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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Wir würden wir vieles finden, was wir gemeinsam schaffen könnten!"
Wie kann eine "progressive" Politik jenseits Merkel aussehen? Kandidaten diskutieren.
Donald Trump, Brexit, Rechtspopulisten in den Niederlanden, Polen, der Türkei: "Wir erleben eine wirklich dramatische Situation!" fasste MdB Nicole Gohlke (Linke) die gegenwärtige Lage zusammen, "die linken Kräfte stehen daher in der Verantwortung, Perspektiven aufzuzeigen" - also einen Gegenentwurf zu wachsendem Nationalismus oder auch "nur" Resignation anzubieten.
Drei in einem Boot?
Im "Neuraum" an der Hackerbrücke trafen sich drei Münchner Vertreter dieser "linken Kräfte", um sich auf Überschneidungen und Gegensätze abzutasten: Sind Linke, SPD und Grüne überhaupt in der Lage, eine andere, "progressive" Politik in Berlin umzusetzen? Antworten auf diese Frage suchten neben Gohlke (seit 2009 im Bundestag) zwei Kandidaten aus dem Münchner Westen: Bernhard Goodwin (er tritt für die SPD im Münchner Westen als Direktkandidat an) und Dieter Janecek (der Grüne ist seit 2013 im Bundestag und tritt ebenfalls im Münchner Westen als Direktkandidat an).
Die seit längerem zu beobachtende soziale Polarisierung ist für Gohlke ein "Baustein", der zum Erstarken populistischer Kräfte geführt habe. "Das ist nicht vom Himmel gefallen", meinte sie. Die entscheidende Frage sei: "Wie können wir diese Kluft schließen?"
"Viele fühlen sich abgehängt"
Auch Bernhard Goodwin räumte ein, dass es bei vielen Bürgern ein Gefühl von Ratlosigkeit und diffuser Unzufriedenheit gebe: "Viele fühlen sich abgehängt." Das äußere sich in Wahlerfolgen für die AfD - obwohl nicht jeder, der die AfD wähle, ihr auch Lösungen zutraue. "Die Stärke der Rechten ist die Schwäche der Linken", so Goodwin selbstkritisch, "und dazu trägt auch unsere Zerstrittenheit bei".
Der "Politikwechsel", den Gohlke einfordert, fußt für Goodwin auf der Forderung "Kümmern wir uns!" Man müsse schlicht sehen, was die Bürger vor Ort brauchen und deren Ansprechpartner sein.
Überschneidungen und Hürden
Vor allem drei politische Forderungen sind für Nicole Gohlke ausschlaggebend: eine "couragierte" Umverteilung der Vermögen; bessere Löhne zur Verhinderung von Altersarmut und eine Außenpolitik, die keine Fluchtursachen schafft.
"Positive Alternativen" fordert Dieter Janecek - z.B. eine Vermögensbesteuerung, die den Mittelstand nicht schädigt. Beim Thema "Löhne" sieht der Grüne zunächst die Tarifparteien in der Pflicht, nicht die Politik. Und bei der Außenpolitik setzt er andere Schwerpunkte als Gohlke: "Ich finde es gut, dass wir in Mali sind", sagt er, "und dass wir das Problem in Afghanistan nicht auf andere abgewälzt haben".
In Bernhard Goodwin findet er da Unterstützung: "In erster Linie ist Diplomatie nötig - aber dann muss man auch zu seinen Entscheidungen stehen", betont der SPD-Kandidat. Daher sei es richtig, Afghanistan nicht einfach in seiner schwierigen Lage zurückzulassen, vielmehr brauche man neue Strategien.
Manches könne ein Bündnis der Linken leichter umsetzen als die Große Koalition - etwa die Anpassung des Mindestlohns. Über dessen Einführung sei er glücklich, so Goodwin, allerdings sei der Mindestlohn zu niedrig angesetzt, so dass er nicht zur Alterssicherung reiche.
"Alle sind bereit"
Wie wahrscheinlich ist bei solchen Überschneidungen ein rot-rot-grünes Bündnis? Schließlich gab es bereits eine rot-grüne Bundesregierung und ein Teil der Linken hat sich auch wegen deren Politik von der SPD abgespalten.
"Wir würden Rot-Rot-Grün machen", meint Janecek, "wenn wir dafür eine stabile Grundlage finden." Eine der Gretchenfragen für ihn ist, wie das Verhältnis zur EU definiert werde: "Wir wollen die Friedensunion beibehalten!" unterstreicht er und verlangt von potentiellen Partnern ein Bekenntnis zu UNO-Friedenssicherungsmissionen.
"Alle unsere Flügel sind bereit für Rot-Rot-Grün", erklärt Nicole Gohlke. Aber sie warnt: "Enttäuscht Rot-Rot-Grün, wird ein rechter Durchmarsch noch leichter!" Ein neues Bündnis dürfe daher nicht nur kosmetische Korrekturen vornehmen, sondern stehe in der Verantwortung, den Trend zum Chauvinismus umzudrehen: "Etwas Neues muss spürbar werden!"
Die Linke sei nicht antieuropäisch, man brauche aber einen Neustart für die EU. In ihr sieht Gohlke vor allem eine Sozialunion, die den sozialen Ausgleich ihrer Mitglieder stemme. Sie warnte vor einem Hochfahren der Verteidigung in Europa und regte ein kollektives Sicherheitsbündnis auch mit Russland an.
"Eine ganze Menge erreicht"
Bernhard Goodwin brach eine Lanze für die EU: "Wir benennen Dinge, die gut laufen, zu wenig", kritisierte er. Gerade bei der EU müsse man in den Vordergrund stellen, was es bedeute, auf dem Kontinent so lange in Frieden zu leben wie gegenwärtig. Man habe eine ganze Menge erreicht - und müsse daher "manchmal auch gnädig" mit Europa sein. Er warb für eine positive Vision eines Politikwechsels: Den Begriff "Alternative" dürfe man nicht der "schändlichen Partei" überlassen, die ihn im Namen beanspruche. "Zeigen wir klare Alternativen auf", so Goodwins Aufruf an seine Diskussionspartner, "eine linke Mehrheit könnte viele Dinge auch für München ändern". Die Bekämpfung von Altersarmut und Wohnungsmangel meint er damit. "In der konkreten Politik würden wir vieles finden, was wir gemeinsam schaffen könnten!"
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