Ausgezogen (1)

Eines Morgens waren sie weg. Zwei chinesische Familien, deren Wohnungen nebeneinander lagen, sind über Nacht ausgezogen. Alle rätseln, wie das so plötzlich kam. Ich sprach einige Nachtschwärmer, die angeblich dies oder jenes gehört oder gesehen hatten. Sie hatten einen großen Wagen hinterm Haus stehen sehen und viele Leute hatten im Laufschritt und mit größter Stille alles hinausgetragen und verladen. Schnell wie Ratten huschten die Gerüchte über die Piazza. Die Polizei hätte sie am Tag vorher besucht und wer weiß, vielleicht waren es ja Illegale. Jemand nuschelte etwas von Triaden oder Schlimmerem. Ob ich denn nicht die Tätowierungen gesehen hätte, wurde ich gefragt. Oder es wären politische Flüchtlinge und China hätte sie zurückgeholt. Außerdem seien es gar keine Chinesen gewesen, sondern Taiwanesen und die mussten fliehen.

Nun ist ja nichts schneller als üble Nachrede. Doch einer ihrer Nachbarn machte sich stark dafür, mal den Kopf einzuschalten. Fragte nach, wer denn was Konkretes wüsste, aber keiner der Herumstehenden wusste etwas. Die Sprachschwierigkeiten seien immens gewesen, man habe kaum mit ihnen sprechen können. Aber zwei Familien mit kleinen Kindern passten ja wohl kaum für irgendeine der genannten Verdächtigungen. Wir blieben also ratlos. Auch die direkten Nachbarn wussten nichts Näheres. Bei niemandem hatten sie sich verabschiedet oder gesagt, dass oder warum sie auszogen. So sahen die beiden großen Fenster aus dem Erdgeschoss blicklos aus dem Dunkel der umgebenden Holzfassaden auf die Piazza, als würden sie uns verhöhnen und sagen: „Wir wissen mehr als Ihr.“

Ein paar Tage später ging in beiden Wohnungen das Licht an, ein uralter Chinese mit gebeugtem Rücken fegte die Wohnung. Jemand sprach ihn an, und während wir sie hinter der Fensterscheibe reden sahen, kamen neue Gerüchte um die Ecke geschlichen, wie Hunde, die einen Knochen gerochen hatte. Doch was hatte der Chinese zu sagen?

Unsere nächste Geschichte von der Piazza an der Bo lüftet das Geheimnis.