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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Ein Breitensportverein ist letztlich ein Abbild der Gesellschaft"
Wie gehen Sportvereine vor Ort mit der Schmerzmittelproblematik um?
Der Amateurfußball hat ein Schmerzmittelproblem: Das ist das Ergebnis einer Befragung unter 1.142 Amateurfußballern, die das gemeinnützige Recherchezentrum CORRECTIV mit der ARD-Dopingredaktion durchgeführt hat. Über Monate haben die Journalisten zum Thema "Schmerzmittelmissbrauch im Fußball" recherchiert. Über 100 Profifußballer berichteten, wie alltäglich sie zu Schmerzmitteln greifen. Darüber haben wir auch im Samstagsblatt (Titelgeschichte "Pillenkick" am 13. Juni) berichtet.
Betrifft diese Problematik auch den Breitensport bei uns? Wie schätzen lokale Sportvereine die Situation ein? Wie unterstützen Vereine vor Ort und Trainer ihre Sportler dabei, gute Leistungen zu erbringen? Für viele Kinder und Jugendliche sind diese Sportvereine wesentliche Element der Freizeitgestaltung und ihrer sozialen Netze. Was sagen Vereine Eltern, die sich Sorgen machen? Diese Fragen habe die Wochenanzeiger über 40 Sportvereinen gestellt. Nur sechs nahmen den Ball an und spielten ihn zurück:
"Letztlich werden die Eltern prägendes Vorbild sein"
Michael Franke, 1. Vorsitzender der FT München-Gern e.V.
Ein Breitensportverein wie die FT Gern ist letztlich ein Abbild der Gesellschaft – in diesem Kontext einer Gesellschaft, in der der schnelle Griff zum Schmerzmittel in vielen Lebenslagen fast schon rituelle Züge aufweist. So gesehen ist davon auszugehen, dass viele Amateursportler, auch Fußballer, häufig zur Schmerzpille greifen. Gerade in einem körperbetonten Sport wie Fußball erleidet jeder Spieler regelmäßig kleinere schmerzhafte Blessuren. Mangels professioneller medizinischer Betreuung durch den Verein passiert dies dann völlig unkontrolliert und außerhalb der Wahrnehmung des Vereinsumfelds.
Grundsätzlich bietet die FT Gern im Rahmen der Möglichkeiten neben dem hoffentlich vorhandenen Spaß eine sportartspezifische und athletische Ausbildung der Spieler mit dem Ziel, letztlich die Leistung zu steigern und das Verletzungsrisiko zu minimieren. Daneben bieten wir auch Tipps zur Ernährung und zur Erstversorgung von Verletzungen.
Nachdem die FT Gern wie angesprochen keine medizinische Versorgung bieten kann, liegt dieser Bereich komplett in der Privatsphäre der Spieler, also bei Jugendspielern in Bereich der Erziehungsberechtigten. Letztlich werden die Eltern prägendes Vorbild für den späteren Umgang ihrer Kinder mit Schmerzmitteln und anderen Arzneimitteln sein.
"Die Einnahme von Schmerzmitteln kann nicht zielführend sein"
Stefan Bachmeier, Jugendwart des TSV Herrsching (Volleyball)
Die Sportler im Profibereich greifen eher zu Schmerzmitteln, um dem Druck standzuhalten. Im Breitensport gibt es auch eine Vielzahl von ehrgeizigen Spielern, die für sich, ihre Mannschaft und den Verein alles aus sich herausholen möchten. Da auch hier die ärztliche Beratung gar nicht oder nur kaum vorhanden ist, werden einige der Sportler auch zu Schmerzmitteln greifen, damit sie trotz kleiner Verletzungen und Blessuren in der Lage sind, zu spielen. Jedoch in einem geringeren Umfang, als es im Profisport gängig ist. An oberster Stelle steht die Gesundheit der Sportler. Dies wird im Jahresplan bei der Trainingsplanung sowie in den einzelnen Trainingseinheiten stets berücksichtigt. Verletzungen werden bis zur vollen Genesung auskuriert. Trainieren oder Spielen unter dem Einfluss von Schmerzmitteln erfüllt nicht den Zweck des Sports in unserem Verein.
Bis jetzt sind noch keine Eltern mit einer Problematik wie dieser zu uns gekommen. Bei uns steht die Gesundheit der Jugendlichen unter besonderer Beobachtung. Die Einnahme von Schmerzmitteln kann nicht zielführend sein.
"Über den Unsinn aufklären"
Maximilian Ostermann, 1. Vorstand des TSV Allach 09 Fußball:
Viele Amateuerfußballer wollen an jedem Spieltag fit sein, obwohl sie mit dem Sport kein Geld verdienen. Wir Vereinsverantwortlichen predigen, dass die Spieler nur wenn sie gesund und fit sind zum Einsatz kommen sollen. Trotzdem greifen sehr viele, um zu spielen, auf Ibuprofen, Paracetamol und Voltaren. Sie müssen in der Lage sein, ihrem normalen Job nachgehen zu können. Unter Umständen wird der Sport sonst zur gefährlichsten Nebensache der Welt.
Der Amateursport kann über Bildungsarbeit und Prävention wesentlich dazu beitragen, dass eine solche Entwicklung nicht zwangsläufig ist bzw. seine Aufgabe ist es, mit Primärprävention zu beginnen, bevor Versuchungssituationen im Freizeit und Breitensport entstehen und über den Unsinn von Medikamentenmissbrauch aufzuklären, um mögliche Spätfolgen zu vermeiden.
Die Schmerzmittel sind ein großes Problem, das es bei uns im Jugendbereich nicht gibt. Sollte das Problem dennoch auftreten, sollte man darauf hinweisen, dass die Verletzungen auszukurieren sind, und nicht mit Medikamenten zu behandeln, oder zu frühzeitigen Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln aufklären und davon abhalten.
"Die Trainer achten sehr auf die Kinder und Jugendlichen"
Matthias Vilsmayer, Vizepräsident des TSC Gilching-Argelsried:
Seit über 12 Jahren arbeite ich ehrenamtlich im Präsidium des TSV Gilching Argelsried. Unser Sportverein zählt über 3.000 Mitglieder. Ich bin sehr froh: Mir kam im gesamten Zeitraum aus keiner unserer 16 Sparten ein Vorfall des Schmerzmittelmißbrauchs zu Ohren.
Gute Leistungen basieren auf einem guten Training. Wir haben über 170 lizensierte Trainer und Übungsleiter. Im Rahmen ihrer Ausbildung werden sie hinsichtlich der Schmerzmittelproblematik sensibilisiert. Unsere Trainer fördern gezielt die Entwicklung der Sportler im Rahmen des Potentials. Leistungssportler bekommen z.B. individuelle Trainingsprogramme.
Den Eltern können wir die Sorgen nehmen. Unser Fokus: Wir fördern die körperliche Fitness unserer Mitglieder, insbesondere von Kindern und Jugendlichen. Ein Plus für den Verein: Die Beständigkeit unserer Trainer.
Sie achten sehr auf die Kinder und Jugendlichen und würden z.B. unerwartete Leistungsveränderungen erkennen.
"Auch die kleinen Vereine haben Verantwortung"
Moritz Bletzinger, Fußball-Abteilungsleiter beim TSV Feldafing
Natürlich stehen die Akteure im Breitensport nicht unter dem Druck, die berufliche Karriere zu verlieren, sollte die Leistung abfallen. Dennoch zeigt sich, dass es auch hier zu teils gesundheitsgefährdendem Verhalten führt. Aus persönlicher Erfahrung kann ich berichten, dass Sportmediziner bei fußballtypischen Verletzungen häufig Ibuprofen in großen Mengen verschreiben. Bei chronischen Beschwerden wird oftmals auch zu präventiver Einnahme geraten. Wichtig ist es, den Unterschied zwischen Amateur- und Breitensport unterscheiden. Auf dem Breitensport, wie er jenseits der Kreisebene stattfindet, lastet keinerlei Erfolgsdruck. Gesundheit steht immer über dem Ergebnis. Spieler erfahren Unterstützung im Training und durch die Betreuung am Spieltag.Trotzdem dürfen sich auch die „kleinen“ Vereine bei der Medikamentenproblematik nicht aus der Verantwortung stehlen. Für sie gilt umso mehr: Wehret den Anfängen. Was Kinder und Jugendliche angeht, verschwimmt das Regulativ an der Grenze zwischen Vereins-und Privatleben der Sportler. Besorgte Eltern sollten deshalb auf jeden Fall auf die Jugendtrainer zugehen. Der Umgang mit Schmerzmitteln ist in der Trainerausbildung des Verbands verankert und die Übungsleiter werden dazu angehalten, mögliche Einnahme nicht zu ignorieren, im besten Fall zu unterbinden oder mindestens davon abzuraten. Ob der Spieler aber schon zuhause eine Tablette einnimmt, entzieht sich der Kontrolle des Coachs. Die Sensibilisierung muss selbstverständlich vom Verein kommen, aber auch private Bezugspersonen dürfen die Augen nicht verschließen.
"Im MTV geht es nicht um die Spitzenleistung um jeden Preis"
Klaus Laroche, Vorstandsvorsitzender des MTV München von 1879 e.V.
"Bei uns gilt grundsätzlich erst einmal die Devise, wer verletzt ist, ist verletzt und trainiert und spielt nicht. Auch sind die Trainer dazu angehalten, Spieler mit Schmerzen nicht im Spiel einzusetzen und auch nicht trainieren zu lassen. Wir betreiben zwar in gewisser Art Leistungssport, aber keinen beruflichen. Gerade in unserem Training machst du sonst bei Muskeln und Gelenken mehr kaputt und das ist es nicht wert. Ob jetzt jemand vor dem Spiel wegen Kopfschmerzen eine Ibu einschmeißt, kann ich jetzt auch nicht beurteilen. Aber bisher habe ich den Eindruck, dass unsere Spieler sehr ehrlich sind und wenn Schmerzen da sind, schlicht pausieren.“ Das war die Antwort eines MTV-Abteilungsleiters auf meine Frage nach seinen Erfahrungen mit Schmerzmittelmissbrauch im Sport. Diese Einzelmeinung wurde von vielen Abteilungen inhaltlich bestätigt.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass wir im MTV München von 1879 e.V. bislang keine Anzeichen von „Schmerzmittelmissbrauch“ hatten. Freilich ist zunächst zu klären, was in diesem Zusammenhang unter Missbrauch zu verstehen ist. Ich gehe davon aus, dass die übermäßige Einnahme von Schmerzmitteln gemeint ist, mit dem Ziel, die sportliche Leistungsfähigkeit zu steigern. Es ist so eine Art Einstiegsdoping. Die Schmerztablette gegen das aufkommende Kopfweh ist wohl eher nicht gemeint. Nun will ich nicht behaupten, dass ich über alle Aktivitäten unserer ca. 7.500 Sportlerinnen und Sportler im Detail informiert bin, aber an keiner Stelle waren bisher chemische Präparate ein Thema. Ob sie Kaffee oder einen Energydrink zu sich nehmen oder ein Glas Milch schlürfen, um sportlich fit zu sein, weiß ich nicht. Es ist schon klar, dass es niemand an die große Glocke hängen würde, wenn zu kräftigeren Hilfsmitteln gegriffen wird. Im Lauf der Jahre wäre aber doch der eine oder andere Fall bekannt geworden. Nichts dergleichen ist passiert.
Warum ist nun „Schmerzmittelmissbrauch im Sport“ überhaupt ein Thema? Haben wir im MTV nur Glück, oder sind wir auf beiden Augen blind, oder ist bei uns die Ausgangslage völlig anders? Wenn es Glück war, bin ich froh, dass wir es bisher hatten und ich hoffe, es bleibt uns hold. Um sicher zu gehen, dass ich in meiner Position als Vorstandsvorsitzender des größten Sportvereins im Zentrum der Stadt München nicht schon zu weit vom sportlichen Geschehen unserer 24 Abteilungen entfernt bin, habe ich bei unseren Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleitern nachgefragt. Wie schon eingangs erwähnt, wurde mir auch von dieser Seite bestätigt: „Da ist uns nichts bekannt.“ Ich glaube, der wesentliche Grund, warum uns diese Problematik nicht betrifft, ist die Tatsache, dass wir ein Breitensportverein sind, dem es in erster Linie darum geht, ein weitgefächertes Sportangebot für die Bedürfnisse eines großen Personenkreises anzubieten. Im MTV geht es nicht um die Spitzenleistung um jeden Preis. Unser engagiertes und qualifiziertes Trainerteam motiviert die Mitglieder, Sport so zu treiben, wie es der jeweiligen Leistungsfähigkeit entspricht. Niemand wird zur Spitzenleitung gezwungen oder massiv gedrängt. Meine persönliche Devise ist: „Wenn wir Leute dazu bringen, den inneren Schweinehund zu überwinden, sich vom Sofa zu erheben und ein paar Stunden in der Woche zu sporteln, dann haben wir ein großes Ziel mit unserem Einsatz für den Breitensport erreicht.“
Aus einer anderen Abteilung wird nochmals bestätigt: „Für uns ist es ein zentrales Anliegen, die Spielerinnen mit Freude zum Sport zu bewegen. Eine verletzte Sportlerin einzusetzen, die sich mit Aspirin oder anderen Schmerztabletten 'behandelt' hat, ergibt für uns keinen Sinn. Die Verletzung würde mit Sicherheit verschlimmert und die volle Leistung könnte sowieso in dem Zustand nicht erbracht werden. Und bei uns ging es - im Gegensatz zu den Profis - nie um Siegprämien oder darum, den Stammplatz zu erhalten etc.“
Keines unserer Vereinsmitglieder verdient seinen Lebensunterhalt mit sportlichen Erfolgen. Wir sind keine Profisportler, bei denen die Einkommensverhältnisse von den sportlichen Erfolgen und der dazu notwendigen sportlichen Leistungsfähigkeit abhängen. Insofern fehlt uns der (finanzielle) Druck zum Aufputschen. Freilich gibt es dabei immer noch den individuellen, persönlichen Ehrgeiz, und der mag bei manchen die Idee aufkommen lassen, zu Hilfsmitteln zu greifen. Die Bandbreite ist dabei sehr groß. Vom Traubenzucker über Nahrungsergänzungsmittel über „mal ein Ibu einschmeißen“ über „Missbrauch von Schmerzmittel“ über „ich wusste nicht, dass da verbotene Mittel im Deo sind“ bis zu Stimulanzien und Narkotika ist ein weiter Weg. Zwar wenden wir uns allesamt klar gegen Doping, aber wo genau die Übergänge zwischen den diversen Stufen liegen, ist „interpretationsfähig“.
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