittelalter bedeutete Markt mehr als frisches Gemüse, Eier, Brot und Fleisch, sondern auch Dinge wie Gerichtsbarkeit. Wieder ging es auf den Märkten um Entscheidungen von Tragweite. Wieder bedeutete ein funktionierender Markt existentielle Sicherheit und bessere Lebensqualität als ringsum.
Rettender Anker in der Not
War die bedroht, dann sorgten oft die Menschen der Marktplätze dafür, dass es besser weiterging: die Kaufleute, die Händler und die Handwerker. Die Geschichte der Schäffler, Münchens bis heute gepflegte und wohl liebenswerteste Tradition, ist ein Beispiel dieses Miteinanders. Nach der verheerenden Pest, als die Stadt in Lethargie und Hoffnungslosigkeit am Boden lag, machten sie den Bürgern wieder Mut, weiterzumachen und neu anzufangen. Damit halfen sie der ganzen Stadt wieder auf die Beine.
Bis heute hat sich unsere Gesellschaft dieses Rückgrat bewahrt: Die Schäffler sind das Sinnbild für einen gesunden Mittelstand, für einen lebendigen Handel vor Ort, für eine aus Erfahrung und Zuversicht geprägte Tatkraft. Wie gut das für alle Bürger einer Stadt funktioniert, zeigt jedes Jahr der Blick auf die Säckel der Stadt München und ihrer Nachbarn: Die Gewerbesteuereinnahmen (das ist der Topf, aus dem die Gemeinden und Städte so wichtige Dinge wie Feuerwehr, Kliniken, Straßenunterhalt und Schulen bezahlen) sind zuvorderst dank der Einzelhändler und mittelständischen Betriebe - also der "Märktler" - so gut, dass uns andere Städte darum beneiden. Wie wichtig so ein stabile Fundament ist, auf dem wir aufgrund dieser "Markt-Wirtschaft" stehen, wird im Corona-Jahr gerade besonders gut sichtbar.
Selbst jene, die so gerne alles neu erfinden wollen und in "Online" ein Allheilmittel sehen, wissen um diesen Pfeiler: Sie schmücken ihre Plattformen, obgleich sie nichts zur Stabilität unserer Gemeinschaften beisteuern, sondern nur zügig Profite abschöpfen wollen, ungeniert mit dem Begriff des digitalen "Marktplatzes", um von seinem Versprechen des Zusammenhalts, der Stabilität und des Aufblühens zu profitieren.
Mit Anderen handeln und sich beraten
Mancher "Stadtminister" stellt heute erschreckt fest, dass sich örtliche Einzelhändler schwer tun angesichts unfairer Onlinekonkurrenz und ungleicher gesetzlicher Rahmen. Diesen Schrecken erlebten einst ... die Neandertaler: Diese hatten zwar widrigen Eiszeiten getrotzt, verschwanden aber dennoch vor 30.000 Jahren still und leise für immer von der Bildfläche. Offenbar hatten sie nur Dinge als Werkzeuge genutzt, die sie im Umkreis von zwei oder drei Tagesmärschen vorfanden. Sie lebten nach der Devise "Kunden, die diesen Faustkeil benutzt haben, haben auch diese Pfeilspitze gekauft" und schränkten ihre Möglichkeiten damit immer weiter ein. Die Menschen, die sich nach ihnen durchsetzten, waren viel besser aufgestellt: Sie handelten mit Anderen und berieten sich - und konnten so Dinge nutzen und erfahren, die es in in ihrem eigenen Lebensumfeld gar nicht gab. Sie waren die offensichtlich ersten Marktleute.
Wir sind ihre Nachfahren.
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