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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Niemand muss Beleidigungen oder Bedrohungen aushalten"
Justizminister Georg Eisenreich über Freiheit und Regeln, Durchgreifen und Schützen, Klicks und Kinder
Seit 2018 ist Georg Eisenreich bayerischer Justizminister. Der 50-jährige CSU-Politiker macht sich in diesem Amt besonders für den Schutz der Bürger vor Hassreden und Hetze stark. Mit Johannes Beetz sprach er über die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren und wo wir bessere Regeln brauchen, um unsere Freiheit zu bewahren.
"Jeder darf seine Meinung frei sagen"
An einem bayerischen Stammtisch, im Bierzelt gar, ist man um ein deutliches Wort nur selten verlegen. Aber ich sehe meinem Gegenüber sofort an, wenn ich einer Grenze zu nahekomme. Am Smartphone oder Rechner nicht. Sind wir deswegen so hemmungslos?
Georg Eisenreich: Jeder darf in Deutschland seine Meinung frei sagen. In Bayern machen wir das sogar noch klarer und kraftvoller als anderswo. Die Meinungsfreiheit ist ein von der Verfassung geschütztes Grundrecht. Wir beobachten aber, dass in der Anonymität des Internets die Äußerungen enthemmter sind. Menschen schreiben dort Dinge, die sie anderen Menschen nie ins Gesicht sagen würden. Hass und Hetze haben im Internet in erschreckender Weise zugenommen. Dazu kommt, dass laute, polarisierende Meinungen im Netz eine viel größere Reichweite und Aufmerksamkeit haben als ausgewogene und sachliche Meinungen. Wer die Meinungsfreiheit schützen will, muss strafbaren Hass bekämpfen.
"Hier brauchen wir sie"
Müssten Medien und Plattformen nicht besser darauf achten, was da über sie verbreitet wird? Das Presserecht steckt für Zeitungen und Funk dafür einen sehr klaren, gut funktionierenden Rahmen ab. Warum gibt‘s das nicht auch für "soziale" Medien?
Georg Eisenreich: Ich setze mich nachdrücklich dafür ein, die sozialen Medien viel stärker in die Pflicht zu nehmen. Ich bin grundsätzlich gegen mehr Regulierung – aber hier brauchen wir sie. Erst in diesem Jahr hat der Bundestag wichtige Verbesserungen beschlossen. Der Bundesgesetzgeber hat die Plattformbetreiber verpflichtet, dass sie schwere Straftaten beim Bundeskriminalamt anzeigen müssen.
"Wir wollen die Urheber zur Rechenschaft ziehen"
Wie ist die Zusammenarbeit mit Facebook & Co?
Georg Eisenreich: Ich habe verschiedene Initiativen gestartet, um mit Facebook in Dialog zu treten – Briefe geschrieben, Gespräche geführt. Doch die Kooperationsbereitschaft von Facebook mit unseren Ermittlern ist oft nicht ausreichend. Wir wollen diejenigen, die strafbaren Hass verbreiten, die beleidigen, verleumden oder bedrohen, zur Rechenschaft ziehen. Das können wir aber nur, wenn wir die Urheber identifizieren. Daher erwarte ich von den Sozialen Netzwerken, dass sie ohne Wenn und Aber antworten, wenn unsere Ermittler eine Auskunft über den Urheber eines strafbaren Hass-Posts verlangen.
"Es ist echte Gefahr für unsere Demokratie"
Sie haben – wie kein anderer Justizminister in der Republik – die Bekämpfung solcher Straftaten zur Chefsache gemacht. Warum tun Sie das so nachdrücklich?
Georg Eisenreich: Das Thema treibt mich schon lange um. Im Internet hat sich etwas zusammengebraut, das eine echte Gefahr für unsere Demokratie darstellt. Durch Hass und Hetze wird die Meinungsfreiheit eingeschränkt, weil sich immer mehr Menschen aus Sorge vor hasserfüllten Reaktionen nicht mehr äußern.
Zudem können aus Worten Gewalttaten werden. Unser Rechtsstaat muss daher wehrhaft sein: Er muss genau hinschauen und bei strafbarem Hass im Netz durchgreifen. Der Kampf gegen Hate Speech ist auch ein Kampf gegen Extremismus.
"Die bayerische Justiz ist gut aufgestellt"
Hat unsere Justiz für das Aufspüren und Verfolgen von Hass-Kriminalität genügend Mitarbeiter, Know-How und technische Mittel?
Georg Eisenreich: Die bayerische Justiz ist beim Kampf gegen Hass und Hetze im Netz gut aufgestellt. Unsere schlagkräftigen Strukturen für die Strafverfolgung habe ich noch weiter optimiert. Seit Januar 2020 gibt es Deutschlands ersten Hate-Speech-Beauftragten, Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb, bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) bei der Generalstaatsanwaltschaft München. Er wird unterstützt von Sonderdezernaten, die bei allen 22 bayerischen Staatsanwaltschaften eingerichtet wurden. In ganz Bayern verfolgen also spezialisierte Staatsanwälte konsequent strafbaren Hass. Mit unserem Projekt "Justiz und Medien – konsequent gegen Hass" haben wir außerdem einen neuen Weg der Zusammenarbeit zwischen Justiz und Medien geschaffen.
"Politiker dürfen nicht empfindlich sein"
Sie haben Maßnahmen-Pakete erarbeitet, um Kommunalpolitiker besser vor Straftaten zu schützen. Welche sind das?
Georg Eisenreich: Ich möchte betonen, Politiker dürfen nicht empfindlich sein. Wir leben in einem freiheitlichen Land. Politische Debatten und Kontroversen sind nicht nur erlaubt, sondern notwendig. Das ist das Fundament unserer Demokratie. Aber niemand muss Beleidigungen oder Bedrohungen aushalten.
Im vergangenen Jahr war Kommunalwahl und wir erleben, dass Bürgerinnen und Bürger nicht mehr bereit sind, insbesondere für ehrenamtliche politische Ämter zu kandidieren. Unsere Gesellschaft braucht aber auch künftig Frauen und Männer, die sich auf kommunaler Ebene politisch engagieren wollen. Die Justiz hat daher für Amts- und Mandatsträger ein Online-Meldeverfahren für Straftaten im Netz entwickelt. Seit dem vergangenen Jahr können sie Anzeigen online an die Justiz schicken. Unsere Staatsanwälte übernehmen dann die Strafverfolgung.
"Nahezu 100 Täter wurden verurteilt"
Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen? Wie viele Fälle konnten geahndet werden?
Georg Eisenreich: Bayerns Hate-Speech-Beauftragter und die 22 Sonderdezernenten bei den Staatsanwaltschaften haben im vergangenen Jahr 1.648 Ermittlungsverfahren wegen Hass-Postings im Internet eingeleitet. Nahezu 100 Täter wurden rechtskräftig verurteilt. Die jeweilige Strafe hängt immer vom Einzelfall ab. Unser Hate-Speech-Beauftragter hat Beispiele genannt: Bei einer Volksverhetzung kommt es bei einem Ersttäter in der Regel zu einer Geldstrafe in Höhe von etwa drei Monatsgehältern. Bei Wiederholungstätern drohen noch empfindlichere Geldstrafen oder auch Freiheitsstrafen.
Wer im Internet hetzt, muss damit rechnen, dass um 7 Uhr in der Früh Polizei und Staatsanwaltschaft an der Tür klingeln.
"Zeigen Sie Hasskommentare an!"
Sind Frauen von Hass und Hetze stärker betroffen als Männer?
Georg Eisenreich: Hass und Hetze im Netz kennen keine Grenzen und können jeden treffen: Minderheiten, politisch Andersdenkende, Andersgläubige und immer wieder Frauen. Über Hate Speech gegen Mädchen und Frauen wird immer wieder berichtet. Prominente Frauen, Journalistinnen, Politikerinnen oder andere Frauen, die sich öffentlich engagieren, werden allein wegen ihres Geschlechts Opfer sexualisierter Beleidigungen im Internet.
Ich nehme den Schutz von Mädchen und Frauen sehr ernst. Deshalb wird seit Beginn des Jahres strafbare Hate Speech gegen Frauen gesondert erfasst. Damit können wir die Täter noch gezielter ins Visier nehmen. Ich möchte Mädchen und Frauen ausdrücklich ermutigen: Zeigen Sie Hasskommentare an.
"Einzelne Änderungen reichen nicht"
Vernünftig miteinander umzugehen, ist keine komplizierte Sache. "Was du nicht willst, das man dir tut …" reicht als Regel fast immer aus. Warum brauchen wir plötzlich Gesetze dafür?
Georg Eisenreich: Diese Regel ist sehr gut. Viele halten sich daran, aber leider nicht alle. Deshalb muss der Gesetzgeber Grenzen festlegen und auch die Konsequenzen, wenn diese Grenzen überschritten werden. Von Zeit zu Zeit müssen diese Regeln aktualisiert werden. Das Beleidigungsstrafrecht besteht im Kern seit 150 Jahren.
Die zentralen Straftatbestände sind in manchen Bereichen nicht mehr zeitgemäß und müssen an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters angepasst werden. Bei Beleidigungen im Internet wurde der Strafrahmen von einem Jahr auf zwei Jahre erhöht, da die Beleidigung im Netz sehr viele Menschen erreicht und das Internet nie etwas vergisst.
Aber einzelne Änderungen reichen nicht. Es ist Zeit für eine umfassende Modernisierung des Beleidigungsstrafrechts. Dazu habe ich schon Ende 2019 einen Vorschlag vorgelegt. Besonders schwerwiegende Beleidigungsstraftaten müssen härter bestraft werden können.
"Möglichkeiten lernen und die Grenzen kennen"
Respektlosigkeit und Unfairness haben Konsequenzen – von Kindesbeinen an. Kinder brauchen Grenzen – und können damit in aller Regel umgehen. In einer Zeit, in der wir glücklicherweise Freiheit in nie gekanntem Maß erleben dürfen, fällt es mitunter schwer, Grenzen zu setzen. Heißt Grenzen setzen aber nicht auch, Halt zu geben?
Georg Eisenreich: Die Digitalisierung bringt große Chancen, die wir nutzen müssen. Aber sie birgt auch Risiken. Dies gilt gerade für junge Menschen. Kinder und Eltern müssen noch stärker für die Gefahren im Internet sensibilisiert werden.
Das Justizministerium arbeitet hier mit dem Kultusministerium und Lehrerverbänden beim Thema "Strafbare Inhalte in Schülerchats" zusammen. Vielen Schülerinnen und Schülern ist nicht bewusst, wie schnell man sich im Netz strafbar machen kann. Der Ärger mit der Polizei ist zum Teil nur einen Klick entfernt.
Deshalb ist die Medienbildung ein ganz wichtiges Thema. Schülerinnen und Schüler müssen den Umgang mit Smartphones und den fast unbegrenzten digitalen Möglichkeiten lernen und die Grenzen kennen. Die Vermittlung dieser Grenzen ist nicht allein Aufgabe der Justiz, die ja erst einschreiten kann, wenn es zu einer Straftat gekommen ist. Es ist Aufgabe der Schule, der Eltern und der ganzen Gesellschaft.
"Das Netz ist kein rechtsfreier Raum"
Meinungsfreiheit ist eine der wirklich zentralen Säulen unserer Gesellschaft. Wir halten ein hohes Gut – die Meinungsfreiheit – offenbar für so selbstverständlich, dass wir ein anderes – die Fakten – zugleich mit Füßen treten. Was läuft da bloß schief?
Georg Eisenreich: Ich möchte die Meinungsfreiheit schützen. Eine Demokratie lebt von Meinungsaustausch und der lebendigen Diskussion. Fake News beeinflussen und manipulieren die Meinungsbildung. Hasskriminalität verhindert die Diskussion. Wir müssen deshalb Fake News entgegenwirken und die Verrohung der Kommunikation im Internet stoppen. Ich bin für Freiheit im Netz, aber das Netz ist kein rechtsfreier Raum. Die Meinungsfreiheit des Einzelnen endet dort, wo das Strafrecht beginnt.
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