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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
Fluch oder Segen?
Die Digitalisierung in der Arbeitswelt aus Gewerkschaftssicht
Heinrich Birner ist Geschäftsführer von ver.di München & Region. So schätzt er die Digitalisierung in der Arbeitswelt ein:
Grundlegende Veränderungen
Die Arbeitswelt wird sich durch die digitale Entwicklung weiter grundlegend ändern. Ob das ein Fluch oder ein Segen wird, hängt meiner Meinung nach davon ab, wie und von wem die neuen Arbeitsformen gestaltet werden. Durch die sog. Plattform-Ökonomie entstehen prekäre, also ungesicherte Beschäftigungsformen, die einer Tagelöhnerarbeit gleichkommen. In den Verwaltungen werden Arbeitsprozesse ähnlich der industriellen Fertigung zu einem Arbeitsplatzabbau führen. Was passiert mit den Beschäftigten, deren Arbeitsplätze digital ersetzt werden?
Nicht zwangsweise verordnen
Wenn es in den Betrieben starke Betriebs- und Personalräte gibt und sich die betroffenen Beschäftigten in Gewerkschaften organisieren, kann der Übergang in die neue Arbeitswelt gut gestaltet werden. Positiv für die Arbeitnehmer, aber auch zum betriebswirtschaftlichen Nutzen des Unternehmens. Ich spreche dann von Guter Arbeit, bzw. neudeutsch von New Work.
Um es am Beispiel Homeoffice zu verdeutlichen: Wenn ein Unternehmen alle seine Beschäftigten ins Homeoffice schickt, um Mietkosten zu sparen, bringt das kurzfristig einen wirtschaftlichen Vorteil. Wer aber keine passenden Wohnverhältnisse hat, der hat damit ein riesengroßes Problem und kann weder produktiv noch kreativ arbeiten. Deshalb lehne ich zwangsweise verordnete Arbeit im Homeoffice kategorisch ab.
Es müssen Regeln vereinbart werden
Können die Beschäftigten aber ihren Arbeitsort, und damit ist nicht nur die eigene Wohnung gemeint, flexibel wählen, ermöglicht das eine viel bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben. Kinder oder pflegebedürftige Angehörige können versorgt oder Besorgungen erledigt werden, ohne dass gleich ein ganzer Tag Urlaub genommen werden muss oder eine Krankmeldung für diesen Tag erfolgt. Klar, dass dann in den Arbeitsteams Regeln vereinbart werden müssen, wer wann im Büro ist, bzw. wann sich alle im Büro treffen. Der Arbeitgeber hat den Vorteil, dass er dadurch zufriedenere, weniger gestresste und viel kreativere Beschäftigte bekommt.
Neues Verständnis von Führung
Wichtig ist aus meiner Sicht auch noch, dass wir in der digitalen Arbeitswelt zu einem neuen Führungsverständnis kommen. Führungskräfte mit einem Top-Down-Anspruch machen oft mehr kaputt als sie Nutzen bringen. Künftige Führungskräfte müssen sich in die einzelnen Beschäftigten reindenken können, sie motivieren und fördern sowie den Teams Steine aus dem Weg räumen. Nur mit einem neuen Führungsdenken wird die digitale Arbeitswelt besser, davon bin ich hundertprozentig überzeugt.
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