Verkaufen wir unsere Seele?
Unsere Berichterstattung über das Freihandelsabkommen TTIP und die in den vergangenen Ausgaben veröffentlichten Leserbriefe dazu ergänzt Waltraud Lucic, die Vorsitzende des Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverbands (MLLV e. V.), mit einer Warnung: Bildung ist kein Handelsgut! Sie schreibt:
Bildung darf nicht privatisiert werden
USA und Europa wollen Hürden abbauen. Der Handel soll mit dem Freihandelsabkommen erleichtert werden: Hemmnisse werden abgebaut, Normen und Regelungen werden vereinheitlicht. Die Preise sinken. Wer beachtet den Umweltschutz? Wer setzt sich für die Nachhaltigkeit ein? Wer setzt Bildungsstandards? Verkaufen wir unser Hoheitsrecht, das Länderrecht auf Bildung?
Immer schneller, immer höher, immer weiter, immer billiger! Bildung ist aber kein Handelsgut. Bildung ist Menschenrecht. Bildung ist die Grundlage für eine gelingende Demokratie und ein friedvolles Miteinander.
Bildung hat im Freihandelsabkommen nichts zu suchen! Bildung darf nicht privatisiert werden. Im Rahmen des Freihandelsabkommens kann Amerika verstärkt private Schulen und Universitäten in der EU eröffnen. Sie werden dort gebaut werden, wo große Gewinne erzielt werden können: wirtschaftliche Gewinne! Ist Schule ein Wirtschaftsbetrieb? Nein: Schule ist Lebenswerkstatt. Die Wirtschaftlichkeit zahlt sich später aus, wenn feststeht, wie viele Jugendliche ihren Unterhalt selbst verdienen können oder ob der Arbeitsmarkt ausreichend Fachkräfte hat.
Druck haben unsere Kinderschon genug
Der Volksmund sagt “Konkurrenz belebt das Geschäft”. Ja. Und Konkurrenz erhöht massiv den Druck. Davon haben unsere Kinder schon jetzt genug.
Das Freihandelsabkommen sieht vor, den Wettbewerb der Unternehmen so weit wie möglich im Gebiet des jeweiligen anderen Vertragspartners vor staatlichen Eingriffen zu schützen. Dieser Investitionsschutz soll von außerstaatlichen Schiedsgerichten überprüft werden und bei Zuwiderhandlung mit hohen Geldbußen geahndet werden.
Unsere hohen Bildungsstandards und die staatlichen Auflagen können somit unterlaufen werden, regionale Besonderheiten können ausgehebelt werden. Wir werden verlieren. Jetzt genießen Schulen den besonderen Schutz des Staates, der sogar in der Verfassung grundgelegt ist.
TTIP gefährdet die Demokratie
TTIP gefährdet die Demokratie. Die intransparenten Verhandlungen sind nicht akzeptabel. Bürger und Parlamente sind nicht beteiligt. Anwaltsfirmen statt öffentlicher Gerichte entscheiden Streitfälle.
Wir stoßen bei Europa an unsere Grenzen und ich befürchte, dass die Freihandelszone uns Bürger wie Marionetten aussehen lassen wird. Wollen wir unsere Seelen verkaufen? Was hinterlassen wir unseren Kindern?
Unsere Verantwortung reicht über unsere Zeit hinaus. Nehmen wir sie ernst!
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