"Erkennen, was man wirklich will"
Wie gehen wir mit Ängsten und Herausforderungen um?
Es war einmal ...
Eine Prinzessin ekelt sich vor dem hartnäckig fordernden Frosch. Erst als sie sich ihren Ängsten und ihrem Unbehagen stellt und den Frosch an die Wand wirft, wird dieser zum Prinzen.
Der Froschkönig erzählt, wie man seine Ängste überwinden kann.
Das Märchen „Froschkönig“ mit seinen zeitlosen Botschaften kann auf viele Lebensbereiche übertragen werden. Das war das Fazit unseres Sommergesprächs, in dem Vertreter unterschiedlicher Lebensbereiche anhand des Grimmschen Märchens über das Thema „Ängste und Herausforderungen“ diskutierten. Traditionell finden die Sommergespräche der Münchner Wochenanzeiger im Königlichen Hirschgarten statt. In diesem Jahr ist die Diskussionsrunde weiter in den Westen bis nach Germering ins Wirtshaus „Zum Griabign“ gefahren und hat zu den Münchnern auch Gesprächspartner aus dem Verbreitungsgebiet der 5-Seen-Wochenanzeiger eingeladen. Der Gesprächsrunde fielen spontan viele Beispiele aus ihrem Alltag ein, auf die sich das Märchen perfekt übertragen ließe.
"Nachher habe ich mich geärgert"
Ursula Männle war in ihrer Jugend selbst so ein Frosch gewesen. Das gestand die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung und ehemalige Bundestagsabgeordnete aus Tutzing. „Früher hatte ich eine wahnsinnige Angst, in einer Gruppe von Leuten zu sprechen.“ Oft habe sie sich überhaupt nicht getraut etwas zu sagen. „Nachher habe ich mich furchtbar geärgert“.
Bis aus der „Frosch-Ursula“ ein rhetorisch versierter „Politik-Prinz“ geworden ist, habe es gedauert. Männle hat sich, um die Scheu zu überwinden, Aufgaben gestellt und Rollenspiele gemacht. Ein Instrument, das sie als Mentorin junger Menschen heute noch gerne anwendet. Vorträge und Reden waren bald kein Problem mehr. „Von Erfolg zu Erfolg ging es besser“, erzählte sie. Von der Schüchternheit merkt man heute gar nichts mehr, meint die Tischrunde.
„Frosch-Ursula“ wird „Politik-Prinz“
Martina Nitsch hatte bei den Ausführungen von Männle immer wieder mit dem Kopf genickt. Wie Männle habe auch sie an einer Klosterschule gelernt, dass Mädchen ruhig, bescheiden und zurückhaltend zu sein hätten. „Es ist kein leichter Weg, sich davon zu befreien“, erklärte Nitsch. Dank ihrer eigenen Erfahrung könne sie in der Caritas-Familienberatungsstelle in Fürstenfeldbruck die Eltern in ihrer Erziehungsarbeit stärken. „Gelassenheit“ empfehle sie den Eltern, die sich den Herausforderungen oft nicht gewachsen fühlten und Versagensängste hätten. „Sie wollen immer alles richtig machen und dabei die Kinder vor allem schützen“. Damit aus den kleinen Fröschlein aber selbstbewusste Prinzen werden, sei es notwendig, sie loszulassen und sie ihre Erfahrungen machen zu lassen.
Mit Freiräumen nicht umgehen können
Dabei ist der Familienberaterin aufgefallen, dass die heutige Jugend mit den Freiräumen, die sie habe, nicht umgehen könne. „Die Jugendlichen sind quasi in der großen Freiheit stecken geblieben, wissen nicht, was sie wollen, was sie können, wohin mit sich“. Am Schluss entschieden sie sich für gar nichts, aus Angst, sich festlegen zu müssen. "Aber auch Eltern finden es extrem schwierig, ihren Kindern etwas zuzutrauen“. In der Beratungsstelle versuche Nitsch, die Eltern zu begleiten und hilfreiche Tipps zu geben. Wieder Nicken in der Tischrunde. Keiner müsse mit seinen Problemen allein bleiben, waren sich alle einig.
Vermieter haben Angst vor Mietern
Vera Hahn erzählte den anderen aus ihrem Berufsalltag. Sie ist Leiterin des Clubhauses Schwalbennest, ein sozialpsychiatrisches Zentrum in München. Ihr Klientel sind Menschen, „die zum Großteil aus Angst bestehen“, erklärte die Sozialpädagogin. Für diese Menschen sei es schon eine Herausforderung, aus dem Haus zu gehen und in das Zentrum zu kommen. „Viele Ängste sind irrational, da kann man mit Verstand nichts machen“, so Hahn. Auch hier helfe es, die Betroffenen an die Hand zu nehmen. „Was kann denn schlimmstenfalls passieren? Eigentlich nichts“, so Hahn. Je mehr Situationen die Betroffenen bewältigt hätten, umso mehr gibt ihnen das Sicherheit.
Auch ein Scheitern sei kein Weltuntergang, stimmte Männle zu. „Du kannst neu anfangen und durch die Erfahrung erkennen, was man wirklich will“. Hier hakte Mischa Kunz ein. Der Münchner Makler engagiert sich ehrenamtlich im Verein "Münchner Freiwillige – Wir helfen e.V."
„Oft ist es gut, gar nicht viel nachzudenken und einfach zu machen. Aber dazu muss man Mut haben. Kunz nutzt sein Wissen, um Geflüchteten und Menschen mit geringem Einkommen bei der Wohnungssuche zu helfen. „Die Vermieter haben Angst vor Mietern, die nicht zahlen können, nicht mehr ausziehen und Schäden hinterlassen“. Dabei gehe es schnell um hohe Summen, so dass die Wenigsten die Herausforderung annehmen würden.
Der perfekte "Miet-Prinz"
Ihnen „fremd“ erscheinenden Menschen bekommen deswegen selten einen Mietvertrag. Oft bekomme der den Zuschlag, der dem Vermieter am meisten ähnele, hat Kunz festgestellt. Dabei könnte beispielsweise ein Geflüchteter als „Frosch“ sich als der perfekte Mieter-Prinz herausstellen, wenn er denn die Chance bekäme, sich zu beweisen. Deswegen bietet der Verein Schulungen an, in denen die Mieter für den Mietmarkt fit gemacht werden und beispielsweise Grundlagenwissen in den Themen Mülltrennung oder Energiesparen vermittelt bekommen. Der Verein hat auch ein Wohnprojekt, in dem er Wohnungen anmietet und an seine Schützlinge weitervermietet und das Mietverhältnis dann auch begleitet.
Mensch hat Bedürfnis nach "wir"
Bei Vera Hahn gibt es ein ähnliches Projekt. „Wir haben ein Projekt mit Firmen“. Hier ist das Zentrum Bindeglied. „Die Firmen vertrauen uns, dass wir geeignete Leute für einen Minijob schicken“. Wichtig sei es Begegnungen, zu schaffen. „Wir müssen alle darum kämpfen, dass ein 'wir' entstehen kann", forderte Kunz. Der Mensch habe ein Bedürfnis nach diesem „wir“.
An dieser Stelle richteten sich die Augen auf den Kabarettisten Tom Bauer. „Humor ist ein Mittel, um Angst zu reduzieren“, meinte Nitsch. Es sei auch ein Mittel, um Menschen zu erreichen, an die man normalerweise nicht herankommt. „Ich habe ein gemischtes Publikum“, berichtete der Kabarettist, der übrigens ein ausgewiesener Märchenfan ist und verschiedene Märchen bereits in seine Programme integriert hat. „Man kann als Kabarettist Sätze sagen, die zum Nachdenken anregen“, sagte Bauer. Dann gestand er: „Ich war in der Schule eher der schüchterne Typ“. Mittlerweile habe er sich eine gewisse Routine antrainiert. Wenn er mit einem neuen Programm auftrete, dann überkomme ihm aber immer noch ein Angstgefühl. „Was, wenn keiner lacht?“, sei seine Befürchtung. Dabei sei das überhaupt nicht schlimm.
"Man wird gelassener"
„Man muss sich im Leben einfach trauen“, betonte Bauer. Mit zunehmendem Alter könne er aber Veränderungen im Leben nicht mehr so leicht nehmen. „Man hat mehr Lebenserfahrung und weiß, was alles passieren kann“, so Bauer.
„Man wird aber auch gelassener“, erwiderte Hahn und Nitsch meinte, „je größer der Pool an Erfahrungen ist, umso leichter ist es, Ängste zu überwinden und Herausforderungen anzunehmen“. Männle brachte es am Schluss auf den Punkt: „Es hilft, wenn man weiß, dass man nicht der Einzige mit einem bestimmten Problem ist. Dann schaffen wir das auch!“
Eine märchenhafte Frage
Vor welcher Märchenfigur hatten Sie als Kind am meisten Angst? Unsere Gäste antworteten:
Tom Bauer: "Der Prinz in Dornröschen. Das muss man sich mal vorstellen: Er hat eine Frau gefunden, die 100 Jahre herumliegt und küsst dann noch diese Frau. Das war mir sehr suspekt "
Vera Hahn: "Ich fand bei 'Hänsel und Gretel' die Vorstellung gruselig, dass die Eltern die eigenen Kinder in den Wald locken und loswerden wollen und dass die böse Hexe die Kinder einsperrt und schlachten will."
Mischa Kunz: "Ich hatte immer Angst vor der Hexe in 'Hänsel und Gretel'. Weil sie den Hänsel in den Käfig gesteckt hat und dann geschaut hat, ob er schon fett ist."
Prof. Ursula Männle: "Rumpelstilzchen. Dieses Wesen, das so verärgert und aggressiv ist, dass es sich selbst zerreißt und kaputt macht."
Martina Nitsch: "Die Hexe von 'Hänsel und Gretel' hatte so etwas Gruselig-Lustvolles. Das haben wir als Kinder nachgespielt. Mein Cousin musste im Käfig sitzen."
Unsere Gäste
Bei unserem Sommergespräch diskutierten:
Tom Bauer (Kabarettist)
Vera Hahn (Leiterin Clubhaus Schwalbennest, Sozialpsychiatrisches Zentrum)
Mischa Kunz (Verein Münchner Freiwillige – Wir helfen e.V.)
Prof. Ursula Männle (Vorsitzende Hanns-Seidel-Stiftung)
Martina Nitsch (Beratungsstelle für Eltern, Kinder, Jugendliche im Caritas-Zentrum FFB)
Was denken Sie?
Welche Meinung vertreten Sie? Diskutieren Sie mit! Schreiben Sie uns: Münchner Wochenanzeiger, Redaktion, Fürstenrieder Str. 5-9, 80687 München, leser@muenchenweit.de. Wir veröffentlichen Ihren Standpunkt (nur mit Ihrem Namen).
Unsere Sommergespräche
Alle unsere Sommermärchen finden Sie online hier: www.mehr-wissen-id.de (Nr. 2506)
"... plötzlich erwachsen"
Tom Bauer ist Kulturpreisträger des Landkreises Dingolfing-Landau und wurde durch sein Erstlingswerk „GRIMMinelle Gschichten“ bekannt. Das Märchen Aschenputtel inszenierte er als witziges Musical „Oschnputtl – Das Erbsen-Musical“. Tom Bauer ist mit seinem Programm "... plötzlich erwachsen" am 12. September auf dem Stemmerhof (Friedensbühne Song Parnass, Plinganserstr. 6) und am 11. Oktober im Schlachthof (Zenettistr. 9) zu erleben. Beide Veranstaltungen beginnen um 20 Uhr.
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