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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Wir müssen dafür sorgen, dass mehr gebaut wird"
Wohnungsministerin Kerstin Schreyer über die Nähe zum Arbeitsplatz, Home-Office und Auto, die Aufgaben der Kommunen und das Füllen von Lücken
Kaum ein anderes Thema beschäftigt Menschen im Großraum München so sehr wie die Suche nach günstigen Wohnraum bzw. die Möglichkeit, ein bezahlbares Eigenheim zu finden. Die Corona-Pandemie hat daran nichts geändert. In Bayern sind im Jahr 2020 64.013 Wohnungen fertiggestellt worden - so viele, wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Außerdem sind die Aussichten gut, dass es so weitergeht: 2020 wurden über 77.000 Baugenehmigungen für Wohnraum erteilt, so viele wie zuletzt 1998.
Heike Woschée hat mit der bayerischen Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr, Kerstin Schreyer, über das Wohnen in Stadt und auf dem Land gesprochen, aber auch über die nötige Infrastruktur.
"Nähe ist nicht mehr erste Priorität"
„Die Corona-Pandemie hat, neben vielen schrecklichen Begleiterscheinungen, auch Chancen eröffnet und zum Beispiel die Digitalisierung in Deutschland enorm voran gebracht. Home-Office ist nicht mehr die Ausnahme, sondern ist dort, wo es möglich ist, zur Regel geworden. Die Tatsache, dass immer mehr Menschen einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Arbeitszeit im Home-Office verbringen, wirkt sich auch auf den Wohnungsmarkt aus und wird das weiterhin tun. Die Nähe zum Arbeitsplatz ist damit nicht mehr die erste Priorität bei der Suche nach dem passenden Zuhause“, erklärt Staatsministerin Kerstin Schreyer.
Das bedeute vor allem für Familien, dass der Radius für das passende Zuhause nicht unmittelbar in der Stadt liegen muss, sondern auch weiter draußen sein kann. Entscheidend sei hier die passende Infrastruktur: Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr, Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen, aber auch schnelles Internet, damit das mit dem Home-Office klappt.
Was ist wo am sinnvollsten?
„Deshalb ist es, wenn man das Wohnraumproblem in Ballungsgebieten lösen will, genauso wichtig, dort bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, wie den ländlichen Raum mit dem Öffentlichen Nahverkehr aber auch einem ordentlichen Straßennetz zu erschließen“, betont Schreyer. Während in Städten wie München das eigene Auto an Bedeutung verliere, sei es in ländlicheren Gebieten nach wie vor unerlässlich.
Das Ministerium betrachtet beide Varianten gleichwertig und setzt nicht nur alleine auf den Öffentlichen Nahverkehr. „Ein Bus oder eine Bahn, die quasi leer fährt, ist auch nicht ökologisch, geschweige denn wirtschaftlich“, so Schreyer. Sie hält nichts von einer generellen Verteufelung des Autos. Vielmehr müsse man im Einzelfall passgenau entscheiden, in welche Infrastrukturmaßnahmen man am sinnvollsten investieren müsse.
Derzeit habe der Öffentliche Nahverkehr in München und dem Landkreis aber nicht mit zu vielen, sondern mit zu wenigen Fahrgästen zu kämpfen. „Die Zahl der Fahrgäste im ÖPNV im Münchner Raum ist 2020 um 40 Prozent gesunken. Das sind enorme Umsatzeinbußen, die hier abgefedert werden müssen. Wir hoffen, dass wie im letzten Jahr der Bund auch für 2021 mit Fördermitteln einspringen wird, um die Defizite abzumildern. Dabei gibt es keinen Grund, die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden, denn sie sind absolut sicher. Alle erforderlichen Hygienemaßnahmen wurden ergriffen, damit die Menschen, aber auch die Fahrer so sicher wie möglich unterwegs sind.“
Drei staatliche Gesellschaften bauen
Der Freistaat Bayern verlasse sich nicht darauf, dass die Bürger selber dafür sorgen, dass es genügend Wohnraum gibt, sondern werde hier selbst auch aktiv. Bayern hat hierfür drei staatliche Wohnungsbaugesellschaften. Die Stadibau GmbH bietet Staatsbediensteten im Süden Bayerns bezahlbaren und bedarfsgerechten Wohnraum. Die Siedlungswerk Nürnberg GmbH ist in der Nürnberger Region und Umgebung regional tätig und schafft dort Wohnraum. Die im Juli 2018 neu gegründete BayernHeim GmbH soll Mietwohnungen für Haushalte in ganz Bayern schaffen, die sich am Markt nicht selbst angemessen mit Wohnraum versorgen können.
Kommunen in der Pflicht
Darüber hinaus erinnert die Staatsministerin, dass es Aufgabe der jeweiligen Kommunen sei, Wohnraum vor Ort zu schaffen. Der Freistaat habe hierfür zahlreiche Förderprogramme aufgelegt, um die Kommunen bei diesen Vorhaben zu unterstützen. Den jüngst in Berlin gekippten so genannten Mietendeckel hält Kerstin Schreyer übrigens nicht für die Lösung bei der Schaffung von günstigem Wohnraum. Beim Mietendeckel werden die Mieten bei einem bestimmten Betrag eingefroren. Das hat in Berlin etwa ein Jahr gegolten und ist kürzlich vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden. Durch den Mietendeckel ist in Berlin das Angebot an Mietwohnungen eingebrochen, Erhebungen sprechen von bis zu 60 Prozent. Außerdem gab es deutlich weniger Investitionen in Renovierung und Neubau. Nach dem Urteil des BVerfG drohen vielen Mietern darüber hinaus nun Nachzahlungen.
„Wir müssen dafür sorgen, dass mehr gebaut wird, denn wo mehr Auswahl besteht, da regulieren sich auch die Preise“, ist sich Kerstin Schreyer sicher.
Wier kann man die Zentren beleben?
Ein weiteres wichtiges Anliegen für die Staatsministerin ist die Wiederbelebung der Innenstädte nach der Corona-Pandemie. Es sei wichtig, hier schnell etwas zu tun, denn ein Leerstand an Geschäftsräumen lasse sich in der Regel nur sehr schwer wieder füllen. Gefragt sind nun Ideen, um Zentren zu Erlebnis- und Wohlfühlorten mit Freizeitcharakter zu machen. Staatsministerin Kerstin Schreyer hat dazu auf Anregung des Handelsverbandes einen Runden Tisch aus Politik, Kommunen und Verbänden ins Leben gerufen und holt sich auch Anregungen vor Ort. Mit dabei sind auch Wirtschafts-, Innen- und Wissenschaftsministerium. Im Bereich der Städtebauförderung unterstützt das Bauministerium außerdem über einen neu ins Leben gerufenen 100 Millionen Euro schweren Sonderfonds „Innenstädte beleben“ Bayerns Städte, Märkte und Gemeinden.
Bei der Stadtentwicklung möchte die Ministerin den Autoverkehr übrigens nicht ganz aus der Stadt vertreiben, denn gerade für größere Besorgungen griffen die Menschen eher aufs Auto zurück. „Es gibt viel zu tun, aber wir sind auf einem guten Weg“, ist sich Kerstin Schreyer sicher.
Wohnen, Bau und Verkehr
Kerstin Schreyer ist 49 Jahre alt. Sie ist seit 2008 Abgeordnete im bayerischen Landtag (Stimmkreis München Land Süd). Im März 2018 übernahm sie das Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales. Seit 2020 ist sie die bayerische Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr.
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