"Das ist alles Gift für die Rente"
Der VdK warnt vor Altersarmut und fordert, prekäre Beschäftigung einzudämmen
Über 120.000 Menschen in Bayern leben im Alter und bei Erwerbsminderung von Grundsicherung (blaue Balken). Ihre Zahl wächst stetig. Der Anteil der Alten (65 Jahre und älter - rote Balken) ist überproportional hoch. Bei den Alten wiederum sind die Frauen (grüne Balken) besonders stark betroffen. (Foto: VdK)
Noch nie seit 23 Jahren wurden die Renten so stark erhöht wie 2016. Der Sozialverband VdK warnte bei seiner Jahrespressekonferenz am Donnerstag trotzdem vor immer mehr Altersarmut. Wer in Bayern weniger als 1.025 Euro verdient, gilt als armutsgefährdet. Die Durchschnittsrente (für Männer 1.049 Euro) liegt nur noch knapp über dieser Schwelle, erklärte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher (für Frauen liegt sie mit 616 Euro sogar weit darunter).
Die Tafeln sind für Mascher ein Seismograf der Armutsentwicklung: 20.000 Menschen holen sich z.B. bei der Münchner Tafel wöchentlich Lebensmittel - und der Anteil der alten Menschen steigt. "Im Jobcenter werden die Menschen mittlerweile ganz selbstverständlich an die Tafeln verwiesen", klagte Mascher, "dabei sollte der Grundsicherungssatz fürs Essen eigentlich reichen!" Dass ein ehrenamtlicher Verein Aufgaben des Staates zur Grundversorgung von Bedürftigen übernehme, sei eine höchst bedenkliche Entwicklung und eine Bankrotterklärung für den Sozialstaat.
Kleine Renten werden kleiner
Immer mehr ältere Menschen sitzen zudem in der Schuldenfalle, sagte Mascher. Auch in München steige die Zahl der überschuldeten Menschen - besonders stark in der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen. Deren Anteil liege etwa in Laim, auf der Schwanthalerhöhe und in der Isarvorstadt über dem Durchschnitt im Viertel.
Obwohl die Beträge ausgezahlter Renten ansteigen, sinke die Kaufkraft bei Alters- und Erwerbsminderungsrenten. Dass "gerade die kleineren Renten immer noch kleiner" werden, führt der VdK vor allem auf die Entkoppelung der Renten von der allgemeinen Lohnentwicklung zurück. Der Sozialverband fordert daher, die Renten wieder parallel mit den Löhnen steigen zu lassen.
"Kranke nicht abhängen!"
Auch bei den Erwerbsminderungsrenten (diese erhalten Menschen, die wegen Krankheit früher ihren Beruf aufgeben müssen) verlangt der VdK Nachbesserungen. "Wer krank ist, darf nicht abgehängt werden", unterstrich Mascher. Die Situation der Erwerbsminderungsrentner werde für den VdK ein zentrales Thema im Bundestagswahlkampf sein. Das Rentenpaket 2014 habe hier zu wenig verändert, denn die dort getroffenen Verbesserungen betreffen nur Neurentner.
Skepsis gegenüber alternativer Vorsorge
Mascher warnte eindringlich vor wachsender Altersarmut: 21,8 Prozent der über 65-Jährigen in Bayern gelten als armutsgefährdet. Vor zehn Jahren waren es erst 18 Prozent. Die Gruppe der Alten trägt damit das höchste Armutsrisiko. Betriebliche und private Altersvorsorge helfen hier nicht weiter, erklärte die VdK-Präsidentin. Nicht jedes Unternehmen biete eine betriebliche Altersvorsorge an und nicht jeder Arbeitnehmer könne sich private Vorsorge leisten. Anreize für eine betriebliche Vorsorge sieht der VdK skeptisch: "Angesichts schwankender Finanzmärkte und aktueller Niedrigzinsphasen wäre eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung angebrachter", so Mascher.
"Rentenniveau nicht weiter senken"
Auch vor Weihnachten fordert der VdK keine "Rentengeschenke", sagte Mascher. "Geschenkt wurde den Rentnern in den letzten Jahren nämlich gar nichts." Die Forderung des Verbandes sei ganz schlicht: "Die Rente muss zum Leben reichen!"
Und das bedeutet: "Das Rentenniveau darf nicht weiter absinken, sondern muss auf dem heutigen Stand stabilisiert und in absehbarer Zeit auf 50 Prozent angehoben werden", so Mascher. Grundlage sei der Arbeitsmarkt in Deutschland. Der sei allerdings von prekärer Bechäftigung (Niedriglöhne, Befristungen, Teilzeit) geprägt. "Das ist Gift für die Rente!" Mit einem Anteil von 38 Prozent sei solche "atypische Beschäftigung" auch in Bayern längst keine Ausnahme mehr.
Der VdK fordert daher, die prekäre Beschäftigung einzudämmen, das Arbeiten bis zum Rentenalter überhaupt erst einmal möglich zu machen und die rentenrechtliche Gleichstellung von Kindererziehung und Familienpflege von Angehörigen.
"Da geht es wirklich um Geld!"
Der Sozialverband in Zahlen und Fakten:
- Im Dezember ist der VdK Bayern 70 Jahre alt geworden. Gefeiert wird das Jubiläum am 26. Januar im Schloss Nymphenburg u.a. mit Ministerpräsident (und ehemaligem VdK-Landesvorsitzenden) Horst Seehofer.
- 664.000 Mitglieder zählt der VdK in Bayern aktuell: ein neuer Rekord. Der Landesverband ist allein in den letzten sieben Jahren um 100.000 Mitglieder gewachsen.
- Der VdK legte 2016 für seine Mitglieder mehr als 23.000 Widersprüche bei Sozialbehörden ein.
- Mehr als 30 Millionen Euro an Nachzahlungen erstritt der VdK 2016 für seine Mitglieder. "Da geht es wirklich um Geld", freut sich Michael Pausder über den Erfolg der VdK-Beratungen.
- Mit 2.000 Ortsverbänden ist der VdK überall in Bayern zu finden.
- Fast 20.000 Ehrenamtliche tragen den VdK in Bayern mit.
- Der VdK finanziert sich nur aus Mitgliedsbeiträgen. Er bekommt keine Zuschüsse von Staat oder Kirchen und ist so unabhängig.
- 2016 führte der VdK Bayern 340.000 Beratungen durch.
- Jede fünfte Klage vor bayerischen Sozialgerichten wird vom VdK vertreten.
"Auf den Zahn fühlen"
Die Hallen für sieben Großveranstaltungen vor der Sommerpause sind schon gebucht: Der VdK hat für das Bundestagswahljahr seine Kampagne "Soziale Spaltung stoppen!" angekündigt. Man werde den Politikern wieder auf den Zahn fühlen, so Landesgeschäftsführer Michael Pausder, und sie mit den VdK-Forderungen zu Rente konfromtieren.
Immer länger arbeiten?
Die "Rente mit 67" soll bis 2031 für alle gelten. Inzwischen gibt es Forderungen nach "Rente mit 71". Dabei schaffen es die meisten nicht, "nur" bis 65 im Job zu bleiben. Laut DGB befinden sich nicht einmal sieben Prozent der 65-jährigen Bayern in einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit, so Ulrike Mascher. Sie sagt:
"Alle Experten, die nach der Analyse vieler Datensätze zu dem Ergebnis gelangen, dass die Menschen in Bayern länger arbeiten müssen, möchte ich gerne einmal in die Wirklichkeit schicken; zum Beispiel ins Jobcenter oder in eine VdK-Beratung - dann würden sich die Perspektiven vielleicht verschieben.
Jede Heraufsetzung des Rentenalters ist für viele Menschen eine Rentenkürzung. Solange die Arbeitsmarktbedingungen so sind, dass es viele nicht einmal bis 65 schaffen, im Job zu bleiben, brauchen wir keine Diskussion um ein höheres Rentenalter, sondern um eine Verbesserung der Arbeitsmarktbedingungen.
Dazu gehört, die prekäre Beschäftigung einzudämmen. Mit solchen Tätigkeiten kann sich schon heute niemand eine ordentliche Rente erwirtschaften. Was jetzt der Wirtschaft durch billige Arbeitskräfte dienlich ist, wir uns später in Form großer Altersarmut auf die Füße fallen!"
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