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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
Rettung vor der Firmenpleite
Ehemalige Führungskräfte setzen sich bei den Aktivsenioren ein
Vor ein paar Wochen haben sie wieder ein Unternehmen gerettet. „Die Bank hat einen Folgekredit bewilligt“, freute sich Reinhold Heiß, der bei den Aktivsenioren Bayern e.V. für rund 100 Ehrenamtliche aus dem Bereich München und Umland zuständig ist. Ohne das hochkarätige Helferteam des Vereins hätte das mittelständische Druckunternehmen Insolvenz anmelden und die 20 Mitarbeiter der Firma mit ihren Familien hätten ein trauriges Weihnachten feiern müssen. „Ich habe Probleme mit der Bank“. Mit diesen Worten habe sich der Chef der angeschlagenen Firma vor etlichen Wochen an die Aktivsenioren gewandt. Es war wohl eine seiner besten Entscheidungen der letzten Zeit. „Unsere Erfahrung für Ihre Zukunft“, so lautet der Slogan des Vereins. Seit 30 Jahren setzt er sich für kleine und mittelständische Unternehmen ein, die sich teure betriebswirtschaftliche Beratungen nicht leisten können. Seit der Gründung wurden von den rund 350 Mitgliedern bayernweit mehr als 25.000 Existenzgründer und Betriebe beraten und bei der Lösung ihrer Probleme unterstützt. „Dadurch wurden mehr als 40.000 neue Arbeitsplätze erhalten beziehungsweise geschaffen“, berichtete Heiß. Die Vereinsmitglieder sind Unternehmer, Selbstständige und Führungskräfte in Ruhestand: Das ehemalige Vorstandsmitglied einer Versicherung, der einstige Chef eines Gourmettempels, Ex-Bankenchefs und Wirtschaftsmanager, die ihre Lebens- und Berufserfahrung weitergeben wollen. Beim ersten Treffen mit dem Druckereiunternehmen wurde der Ist-Zustand ermittelt. „Viele Unternehmen erkennen nicht, wo sie stehen. Wir stellen die richtigen Fragen beispielsweise nach der Anzahl der Aufträge, Betriebsklima und Fluktuation“. Häufig arbeiten die Aktivsenioren im Team. Ein Techniker begutachtet den Maschinenpark, ein anderer führt Mitarbeitergespräche, Unterlagen werden vom Finanzprofi gesichtet, Gespräche mit der Bank geführt, der Vertrieb neu ausgerichtet, der Internetauftritt und die Preisgestaltung überprüft. Auch in diesem Fall war es so. „Viele Wochen lang waren wir tätig und haben an allen Stellschrauben gedreht“, berichtete Heiß. Das neue Firmenkonzept hatte schließlich die Bank überzeugt. Heute geht es mit der Druckerei wieder aufwärts. Die Arbeitsplätze sind gerettet.
Ehrenamt macht Spaß und hält jung
Reinhold Heiß hatte selbst einmal die Hilfe der Aktivsenioren in Anspruch genommen. Jahrzehntelang hatte der studierte Maschinenbauer als Führungskraft bei Siemens gearbeitet. Mit 60 Jahren machte er sich mit einer Firma für Produktentwicklung selbstständig. „Im Rahmen meiner Firmengründung habe ich die Aktivsenioren kennengelernt“, erinnerte sich Heiß. Neben den Firmen in Schieflage und der Koordination von Unternehmensnachfolgen sind die Existenzgründer Schwerpunkt der Aktivsenioren. Oft kämen die Beratungssuchenden mit völlig überzogenen Vorstellungen. Businessplan und die Tragfähigkeit der Firmengründer werden kritisch hinterfragt. Nicht selten lautet dann die ehrliche Empfehlung: „das bringt nichts, hör lieber auf damit“. Da die Vereinsmitglieder völlig unabhängig sind, gebe es keine Gefälligkeitsgutachten, so Heiß. Er selbst ging nach drei Jahren erfolgreicher Selbstständigkeit in den Ruhestand und meldete sich sofort bei den Aktivsenioren an. „Ich wollte nicht untätig zuhause herumsitzen und meine Frau nerven“, meinte er scherzhaft. Sein Ehrenamt ist seitdem zur Herzenssache geworden. „Es macht viel Spaß und hält jung“, erklärte Heiß. Wie früher koordiniert er jetzt ein Team, statt Mitarbeiter hat er es aber mit ehemaligen Führungskräften zu tun.
Coaching für Mittelschüler und Studenten
Seit einiger Zeit bieten die Aktivsenioren ein Schülercoaching für Mittelschüler an sogenannten Brennpunktschulen an. An diesen Schulen liegt der Anteil derer, die den Quali schaffen weit unter dem Durchschnitt. Viele Abgänger haben keine Lehrstelle. Den Schülern, die aus diesem Teufelskreis ausbrechen wollen, stehen die Aktivsenioren zur Seite. Sie helfen bei der Berufsorientierung, trainieren Bewerbungsgespräche und lassen ihre Beziehungen spielen, wenn es darum geht, für ihre Schützlinge Praktika und Lehrstellen zu finden. „Ohne uns hätten viele Schüler kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt“, ist sich Heiß sicher. Auch an Hochschulen sind die Aktivsenioren tätig. Studenten werden bei der Gründung von virtuellen Firmen unterstützt. Businessplan, Vertrieb, Präsentationen, finanzielle Risiken – all dies muss von den Studenten wie im Echtfall durchgespielt werden. „Wir profitieren von der Frische und den Ideen der Studenten“, erzählte Heiß. Im vergangenen Jahr hat Heiß rund 70 Aufträge für seine Aktivsenioren angenommen. Es könnten viel mehr sein, „aber ich habe nicht so viele Leute“, bedauerte Heiß. Das soll sich ändern. Bei der Freiwilligenmesse stellt sich der Verein, der seine Geschäftsstelle im Münchner Haus des Stiftens hat, vor. Heiß hofft dadurch neue Aktivsenioren zu finden. „Im letzten Jahr sind bereits ein paar hängengeblieben“.
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