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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Mogst ned Schreiner wern?"
Aktivsenior Gerhard Plomitzer hilft Mittelschülern bei der Berufsfindung
Im Ruhestand kann man in Lethargie und Depression versinken. Das hat Gerhard Plomitzer im Bekanntenkreis gesehen. Und es ist eindeutig nichts für ihn. Er engagiert sich ehrenamtlich bei den Aktivsenioren und setzt sein über die Jahrzehnte gesammeltes Wissen ein, um den Jüngeren zu helfen. Schwerpunkt der Aktivsenioren ist es, Firmengründer und -inhaber bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu unterstützen. Ein weiteres Betätigungsfeld, das gut dazu passt, ist die Berufsberatung von Schulabgängern.
Herbergssuche in der Schule
Donnerstagmorgen, 9.15 Uhr in der Mittelschule an der Bernaysstraße. Die Mehrheit der Schüler hier hat eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit oder einen Migrationshintergrund. Gerhard Plomitzer und zwei weitere Aktivsenioren treffen sich mit den Lehrern "ihrer" Klassen. In Einzelgesprächen versuchen die Rentner, den Neuntklässlern bei ihrem Weg ins Berufsleben Orientierung zu geben. Dafür braucht es erst mal einen Raum, der gerade frei ist. "Es ist weihnachtlich", scherzt Gerhard Plomitzer, während er mit Björn Stäck, dem Lehrer der Klasse 9c, durchs Gebäude wandert: "Wir sind auf Herbergssuche."
Ein Raum ist gefunden und Plomitzer wartet hier auf den ersten Schüler. Im Klassenzimmer bietet der Lehrer derweil den Schülern die Gesprächsmöglichkeit mit dem externen Berater an. Natürlich nur denjenigen von ihnen, deren Eltern sich einverstanden erklärt haben. Von den 22 Neuntklässlern dürfen zwölf das Angebot annehmen. Zum einführenden Elternabend, erzählt Plomitzer, seien gerade einmal zwei Interessierte erschienen.
Bäcker statt Mediendesigner
Dennoch freut er sich über seine Erfolge. Die Hälfte der zwölf Schüler, also sechs, hatte zunächst den Berufswunsch "Mediendesigner". Plomitzer besprach mit ihnen die Aussichten auf einen Ausbildungsplatz. Und es gelang ihm, einen Teil der jungen Leute für andere Berufe zu interessieren. Einer der Schüler hat inzwischen einen Ausbildungsvertrag bei einem Bäcker unterschrieben, ein anderer wird Verfahrensmechaniker. "Das Handwerk ist der Mittelstand und der Steuerzahler Nummer eins. Von hier kommen auch die Innovationen", lobt Plomitzer. Er wohnt in Germering, ist in Maschinenbau und Betriebswirtschaft ausgebildet, hat bei insgesamt 13 Firmen gearbeitet und war zuletzt bei der Industrie- und Handelskammer für die Prüfungen im Weiterbildungsbereich zuständig. Er hat als Aktivsenior schon 20 Unternehmen vor der Pleite gerettet und macht die Schülerberatung im fünften Jahr. Schulleitung und Lehrer sind den Aktivsenioren dankbar für die Unterstützung aus der Praxis.
Netzwerk nützt allen
Ridvan kommt. Der 16-Jährige ist in Deutschland geboren und hat türkisch-stämmige Eltern. Er fragt den Aktivsenior, ob er Firmen kenne, die zum Bürokaufmann ausbilden. Natürlich übernehmen die Aktivsenioren nicht die Tätigkeit der Bundesagentur für Arbeit und vermitteln den Jugendlichen direkt Ausbildungsplätze. Aber aus der Beratungstätigkeit der Aktivsenioren für die Wirtschaft ist ein Netzwerk entstanden, von dem Firmen und Schüler profitieren können. Gut 20 Aktivsenioren sind in München im "Schulteam" unterwegs, jede Woche besuchen sie ihre Klassen und lassen sich über die Fortschritte und neuen Entwicklungen berichten. Gerhard Plomitzer verspricht Ridvan, ihm bis zum nächsten Mal Tipps zu seinem gefundenen Berufsziel zusammenzustellen.
Warten auf den Geistesblitz
Amanda kommt. Plomitzers härtester Fall, wie er selbst sagt. Zum zehnten Mal treffen sich die 17-Jährige slowenischer Herkunft und der 75-Jährige, den man dem Dialekt nach für einen gebürtigen Bayern halten würde, hätte er nicht erzählt, dass er als Kind aus dem Sudetenland vertrieben wurde. Amanda berichtet von ihrem kürzlich absolvierten Praktikum als medizinische Fachangestellte in einer Arztpraxis: "Das ist nichts für mich." Dieser Satz fällt noch öfter im Verlauf des Gesprächs. Egal welches Berufsfeld oder welche Tätigkeit Plomitzer auch ins Spiel bringt. Nein, nichts mit Patienten, nichts mit Kunden, nichts mit Technik. Der M-Zweig, also weiterer Schulbesuch für den mittleren Bildungsabschluss, kommt auch nicht in Frage. "Mogst ned Schreiner werden?", versucht es Plomitzer. Nein. - "Mogst Auto fahren?" - Nein. - "Telefonieren?" - Nein. "Ich weiß nicht, was ich machen will", sagt Amanda.
"Du musst diese Haltung irgendwann aufgeben", drängt Plomitzer und trägt ihr auf, sich nochmal ernsthaft und gründlich mit der Broschüre "Beruf aktuell" der Bundesagentur für Arbeit auseinanderzusetzen, in der rund 500 Ausbildungsberufe beschrieben sind. "Amanda, ich schließ dich in mein Nachtgebet ein, und wenn i an Geistesblitz hab, dann dat i di oruafa", schließt Plomitzer die ergebnislose Beratung ab.
Die Aktivsenioren Bayern e.V. wurden vor 30 Jahren gegründet, haben über 300 Mitglieder und blicken auf über 20.000 erfolgreiche Einsätze zurück. Weitere Unterstützer – aktive, passive und Fördermitglieder – sind immer herzlich willkommen. Nähere Informationen stehen unter www.aktivsenioren.de im Internet.
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