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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Wir haben Lösungen"
Unternehmen wollen sinnvolle Öffnungen mit Hygienekonzepten
Die Gesundheit der Bürger und gleichzeitig die Stabilität der Wirtschaft zu schützen, ist in einer Pandemie ein schwieriger Balanceakt. Ein Virus, das sich nur über Kontakte zwischen Menschen verbreiten kann, lässt sich nur durch Impfungen und Kontaktbeschränkungen in den Griff bekommen.
"Viele sind ratlos und hilflos"
Der Lockdown unterbricht aber nicht nur Kontakte und Infektionsketten, sondern verursacht "Kollateralschäden". Davon sind Selbständige und Mittelständler besonders getroffen: "Jede Woche kostet der Lockdown in Deutschland 40 Milliarden Euro", sagte Dr. Yorck Otto (Präsident UMU - Union mittelständischer Unternehmer) Aktionstag der Initiative "Gemeinsam Zukunft". Die Auswirkungen sind aber nicht nur finanzieller Art, sondern gehen der ganzen Gesellschaft und vielen Bürgern an die Nieren, betonte Susanne Grill. Sie ist Projektmanagerin der Cocoon Hotels und Dozentin für Tourismusmanagement an der Hochschule München und hat die Initiative "Gemeinsam Zukunft" gegründet.
"Ich habe immer gelernt, nach vorne zu blicken und optimistisch zu sein", sagte Grill, "diese Perspektive ist in den letzten Wochen komplett verloren gegangen. Ich sehe Menschen, die keine Perspektive haben, die hilflos und ratlos sind." Sie fordert sinnvolle, transparente und gerechte Maßnahmen. Wenn manche Branchen weniger eingeschränkt werden als andere (z.B. wenn Supermärkte verkaufen, Fahrradhändler aber nur noch reparieren dürfen), sei das eine Wettbewerbsverzerrung.
Man wolle endlich wieder arbeiten dürfen, endlich wieder ein Stück Normalität zurückbekommen, endlich wieder in die Schule gehen dürfen.
"Wir können nicht einfach hinnehmen, dass der Lockdown die einzige Lösung ist, die Pandemie zu bekämpfen", unterstrich Grill. "Wir wollen sinnvolle Öffnungen mit Hygienekonzepten."
Aiwanger für "Testen und Öffnen"
Ein gangbarer Weg und "Türöffner" für viele Branchen - und die Schulen - sei "Testen und Öffnen", erklärte Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Mit negativen Testergebnissen könne man die Öffnung vieler Bereiche wagen. Aiwanger appellierte auch an die Eltern von Schulkindern, die Selbsttests in den Schulen mitzutragen. Er widersprach damit Romy Stangl (One Billion Rising München e.V.), die Tests in den Schulen als gesundheitsgefährdend und die Kinder möglicherweise stigmatisierend ablehnt.
Für jede Variante gebe es gute Argumente dafür und dagegen, sagte Aiwanger und wies darauf hin, dass etwa 20 Prozent der Kinder ohne Frühstück zum Unterricht kommen, weil das Elternhaus nicht funktioniere. Daher warnte er: "Wenn wir alle Tests zuhause machen, schlägt unter Umständen eine zweistellige Prozentzahl nicht ordentlich getester Kinder an den Schulen auf und verbreitet vielleicht das Virus." Die Tests in den Schulen seien "nicht der allein selig machende" Weg, aber der "wasserdichtere", so Aiwanger: "Ich bitte, diesen Weg mitzugehen."
"Aus dieser Logik verabschieden"
MdL Martin Hagen (Landtagsfraktionsvorsitzender FDP) kritisierte, dass der Lockdown immer wieder verlängert wurde. "Wir müssen uns aus dieser Logik des Lockdowns verabschieden", sagte er. Die Tests ließen mehr öffentliches Leben zu. "Vor allem müssen wir weg von der Fixierung auf den Inzidenzwert", ergänzte Hagen, "er kann nicht das alleinige Kriterium sein."
Ministerpräsident Söder hatte in seiner Regierungserklärung am 5. März diese Orientierung am Inzidenzwert damit erklärt, dass er der "mit Abstand beste und verlässlichste Wert" sei. Vor allem sei er das früheste Warnsignal - wenn die Inzidenz steige, folge das Ansteigen der Klinikbelegungen und letztlich der Mortalität. "Wer auf Todesraten wartet, hat den Moment verpasst, zu handeln", verdeutlichte Söder den Wert des Inzidenzwerts.
"Niemand leugnet die Gefahr"
"Niemand von uns leugnet Corona, niemand von uns leugnet die Gefahr", sagte MdL Florian Post (SPD) beim Aktionstag. Er kritisierte aber, dass der Bundestag bei den notwendigen Schutzmaßnahmen nicht mitwirke: "Der Bundestag hat sich ein Stück weit selbst entmachtet", sagte er. Man erlebe "die größte Einschränkung der Grundrechte seit Bestehen der BRD", so Post, darüber müsse das Parlament mitentscheiden, nicht nur Kanzlerin und Ministerpräsidenten.
Den "bloßen Lockdown" hält er für zu einfach - es brauche alternative Maßnahmen. "Das Leben und die Gesundheit sind das hochwertigste Gut, dass es zu schützen gilt", unterstrich Post. Man müsse aber auch den Problemen der Wirtschaft und der Bürger den angemessenen Stellenwert geben.
Das Rückgrat stärken
Darauf drängte auch Dr. Yorck Otto, der den Mittelstand ungerecht behandelt sieht. Die deutsche Wirtschaft sacke ab, warnte er. Die kleinen Unternehmen seien in der Corona-Krise massiv benachteiligt worden - ganz anders als Lufthansa, Daimler und andere, die große Hilfen bekamen oder schon wieder Dividenden auszahlen.
"Die Kleinen sind immer noch der größte Steuerzahler dieses Landes", erinnerte Otto. Man müsse berücksichtigen, dass internationale Konzerne wie Amazon oder Netflix mit dem deutschen Steuersystem nichts zu tun haben. "Die Chancengleichheit muss zwingend wiederhergestellt werden - insbesondere zum Schutz der kleinen und mittleren Unternehmen", so Otto. Sie und die Soloselbständigen, die oft monatelang auf Geld warten mussten, müsse man stärken.
"Lasst uns öffnen!"
Gabriele Sehorz (Präsidentin des BDS - Bund der Selbständigen) brach eine Lanze für die im BDS organisierten Unternehmer: "Sie wissen, an ihnen hängen über 70 Prozent aller Arbeitsplätze in Bayern und dafür kämpfen sie mit Herzblut." Viele setzen gerade ihre Existenz aufs Spiel, um in der Pandemie vernünftige Entscheidungen mitzutragen. "Unsere Unternehmen haben viel getan: Betriebe heruntergefahren, Hygienekonzepte ausgearbeitet und viel Geld investiert", so Sehorz, "wir haben Modelle, mit denen wir öffnen können. Lasst uns - mit Sachverstand und Gesundheitsschutz - öffnen!"
Der BDS wolle nichts Übereiltes, sieht aber insbesondere in flächendeckenden Tests viele Handlungsspielräume. "Testen kann die Welle brechen", so Sehorz, die "mehr Freiheiten für die, die getestet sind" für möglich hält.
Mit sinkenden Inzidenzwerten, negativen Testergebnissen und starken Hygienebeschränkungen sollten Geschäfte und Betriebe wieder öffnen dürfen. "Wir brauchen die geöffneten Geschäfte", bekräftigt Gabriele Sehorz, "und wir haben die Hoffnung, dass wir jetzt in diese Richtung abbiegen."
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