Münchner Wochenanzeiger - Hier werden Sie gelesen
2 x pro Woche mit ca. 2 Millionen Zeitungen
Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Geben Sie niemals einem Fremden Geld oder Wertsachen!"
Die Sicherheitsberater Ingrid Appel und Werner Wolf machen Betrügern das Leben möglichst schwer
Ingrid Appel und Werner Wolf sind Sicherheitsberater. In Zusammenarbeit mit der Polizei klären sie ältere Mitbürger auf, wie sie sich vor Betrügern schützen können. Im Gespräch mit Johannes Beetz geben sie Tipps zur Sicherheit im ganz normalen Alltag.
"Sie freuen sich, wenn sich jemand meldet"
Mindestens 21.060 Fälle von Telefonbetrug hat es im vergangenen Jahr in Bayern gegeben. Mit dem "Falsche-Polizisten-Trick" erbeuteten Täter 2020 in Bayern mehr als neun Millionen Euro, berichtet Justizminister Georg Eisenreich. Allein das Polizeipräsidium München hat über 6.000 Fälle gezählt. Das sind jeden Tag 15 Betrugsfälle und mehr als doppelt so viele wie noch 2018. Woran liegt es, dass die Betrüger im der Corona-Zeit offenbar besonders aktiv sind?
Ingrid Appel und Werner Wolf: Es ist schwierig! Ich denke, dass viele Senioren einsam sind und Ängste haben, da sich ihre Umwelt geändert hat. Der fehlende Kontakt mit Kindern, Enkeln und Freunden, bisherige Ansprechpartner bei Behörden, sozialen Einrichtungen und Banken sind weggefallen. Da freuen sie sich, wenn sich jemand meldet, ihnen Sicherheit und Hilfe verspricht, kurz: sich jemand um sie kümmert. Oder sie in Notfällen den Kindern oder Enkeln helfen können, wenn vermeintlich wirksame Medizin für Erkrankungen angeboten werden.
Unter der Vorgabe, die Hygienevorschriften in der Wohnung überprüfen zu müssen, oder einen Corona-Test wegen der bevorstehenden Impfung einzuholen, verschaffen sie sich Zugang zur Wohnung.
"Man will das Opfer mürbe machen"
Was ist das Ziel der Betrüger? Worauf haben Sie es abgesehen? Wie funktioniert der „Falsche-Polizisten-Trick“?
Ingrid Appel: Die Betrüger wollen Geld und Wertsachen z.B. Schmuck, Gold und Münzen. Betrüger suchen sich Namen, meist älter klingende Namen aus dem Telefonbuch und rufen in der Regel spätabends an, wenn man nicht mehr so aufmerksam und müde ist. Meist geschieht dies mit der Telefonnummer 110. Sie behaupten, in der Nähe sei eingebrochen worden, sie hätten einen Einbrecher gefasst, aber einer oder mehrere seien noch auf der Flucht. Der Gefasste hätte einen Zettel dabei, da stehen Namen darauf und auch Ihrer. Dann heißt es: „Sie sind doch Frau / Herr Sowieso und wohnen in der Straße ...?"
Im Gespräch wird gefragt, ob man Geld oder Wertsachen hat und ob man die zu Hause hat. Falls man sagt, es sei auf der Bank, dann soll man es holen und nicht sagen, für was es ist, denn einer der Bankberater stecke mit den Betrügern unter einer Decke. Man soll sagen, es sei für eine neue Küche oder ähnliches. Der falsche Polizist will dann die Wertsachen und das Geld in Verwahrung nehmen, damit es nicht gestohlen wird.
Ansonsten, wenn man die Wertsachen zu Hause habe, würde ein Polizist in Zivil umgehend kommen und es in Sicherheit bringen. Diese Gespräche ziehen sich sehr lange hin, man will das Opfer mürbe machen.
Bei mir dauerte es drei Stunden, bis die informierte Polizei den Abholer verhaften konnte.
"Wir beantworten Fragen"
Sie beide sind Sicherheitsberater des Seniorenbeirates. Was machen Sie als solche?
Ingrid Appel und Werner Wolf: Wir werden von der Kriminalpolizei, Abteilung für Prävention und Opferschutz regelmäßig geschult und auf den neuesten Stand gebracht. Wir gehen in Alten-und-Service-Zentren (ASZ), in Seniorentreffs der Kirchen und Vereine. Dort informieren wir mit Vorträgen, halten Sprechstunden ab, beantworten Fragen und geben praktische Hilfen, z.B. Formblätter, damit man den Vornamen oder alles aus dem Telefonbuch entfernen lassen kann. Bei besonderen Themen holen wir uns Fachleute, z. B. Herrn Wolf für Brandschutz oder Herrn Karakaya von der Kriminalpolizei für Internetbetrug.
"Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen!"
Was sind Ihre drei wichtigsten Ratschläge, wie sich Senioren vor Trickbetrügern schützen können?
Ingrid Appel: Lassen Sie niemanden, den Sie nicht kennen und nicht bestellt haben, in Ihre Wohnung. Sie bestimmen, wer zu ihnen kommen darf! Machen Sie keine Geldversprechen oder Geschäfte am Telefon, geben sie keine persönlichen Auskünfte, auch nicht über Nachbarn oder andere Personen. Sie bestimmen, mit wem Sie sprechen wollen! Geben Sie niemals einem Fremden Geld oder Wertsachen. Und am Wichtigsten: Verständigen Sie umgehend die Polizei unter der Telefonnummer 110.
Werner Wolf: Geben Sie keine Auskünfte an fremde Personen über persönliche Dinge am Telefon und lassen Sie sich nicht unter Druck setzen! Vergewissern Sie sich bei vorgelegter Sperrkette oder Riegel über die Gegensprechanlage oder den Türspion, wer vor Ihrer Türe steht. Öffnen Sie nur, wenn Sie sich Ihres Besuchers sicher sind. Verständigen Sie die Polizei unter der Nr. 110 bitte lieber einmal zu oft als einmal zu spät! Sie ist rund um die Uhr für Sie da.
"Legen Sie einfach auf!"
Wie unterscheide ich echte Polizisten und Handwerker von Betrügern, die sich hinterhältigerweise als Polizisten und Handwerker ausgeben?
Ingrid Appel und Werner Wolf: Am Telefon: Polizisten fordern niemals Geld um es aufzubewahren, sie rufen auch niemals mit der Nummer 110 an, sie informieren auch niemals über angebliche Einbrüche. Bei Handwerkern, Behördenmitarbeitern, die Ihnen unbekannt sind, legen Sie einfach auf. Wenn diese etwas Wichtiges von Ihnen wollen, werden sie sich sicher in schriftlicher Form melden.
Vor der Haustüre: Polizisten können sich ausweisen, falls Sie trotzdem unsicher sind, wählen Sie den Notruf 110 an und hinterfragen Sie den Grund und Namen des Polizisten. Der echte Polizist wartet derweilen vor der geschlossenen Wohnungstür.
Lassen Sie sich von Handwerkern, die Sie nicht bestellt haben, nicht unter Druck setzen, auch nicht durch einen angeblichen Wasserschaden über oder unter Ihrer Wohnung. Holen Sie sich telefonisch einen Nachbarn oder den Hausmeister zu Hilfe, dann muss der Handwerker eben solange (vor der Wohnungstüre!) warten, oder ein anderes Mal kommen, wenn Sie nicht alleine sind.
"Holen Sie jemand dazu!"
Was mache ich, wenn ich bei einem Anruf, den ich bekomme, unsicher bin?
Ingrid Appel und Werner Wolf: Vereinbaren Sie einen anderen Termin und holen Sie sich jemand dazu, einen, Nachbarn, eine Freundin.
"Sie bestimmen, mit wem Sie reden wollen!"
Die Polizei rät, bei seltsamen Telefonanrufen einfach aufzulegen. Ist „einfach Auflegen“ nicht zu unhöflich?
Ingrid Appel und Werner Wolf: Ja, das ist ein Problem, denn viele Senioren empfinden das Auflegen aufgrund ihrer Erziehung als unhöflich. Aber wenn man sich auf ein Gespräch mit einem Betrüger einlässt, hat man schon verloren. Diese sind psychologisch und rhetorisch geschult, raffiniert, skrupellos und versuchen Informationen aus dem Gespräch zu erhalten. Sie bestimmen, mit wem Sie reden wollen!
"Es ist für die Polizei hilfreich"
Im Zweifel sollte man möglichst rasch den Notruf 110 wählen. Aber was passiert mir, wenn ich die 110 rufe und sich später herausstellt, dass meine Zweifel gar nicht berechtigt waren?
Ingrid Appel und Werner Wolf: Da passiert gar nichts! Und falls Sie der Polizei mitteilen können, dass ein Betrüger aktuell unterwegs ist, ist es für diese hilfreich.
"Das Telefonat wurde schnell beendet"
Viele Senioren haben ein gesundes Misstrauen und wissen sich zu schützen und zu wehren. Können Sie ein Beispiel erzählen?
Ingrid Appel: Bei Nachbarn wollte die Firma techem Heizkostenzähler auswechseln. Der Vermieter hatte es aber versäumt, die Mieter zu informieren. Einige Nachbarn haben die Mitarbeiter der Firma techem nicht in die Wohnung gelassen. Diese mussten an einem anderen Tag wiederkommen, nachdem der Vermieter die Richtigkeit bestätigt hatte. In den anderen Häusern wurden vom Vermieter schnell Informationen über Tag und Zeit des Austausches ausgehängt!
Werner Wolf: Ein ASZ- Besucher erzählte mir, dass er einen Anruf bekam und über den Gewinn eines BMW informiert wurde. Er habe geantwortet: „Vielen Dank für die Mitteilung, bei mir hat leider kein weiterer BMW mehr Platz!“ Das Telefonat wurde vom Anrufer sehr schnell beendet.
"Sie haben nicht gelacht"
Was kann man tun, wenn man auf einen Betrüger hereingefallen ist? Zur Polizei zu gehen und zu sagen, dass man sich hat überrumpeln lassen, ist doch sicher peinlich?
Ingrid Appel: Ja, ich bin auch mal auf eine kleine Betrügerin, es waren nur 25 Euro, hereingefallen. Ich habe mich geschämt, weil ich dachte, die Polizei würde sich kaputtlachen, weil das ausgerechnet mir passiert ist. Es hat mich einige Überwindung gekostet, dies anzuzeigen. Ich wusste, dass es noch weiteren sechs Nachbarn passiert ist. Tatsächlich war ich die Einzige, die Anzeige erstattet hatte. Kurzum: Die Polizisten haben nicht gelacht! Nein, das hat mit Peinlichkeit nichts zu tun. Es ist für die Polizeiarbeit wichtig zu wissen, in welchem Umfeld sich Betrüger betätigen. Wenn mehr Meldungen zum gleichen Delikt eingehen, erleichtert dies die Überwachung.
"Informieren Sie die Nachbarn"
Wie kann ich als Angehöriger oder Nachbar tun, um Senioren vor Betrügern zu schützen?
Ingrid Appel und Werner Wolf: Informieren Sie Nachbarn, insbesondere Senioren, wenn Sie etwas Ungewöhnliches sehen oder hören. Bleiben Sie in Kontakt mit Nachbarn insbesondere mit Senioren. Nehmen Sie deren Ängste ernst. Verständigen Sie auch im Zweifel die Polizei!
Copyright: Wochenanzeiger Medien GmbH