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Unfallfahrer jetzt wegen Mord angeklagt

Staatsanwaltschaft sieht Heimtücke und niedrige Beweggründe

Mitschüler des getöten 14-Jährigen legten am Unfallort Blumen und Kerzen nieder. (Bild: Archiv)

Des Mordes an einem 14-jährigen Schüler und des versuchten Mordes an vier weiteren Menschen hat die Staatsanwaltschaft München I am 12. August den 35-jährigen BMW-Fahrer angeklagt, der am 15. November in der Fürstenrieder Straße einen schweren Unfall verursacht hat. Weitere Anklagepunkt sind Gefährdung des Straßenverkehrs, Durchführung eines verbotenen Autorennens sowie tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte. Dies teilte die Staatsanwaltschaft am Freitag mit, nachdem die Anklageschrift dem Angeschuldigten bzw. dessen Verteidigung zugegangen war.

Tödlicher Unfall im November

Die Staatsanwaltschaft geht aufgrund ihrer bisherigen Ermittlungen von folgendem, vor Gericht noch zu beweisenden Tatverdacht aus: Der Angeschuldigte befuhr am 15. November gegen 23.20 Uhr mit seinem BMW die Landsberger Straße in München in östlicher Richtung, wendete dort verbotswidrig durch Überfahren einer Sperrfläche und wurde dabei von zwei uniformierten Polizeibeamten beobachtet. Deren Aufforderung anzuhalten kam er nicht nach. Aus einer vorangegangen Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln war eine Reststrafe von etwa einem Jahr gegen ihn zur Bewährung ausgesetzt. Im Rahmen seiner Bewährungsauflagen war ihm jeglicher Drogenkonsum untersagt. Er hatte jedoch an diesem Tag bereits Kokain und Alkohol konsumiert, zudem führte er auch eine geringe Menge Marihuana mit sich. Der Angeschuldigte wollte es vermutlich vermeiden, wieder inhaftiert zu werden, und wollte daher der Polizeikontrolle durch Flucht entgehen.

Mit über 120 km/h in den Gegenverkehr

Auf der Fürstenrieder Straße, auf welcher die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h beträgt, beschleunigte der Angeschuldigte sein Fahrzeug stark und fuhr mit etwa 120 km/h rücksichtslos im Gegenverkehr auf der mittleren Fahrspur, wobei ihm auf seiner Fahrtstrecke mindestens sechs noch unbekannte Fahrzeuge entgegenkamen und er die Ampel an der Kreuzung zur Gotthardstraße bei Rot überfuhr.

Die Polizeistreife, die mit deutlich geringerer Geschwindigkeit dem Angeschuldigten mit sich vergrößerndem Abstand folgte, hatte inzwischen über Funk über die Flucht- und Geisterfahrt des Angeschuldigten informiert, weshalb nun ein weiterer Streifenwagen hinzukam. Auf der andauernden Flucht des Angeschuldigten mit einer ungebremsten Durchschnittsgeschwindigkeit von 122 km/h auf der Fürstenrieder Straße im Gegenverkehr kam es zunächst fast zu einer Kollision mit einem Taxi. Sodann fuhr der Angeschuldigte auf einen MVG-Bus der Linie 168 an der Bushaltestelle „Aindorfer Straße“ zu. Aus diesem Bus waren kurz zuvor vier Jugendliche ausgestiegen, die nun die Fahrbahn überqueren wollten.

Jugendliche waren gerade aus dem Bus gestiegen

Zwei weitere Verkehrsteilnehmer konnten dem Angeschuldigten mit ihren Pkws gerade noch ausweichen, bevor dieser mit einer Geschwindigkeit von 124 km/h mit zwei der Jugendlichen kollidierte. Die 16-jährige Geschädigte wurde am Bein erfasst, kam jedoch nicht zu Fall und erlitt lediglich eine Beinfraktur. Der 14-jährige Jugendliche wurde dagegen durch die rechte Frontseite des Tatfahrzeugs erfasst und erlitt sofort zahlreiche Frakturen und innere Verletzungen, unter anderem eine nicht überlebbare Ruptur der Aorta. Er wurde mindestens 43 Meter weit geschleudert.

Die Kollision mit dem Getöteten löste sowohl den Fahrerairbag als auch die beiden Window-Airbags in dem Fahrzeug des Angeschuldigten aus. Der Angeschuldigte setzte dennoch seine Fahrt zunächst ungebremst mit etwa 120 km/h fort, weshalb ihm ein weiteres Fahrzeug zur Verhinderung eines frontalen Zusammenstoßes so ausweichen musste, dass es in einen am Fahrbahnrand stehende Litfaßsäule fuhr.

Erst jetzt bremste der Angeschuldigte ab, stieg aus dem rollenden Wagen und flüchtete zu Fuß in den Westpark, wo er von Polizeibeamten gegen seinen massiven Widerstand festgenommen werden konnte.

Den Tod Anderer in Kauf genommen

Der Mann befand sich danach zunächst in Untersuchungshaft, seit Mai in Strafhaft für die widerrufene Bewährungsstrafe. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft war dem Angeschuldigten bewusst, dass bei seiner rücksichtlosen Fahrweise mit deutlicher überhöhter Geschwindigkeit im Gegenverkehr das von ihm gelenkte Fahrzeug eine nicht vorhersehbare Anzahl von Menschen töten könnte." Er nahm dies jedoch billigend in Kauf und stellte seine Interessen – nämlich eine erneute Inhaftierung unter allen Umständen zu vermeiden – in krasser Eigensucht über das Lebensrecht anderer Verkehrsteilnehmer (Tötungsvorsatz; Mordmerkmale der niedrigen Beweggründe und des gemeingefährlichen Mittels)", so die Staatsanwaltschaft.

Da weder Fahrzeugführer entgegenkommender Fahrzeuge noch die Fahrbahn kreuzende Fußgänger sich eines Angriffs auf ihr Leben durch ein mit hoher Geschwindigkeit entgegen der Fahrtrichtung fahrendes Fahrzeug versahen, liegt nach Ansicht der Staatsanwaltschaft zudem das Mordmerkmal der Heimtücke vor. Das weitere Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erkennt die Staatsanwaltschaft darin, dass es dem Angeschuldigten bei seiner Flucht vor der Polizeikontrolle um die Vereitelung der Aufdeckung seines Verstoßes gegen das BtMG ging, sowie – sobald er realisierte, dass es zu einem Unfall gekommen war, bei dem Menschen verletzt worden waren – die Vereitelung seiner Täterschaft.

21 Bände Ermittlungsakten

Die äußerst umfangreichen Ermittlungen haben zu 21 Bänden Ermittlungsakten und der nunmehr gegenständlichen 164-seitigen Anklageschrift geführt. Von der Staatsanwaltschaft werden 17 polizeiliche und 31 weitere Zeugen, zahlreiche Urkunden und 15 Sachverständige bzw. sachverständige Zeugen zum Beweis angeboten. Durch die Dash-Cam eines Zeugen wurde der Fahrverlauf des Angeschuldigten ab dem Zeitpunkt etwa 26 Sekunden vor der Kollision mit dem Getöteten und der verletzten Jugendlichen erfasst, zudem liegen Videos der Innenraumüberwachungen zweier MVG-Busse vor. Der Angeschuldigte macht bisher von seinem Schweigerecht Gebrauch.

Über die Eröffnung des Hauptverfahrens hat das Landgericht München I – Schwurgericht, 1. Strafkammer, zu entscheiden.

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