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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
Ein wahrer Fan des Amateurfußballs
Manuel Böhm ist leidenschaftlicher Groundhopper
Außergewöhnliche Sammelticks gibt es viele und in unterschiedlichen Ausprägungen. Einige Menschen häufen im Laufe ihres Lebens ganz gezielt bestimmte Dinge an: Bücher, Briefmarken, Münzen, Figuren, Schuhe, Puppen, Kuscheltiere, Postkarten, Parfüms – die Liste ist beliebig erweiterbar. Vergleicht man diese Faibles jedoch mit Manuel Böhms Leidenschaft, so wirken sie fast schon alltäglich. Der 41-jährige Dachauer ist Groundhopper und sieht sich Fußballspiele vor Ort an. Dabei weist er jedoch bestimmte Besonderheiten auf. Was genau er beim Groundhopping sammelt und welche Vor- und Nachteile seine ungewöhnliche Passion mit sich bringt, erklärte Manuel Böhm den Münchner Wochenanzeigern in einem Gespräch.
Groundhopp-was??
Der Begriff Groundhopping kommt aus dem Englischen und setzt sich aus dem Substantiv „ground“ (Spielfeld, Stadion) und dem Verb „to hop“ (hüpfen, springen) zusammen. Groundhopping bezeichnet also das schnelle Hüpfen von Stadion zu Stadion und ist eine Sammelleidenschaft von Fußballfans. Das Ziel dieser sogenannten Groundhopper ist es, Spiele in möglichst vielen Stadien in verschiedenen Ländern zu besuchen. Das Sammeln besteht also nicht (nur) im Ansehen vieler Fußballspiele, sondern in erster Linie in der Erweiterung der „Liste“ an besuchten Stadien. Die Stadien im eigenen Land werden einfach abgehakt. Für Spiele im Ausland erhält man sogenannte Länderpunkte, allerdings nur einen Punkt pro Land, auch wenn das Land beispielsweise 20 Stadien hat.
Die Idee, organisiertes Groundhopping zu betreiben, stammt vom Briten Geoff Rose. Dieser schlug im Jahr 1974 vor, für Fans, die alle 92 Stadien der vier englischen Profiligen besucht hatten, eine spezielle Krawatte anzufertigen. Kurz darauf wurde der „92 Club“ gegründet und es wurden Versuche unternommen zu definieren, was genau als „Stadion“ bezeichnet werden kann.
Seit den 1990er Jahren entwickelt sich die Bewegung auch in Deutschland. Die Szene ist weitgehend unorganisiert und weist keine einheitlichen Regeln auf, was auch daran liegt, dass neben der einzig wirklichen Organisation, der „Vereinigung der Groundhopper Deutschlands“, viele Hopper auf eigene Faust tätig sind. Die einzige Grundvoraussetzung ist, dass ein Spiel stattfindet und es sich nicht um eine reine Stadionbesichtigung handelt.
Entwicklung einer Leidenschaft
Manuel Böhm gehört zu den Groundhoppern, die auf eigene Faust agieren. Die Regeln und Ziele steckt er sich zum Teil selbst: „Ich bezeichne mich als Regionalhopper. Ich schaue Fußball in der Region, unabhängig von der Liga und von der Ausstattung des Platzes“, erklärt der Dachauer. Dabei widmet er sich in erster Linie dem bayerischen Amateurfußball „mit Spielern, die aus der Gegend kommen“ und den Sport nicht aus kommerziellen Gründen betreiben. Dahinter stecke auch eine Art Heimatverbundenheit, denn im Profi- und Weltfußball gehe es ihm zu sehr ums Geld, was den Spaß am Sport verderbe: „Zu Zeiten der Bayernliga bin ich viel mit dem TSV 1860 München durch Bayern gefahren. Nach dem Durchmarsch in die Bundesliga und dem Umzug ins Olympiastadion hatte ich keine Lust mehr auf Sechzig.“
Doch bald schon ereilte Böhm der „Löwen-Entzug“, so dass er sich als regelmäßiger Zuschauer den Amateuren im Sechzgerstadion anschloss. Nach dem Aufstieg der Löwen in die Regionalliga gründete er zusammen mit zwei Freunden das Stadionmagazin der Amateure, Ama-Lion genannt. „Wir waren einige Jahre nur mit den Amateuren unterwegs, haben den Ama-Lion geschrieben, selbst gestaltet, zum Druck gebracht, abgeholt und auch noch verkauft“, erinnert sich der Fußballfan. „Meine Tage waren zu 100 Prozent gefüllt mit meiner Arbeit, Ama-Lion und den Fahrten mit den Amateuren.“
Den anfänglichen Spaß empfand Böhm bald als „erdrückende Pflicht“, weshalb er begann, sich an freien Wochenendtagen andere Fußballspiele anzusehen. Zeitgleich entstand im Internetforum der Löwen eine Rubrik, in der sich die Mitglieder darüber unterhielten, welche und wie viele Spiele sie schon gesehen hatten. Dies brachte den Fußballfan zum Nachdenken: „Das wusste ich selbst bei Sechzig nicht mehr. Da dachte ich mir, dass ich zu den Spielen kurze Berichte schreibe, um mich auch Jahre später daran erinnern zu können. Diese Berichte haben wir dann im Stadionmagazin als 'Sonderspiele' gebracht und sie wurden gerne gelesen.“ Böhm vermutet, dass dies an seiner aufrichtigen Art lag über die anderen Spiele zu schreiben, denn in einer offiziellen Publikation wie dem Ama-Lion hatte er „seine“ Amateur-Löwen selbst bei einem „Grottenkick“ nicht schlecht machen wollen.
„Gewisse Portion Irrsinn“
Erst nachdem die drei Freunde den Ama-Lion an Rainer Kmeth abgegeben hatten, konnte sich Manuel Böhm in vollem Umfang dem Groundhopping widmen. „Mein erster Plan war, auf allen Anlagen in München ein Spiel gesehen zu haben. Das habe ich geschafft“, meint er stolz und schmunzelt: „Inzwischen sind mein Landkreis, die Bayernliga Süd, die Landesliga Süd-West sowie die Bezirksliga Oberbayern Nord und Süd komplett.“ Als nächstes möchte er sich Augsburg und die Bezirksligen in Schwaben vornehmen. Ein zeitintensives Hobby, das Manuel Böhm neben seiner Arbeit als Technischer Angestellter beim Forschungsinstitut des Grafischen Gewerbes ausübt. Er weiß: „Zum Hoppen gehört schon eine gewisse Portion Irrsinn. Zudem kostet es auch einiges. Suchtpotenzial steckt auch drinnen, das sollte einem bewusst sein. Und wenn man in einer Beziehung ist, braucht man einen Partner, der das mitmacht.“
Schwierige Voraussetzungen für diejenigen, die mit dem Gedanken spielen das Groundhopping als neue Sammelleidenschaft zu entdecken. Da mag es kaum verwundern, dass es nicht allzu viele Groundhopper gibt: „Ich kenne vielleicht zehn Hopper aus München und einige überregionale aus dem Ruhrpott und Berlin“, sagt Böhm und empfiehlt: „Davon abraten muss man allen, die Fußball nur des (Dauer-)Erfolgs wegen sehen, das wird man unterklassig nicht finden. Dafür bekommt man aber Fußball mit Herzblut und man riecht die Leidenschaft, den Schweiß und den Rasen. Das ist was ganz Besonderes.“
Aus Berichten werden Bücher
Von Besonderheit zeugen auch Manuel Böhms Spielberichte, von denen sich im Laufe der Jahre so einige angesammelt haben und in denen er den Flair seiner besuchten Spiele beschreibt. Dabei versucht er auf Standardphrasen zu verzichten und frei Schnauze das Spiel aus seiner Sicht zu schildern. Neutralität liegt ihm zwar am Herzen, gelegentlich sei sie aber nicht möglich, wie er offen gesteht.
Inzwischen wurden die Berichte zu Büchern mit Illustrationen zusammengefasst. Das erste Buch erschien im Februar 2010 unter dem Titel „Fußballplatzschwärmer – Die Sonderspiele“, das zweite mit dem Untertitel "Die 2. Halbzeit" im September 2012. Heute gibt es sie bereits in zweiter Auflage und ein dritter Band mit den Namen „Die Verlängerung“ ist ebenfalls in Planung.
Hatte Böhm anfangs mit seinen Büchern noch keine besonderen Absichten verfolgt, so hat sich dies inzwischen geändert: „Ich will dadurch meinen Spaß am unterklassigen Fußball weitergeben, die Faszination ausdrücken und das möglichst unterhaltsam und vor allem ehrlich.“ Daher steckt auch viel Aufwand in seinen Berichten. „Die Fotos aussuchen, Eintrittskarten scannen, alles zusammenbasteln, das raubt viel Zeit. Es ist für alle gedacht, die Spaß am Fußball haben und/oder die unbekannte Welt des unterklassigen Fußballs kennenlernen wollen“, so Böhm, der hofft, dass seine Bemühungen auch Früchte tragen werden. „Wenn ich nur einen dadurch motiviert habe oder noch werde, sich solche Spiele anzuschauen, dann bin ich schon zufrieden.“
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