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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
Viele kleinen Schritte lohnen sich
Gespräch mit den "Experten von der Basis" wird geschätzt
„Geordnete-Rückkehr-Gesetz“, Fachkräfteeinwanderungsgesetz, Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz – das Migrationspaket von Innenminister Seehofer enthält eine ganze Reihe neuer Regelungen, die für den Laien nicht leicht zu durchblicken sind. Deshalb holten sich die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer für ihren 7. Oberbayerischen Asylgipfel in München mit der Passauer Rechtsanwältin Petra Haubner eine Koryphäe auf dem Gebiet des Ausländerrechts, um diese näher zu erläutern. Unterstützung erhielten sie dabei finanziell und ideell durch das erzbischöfliche Ordinariat.
Rund einhundert Teilnehmer lauschten interessiert den Ausführungen zu den unterschiedlichen Duldungsarten, die es ab dem 1. Januar 2020 geben wird. "Eine Beschäftigungsduldung wird kaum jemand erhalten können," lautete das Fazit von Rechtsanwältin Haubner. Die Konsequenzen bei Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht zur Identitätsklärung seien deutlich härter als bisher. Sie reichen von der Einschränkung der Leistungen bis hin zur Mitwirkungshaft.
Durch die Umsetzung von EU-Recht im August haben Asylbewerber im Allgemeinen nach neun Monaten das gesetzliche Anrecht zu arbeiten. Eine Abfrage unter den Asylhelfern ergab, dass sich manche Landratsämter der Anwendung dieses Gesetzes verweigern. "Da steht 'die Beschäftigungserlaubnis IST zu erteilen'! Bestehen Sie auf einen schriftlichen Bescheid und erheben Sie Einspruch, wenn dieser negativ ausfällt," forderte Haubner die Flüchtlingshelfer auf.
Gegen Widerstand durchgesetzt
Nachdem sich die Behörden drei Monate Zeit lassen können für einen Bescheid, ermunterte Petra Nordling (Organisatorin der Ostbayerischen Asylgipfel und Gesprächspartnerin des Innenministeriums) die Helfer, bei einer sich abzeichnenden Ablehnung den Fall gleich an sie zu schicken. "Das Innenministerium hat ein Interesse daran, dass Arbeit und vor allem qualifizierte Berufsausbildungen aufgenommen werden." Sie berichtete von einer ganzen Reihe von Beschäftigungserlaubnissen, die auf Anweisung von oben gegen den Widerstand von Sachbearbeitern in den Landratsämtern durchgesetzt werden konnten.
Ein weiteres Thema, zu dem viele Fragen gestellt wurden, waren die neuen Kostenbescheide für die Unterbringung. Hier hatten die Asylhelfer vor zwei Jahren mit ihrer Normenkontrollklage Erfolg. Das bayerische Staatsministerium ließ sich danach Zeit mit der Neuberechnung der Kosten, die sich nun nach den Unterbringungsbedingungen staffeln. Auch wenn sie nun zum Teil deutlich niedriger ausfallen, muss mit hohen Forderungen gerechnet werden, weil sie bis zu vier Jahre rückwirkend erhoben werden.
Aufeinander zugehen
Dass die bayerische Staatsregierung vor allem nach dem mäßigen Abschneiden bei den Landtagswahlen vor einem Jahr zunehmend das Gespräch mit den "Experten von der Basis" schätzt und mit dem Aufeinander Zugehen auch Erfolge zu erzielen sind, berichtete Dr. Joachim Jacob, Vorsitzender des Landesverbands UnserVeto Bayern. Gemeinsam mit den Organisatoren der Asylgipfel nahm er allein in diesem Jahr an 18 Gesprächen und Ortsterminen teil. Jeder kleine Schritt in die richtige Richtung sei den Einsatz wert. Aus den Reihen der Flüchtlingshelfer kam dafür große Zustimmung und Applaus.
"Afghanistan ist nicht sicher!"
Vereinzelt wurde aber auch ein massiveres Vorgehen gefordert, insbesondere was die Abschiebungen nach Afghanistan betrifft, zu denen Bayern die meisten Betroffenen beisteuert. Hier waren sich alle einig, dass die Gefährdungslage nicht ausreichend Berücksichtigung findet. Gemeinsam wurde folgende Resolution verabschiedet:
"Seit Sommer beobachten wir Asylhelfer*innen eine Zuspitzung bei den aus Bayern nach Afghanistan zurückgeschickten Afghan*innen: Wir beobachten, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie Menschen mit Behinderungen abgeschoben und Familien durch Abschiebungen getrennt werden. Das sind klare Verstöße gegen Menschenrechte und gegen die Menschlichkeit. Wir fordern die sofortige Beendigung dieser Maßnahmen und die Aussetzung der Abschiebungen nach Afghanistan. Afghanistan ist nicht sicher!"
"Es können Konflikte gelöst werden, bevor sie sich aufschaukeln"
Was können Asylhelfer leisten, was nicht? Wie hat sich ihre Arbeit in den letzten Jahren verändert? Drei Asylhelfer beantworteten die Fragen von Johannes Beetz:
"Ein Auf und Ab der Gefühle"
Jeder Elternbeirat oder Sportvereinsvorsitzender, der engagiert beginnt, stößt früher oder später auf Hürden, kann Ideen nicht umsetzen, erlebt Enttäuschungen. Wie ist die Stimmung in den Helferkreisen, deren Mitglieder ja oft sehr komplexere Situationen und existentielle Fragen bewältigen müssen?
Lisa Hogger: Die Ehrenamtlichen gehen unterschiedlich damit um. Manche starten mit großem Elan und geben schnell auf, wenn es ihnen zu viel wird oder sie enttäuscht werden. Andere nehmen sich zwischendurch immer mal wieder eine kleine Auszeit. Bei den meisten ist es ein Auf und Ab der Gefühle zwischen positiven und negativen Erfahrungen. Schlimm wird es, wenn ein Schützling, zu dem man eine persönliche Bindung aufgebaut hat, abgeschoben wird. Die Verzweiflung ist schwer auszuhalten.
"Die Strukturen sind tragfähig"
Integration ist keine schnell lösbare Aufgabe, sondern ein Marathon. Viele Helferkreise, die sich 2015 zusammenfanden, gibt es heute immer noch. Viele Strukturen sind dauerhaft und sehr tragfähig geworden. Wie schätzen sie die Entwicklung der vergangenen Jahre ein?
Lisa Hogger: Die ersten Flüchtlinge wurden bereits 2013 dezentral in den Gemeinden untergebracht, sodass sich die Helferkreise bei uns bereits vor der großen Flüchtlingswelle 2015 gegründet haben. Insgesamt sind die Helfer weniger geworden und die Tätigkeit hat sich gewandelt, aber die Strukturen sind tragfähig.
"Das ist ein kapitaler Fehler"
Arbeit und Ausbildung sind zentrale Themen, denn über den Beruf gelingt Integration vielleicht am besten. Wir suchen händeringend Fachkräfte. Zugleich wird vielen Menschen, die zu uns kommen, die Möglichkeit verwehrt, sich um den eigenen Lebensunterhalt zu kümmern oder eine Ausbildung abzuschließen. Wie passt das zusammen?
Petra Nordling: Das passt eben nicht zusammen. Menschen können sich nur integrieren, wenn sie in unsere Arbeitswelt eingebunden werden, wenn wir Ihnen die Möglichkeit geben, für sich und ihre Familien zu sorgen und sie nicht von Sozialleistungen abhängig machen. In Arbeit und Ausbildung lernen sie unsere Sprache und unsere Kultur kennen und schätzen. Dass die Politik kategorisch einen Spurwechsel ablehnt, halte ich in sozial- und wirtschaftspolitischer Hinsicht für einen kapitalen Fehler. Ich bin überzeugt, dass ein Großteil der Bevölkerung das genauso sieht.
"Man nimmt uns ernster"
Wie ist die Zusammenarbeit der Helferkreise mit Behörden und Ministerium? Was hat sich da entwickelt?
Lisa Hogger: Ganz am Anfang waren die Behörden sehr dankbar dafür, dass wir geholfen haben, weil die Strukturen dem Flüchtlingsansturm nicht gewachsen waren. Nach und nach wurden die Ausländerbehörden aufgestockt und unsere Hilfe zurückgedrängt. Obwohl manche unserer Helfer mehr Wissen hatten als die neu eingestellten Mitarbeiter, wurden sie nicht als ernst zu nehmende Gesprächspartner akzeptiert. Erst in den letzten zwei Jahren nimmt man uns "Experten von der Basis" ernster.
"Die Ehrenamtlichen können vermitteln"
Die Möglichkeiten von Ehrenamtlichen haben Grenzen, seien die Helfer noch so engagiert. Was können die Helferkreise leisten, was nicht?
Lisa Hogger: Die Ehrenamtlichen können vermitteln zwischen Behörden, Polizei, Schulen, Arbeitsgebern, Vermietern, Nachbarn und den Geflüchteten. Sie sind niederschwellige Ansprechpartner. Wenn es im Ort / in der Nachbarschaft Probleme gibt, wenden sich Anwohner sehr viel schneller an ehrenamtliche Helfer als an die Behörden. Dadurch können Konflikte gelöst werden, bevor sie sich aufschaukeln. Außerdem helfen die Ehrenamtlichen bei der Integration und dem Deutsch lernen und dienen als Vorbild. Sie erklären unsere Kultur und Traditionen, beantworten Fragen und helfen beim Ausfüllen von Formularen. Sie begleiten zu Ärzten, Ämtern, Jobcenter, übernehmen Fahrdienste, organisieren Veranstaltungen, helfen bei der Wohnungs- und Jobsuche sowie beim Umzug und der Wohnungsausstattung beim Bezug einer eigenen Wohnung.
Was die Ehrenamtlichen nicht leisten können, ist in erster Linie die Traumabewältigung. Außerdem ist es sehr frustrierend, Arbeitgeber zu finden, die bereit sind, Geflüchtete einzustellen, und dann immer wieder vom Amt keine Arbeitserlaubnis zu erhalten.
"Sie sollen ihren Beitrag leisten"
Wenn Sie „König von Deutschland“ wären und eine Sache sofort so regeln könnte, wie auch immer Sie wollten, dann würden Sie ...
Dr. Joachim Jacob: … durchsetzen, dass Arbeit und Ausbildung nicht genehmigt, sondern gefordert werden. Ich finde den Ansatz, dass Menschen dafür bezahlt werden, dass sie nicht arbeiten dürfen, unsinnig. Asylbewerber und Geflüchtete, die nicht abgeschoben werden, sollen, solange sie in Deutschland sind, ihren Beitrag leisten. Dies ist gut für die deutsche Wirtschaft, für den Steuerzahler und für die Geflüchteten. Viele Probleme, die aus Nichtstun und Langeweile entstehen, wären dann seltener. Das so eingenommene Geld würde ich dann in die Entwicklungshilfe stecken.
"Im Familienbetrieb gute Arbeit leisten"
In unseren Nachbarschaften und Vierteln gibt es eine Menge Beispiele, wie Integration gelingt. Können Sie uns ein solches Beispiel schildern?
Lisa Hogger: Bspw. ein syrischer Familienvater, der für eine alleinstehende ältere Dame, die ihn alphabetisiert hat, zum Sohnersatz geworden ist und in einem Metzgerei-Familienbetrieb so gute Arbeit leistet, dass er jeden Tag von zuhause abgeholt und wieder zurückgebracht wird, da sich die Metzgerei im Nachbarort befindet und der Syrer keinen Führerschein hat.
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