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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Respekt bedeutet, Unterschiede auszuhalten"
bpb-Präsident Thomas Krüger über Beleidigungen und Zusammenhalt, Augenhöhe und Witze, Mut und Zeit
Respekt ist das Gegenteil von Ignoranz. Wir alle brauchen ihn: Respektiert zu werden und auch ihn anderen zu zollen, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Respekt bildet in einem demokratischen System einen Grundwert. Respekt ist vereinfacht gesprochen die Grundlage für alles. Doch was bedeutet uns Respekt im Alltag? Dieser Frage widmet sich die aktuelle Ausgabe des "fluter", des Jugendmagazins der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), auf 50 Seiten. Es beleuchtet Hintergründe und Diskussionen, liefert Argumente, zeigt Menschen und ihre Erfahrungen. Das Heft gibt es kostenlos hier.
Wochenanzeiger-Volontär Florian Ladurner machte sich mit Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Gedanken überRespekt und unseren Umgang miteinander.
"Wir brauchen Respekt"
Nur wer einander mit Respekt begegnet, kann sinnvoll streiten und Kompromisse finden. Das gilt für die Familie und den Beruf, wie auch für das Agieren auf politischer und sozialer Ebene. Stellen Sie eine Veränderung im Umgang miteinander fest?
Thomas Krüger: Diese Frage lässt sich so pauschal gar nicht beantworten. Was man im öffentlichen Diskurs aber feststellen kann ist, dass der Tonfall zwischen gesellschaftlichen Gruppen rauer geworden ist. Die Grenzen des Sagbaren haben sich verschoben. Und wenn wir nicht aufpassen, werden sie sich weiter dahingehend verschieben, dass Beleidigungen und Ausgrenzungen zum Alltag gehören. Wir brauchen den Respekt voreinander, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht zu verlieren.
"Nicht mit Meinung verwechseln"
Welche Risiken birgt eine sich immer respektloser verhaltende Gesellschaft im Hinblick auf die Demokratie?
Thomas Krüger: Demokratie lebt von einer offenen Streit- und Debattenkultur. Trotz oder gerade deswegen müssen wir uns an bestimmte Regeln halten. Dazu gehört zum einen, andere Meinungen als die eigene anzuerkennen. Dazu gehört aber auch, diskriminierende Äußerungen nicht mit Meinungen zu verwechseln. Die respektvolle Haltung gegenüber unseren Mitmenschen ist eine Grundvoraussetzung für Demokratie.
"Soziale Medien als Chance für politische Streitkultur"
Soziale Medien sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Die Anonymität in sozialen Netzwerken verleitet allerdings viele Nutzer dazu, sich respektlos gegenüber ihren Mitmenschen zu verhalten. Welche Auswirkungen hat das auf die Streitkultur?
Thomas Krüger: Grundsätzlich betrachte ich soziale Medien als eine Chance für die politische Streitkultur, weil sie Menschen die Möglichkeit geben, sich viel direkter als noch vor ein paar Jahren an politischen Debatten zu beteiligen, sich auszutauschen und zu organisieren. Die Anonymität im Internet aber ist auf zwei Ebenen problematisch. Erstens verleitet es Einige zu zügellosen Äußerungen, schließlich muss man seinem Gegenüber nicht in die Augen schauen. Zweitens verschleiert Anonymität die Quelle einer These und macht schwer nachvollziehbar, was davon wahr ist. Eine konstruktive Streitkultur dagegen braucht die ehrliche und transparente Auseinandersetzung auf Augenhöhe.
"Lachen kann befreien"
„Suche keinen Menschen, auch die Schwächsten nicht, in Gesellschaften lächerlich zu machen!“ rät Freiherr von Knigge in seinem 1788 erschienenen Buch „Vom Umgang mit Menschen“, in dem es mehr um Respekt als um Benimmregeln geht. Zahlreiche TV-Formate zielen aber genau darauf ab, Menschen der Lächerlichkeit preiszugeben. Lebt Unterhaltung nicht von einer gewissen Respektlosigkeit gegenüber anderen?
Thomas Krüger: Die Formate, auf die Sie anspielen, leben in erster Linie von der Freude an Sozial-Voyeurismus. Aber nicht alle Unterhaltungsformate funktionieren nach dieser Logik. Humor kann wichtige soziale Funktionen in einer Gesellschaft übernehmen: vom bloßen Vergnügen über Informationsvermittlung, wie es die Satire kann, bis hin zum Ventil. Denn Humor ermöglicht es Druck abzubauen. Lachen kann befreien. Guter politischer Humor allerdings geht nicht auf Kosten Schwächerer, finde ich zumindest. Da war der politische Witz im ehemaligen Ostblock immer ganz groß drin, nehmen Sie so einen Witz wie: “Im Kapitalismus wird der Mensch durch den Menschen ausgebeutet – im Kommunismus ist es umgekehrt.” Das ist für mich ein Beispiel für einen gelungenen Sprachwitz, der scharf “nach oben” gerichtet war aber nach unten „solidarisierend“ wirkte. Die Parolen erhielten im Witz ihre Umkehrung und dadurch den realen Sinn zurück.
"Respekt ist eine Form der Anerkennung"
Im Editorial Ihres "fluters" wird „Respekt als das Gegenteil von Ignoranz“ definiert. Wie definieren Sie Respekt?
Thomas Krüger: Respekt ist für mich eine Form der Anerkennung. Ein respektvoller Umgang bedeutet, anderen Menschen mit Achtung und Rücksicht zu begegnen und Unterschiede auszuhalten. Insofern hat Respekt für mich auch viel mit Toleranz zu tun.
"Verhältnis zwischen Respekt und Autorität hat sich gewandelt"
Verstehen die verschiedenen Generationen unter "Respekt" das Gleiche?
Thomas Krüger: Ich denke, das Verhältnis zwischen Respekt und Autorität hat sich gewandelt. Während ältere Generationen gewohnt sind, dass man sich Respekt verdienen muss, fordern die jüngeren Generationen gleichen Respekt für alle. Hier gilt es, Verständnis für die jeweils andere Seite aufzubringen. Denn auf dem Grund der Debatte um Respekt liegt die Frage, wie unterschiedliche Vorstellungen miteinander in Einklang gebracht werden können. Hilfreich ist hierbei eine nüchterne Betrachtung der verschiedenen Interessen und Hintergründe. Emotionale Bewertungen sollten hinten angestellt werden.
"Nimm dir die Zeit, dich deines Verstands zu bedienen"
„Jeder Mensch soll mit gleicher Rücksicht und Respekt behandelt werden.“ Dieser verkürzte kantische Ansatz charakterisiert eine nach moralischen Grundsätzen lebende Gesellschaft. Ein Blick in die Geschichte lehrt uns allerdings, dass der respektvolle Umgang zwischen Menschen oftmals nicht existiert. Ist Respekt nur ein Wunschgedanke?
Thomas Krüger: Das Denken der Menschen ist zweierlei geprägt. Zum einen haben wir die affektgeleitete Stimme in unserem Kopf, die aus dem Moment heraus reagiert. Sie greift auf routinierte Denkmuster zurück, was ihr schnelle Urteile ermöglicht. Leider gehören auch Vorurteile zu diesen routinierten Denkmustern.
Zum anderen haben wir die viel langsamere, dafür aber rationalere Stimme im Kopf. Sie wägt neue Informationen und Argumente ab und kommt zu ausgewogeneren Urteilen. Das Problem ist: Vorurteile reflektieren erfordert Zeit und Muße. Das Kantsche Prinzip „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ könnte deswegen auch lauten: „Nimm dir die Zeit, dich deines Verstandes zu bedienen“.
"Respekt vor dem Andersartigen macht neue Erkenntnisse möglich"
Die Bundeszentrale für politische Bildung organisiert zahlreiche Veranstaltungen, die sich mit dem Thema Respekt auseinandersetzen. Wie kann „Respekt“ in all seinen Facetten dazu beitragen, politische Aufklärungsarbeit zu leisten?
Thomas Krüger: Respekt ist ein wichtiger demokratischer Grundwert und schon allein deswegen bei der politischen Bildung immer im Gepäck. Es ist aber auch eine soziale Kompetenz, die erlernt werden muss. Deshalb bietet die Bundeszentrale für politische Bildung zum Beispiel Comics wie „Was WÜRDEst Du tun“ für Kinder und Jugendlichen an. Respekt vor dem Andersartigen öffnet die Sinne dafür, sich bewusst zu machen, was man selbst zu wissen glaubt und macht neue Erkenntnisse möglich.
"Ich habe großen Respekt vor den vielen Ehrenamtlichen"
Unsere Gesellschaft lebt von Menschen, die sich tagtäglich für ihre Mitmenschen einsetzen. Im allgemeinen Sprachgebrauch zollen wir diesen Personen „Respekt“. Ein freundliches Wort an der Supermarktkasse, ein guter Schul- oder Universitätsabschluss kann mit dem Wort Respekt in Verbindung gebracht werden. Wovor haben Sie persönlich (besonderen) Respekt?
Thomas Krüger: Ich habe großen Respekt vor den vielen Ehrenamtlichen, die sich in Deutschland engagieren, aber auch vor Menschen, die in der Pflegearbeit tätig sind wie Krankenschwestern, Altenpfleger und Erzieherinnen. Diese Berufe sind in der Regel körperlich und emotional sehr anstrengend und leider auch schlecht bezahlt. Dennoch gibt es Menschen, die sich aus Überzeugung für diese Berufe entscheiden. Das bewundere ich sehr.
Das Verständnis fördern
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat ihren Hauptsitz in Bonn. Sie wurde 1952 - damals noch unter dem Namen Bundeszentrale für Heimatdienst - gegründet. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, das Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken.
Thomas Krüger ist seit 2000 Präsident der Bundeszentrale.
Info: www.bpb.de.
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