"Viele mussten ihren Beruf bereits aufgeben"
Hebammen fühlen sich alleine gelassen und in ihrer Existenz bedroht
Mechthild Hofner ist Hebamme, verheiratet, hat vier Kinder. Zehn Jahre arbeitete sie in der klinischen Geburtshilfe, seit 1996 bietet sie die aufsuchende Hebammenbetreuung an. Als Expertin und Kreisrätin der ÖDP erläuterte sie jüngst die Haftpflichtproblematik der Hebammen vor Mitgliedern des Gesundheitsausschusses des Bundestages in Berlin - eine Problematik, die viele Hebammen den beruflichen Boden unter den Füßen wegzuziehen droht. Mit Mechthild Hofner sprach Wochenanzeiger-Redakteurin Anne Höcherl.
"... dann stehen sie vor dem Nichts"
Hebammen sind gesetzlich dazu verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Im Frühjahr ist die Versicherungsprämie nun so stark gestiegen, dass viele Hebammen um ihre Existenz bangen. Wie sieht die aktuelle Situation aus?
Mechthild Hofner: Nach intensiven Verhandlungen werden Hebammen nun von zwei Versicherungen weiterversichert, allerdings zu einem hohen Preis: Die Versicherungssumme wurde im Juli 2014 bereits um 20 Prozent erhöht. Ein Jahr später findet erneut eine Erhöhung um 20 Prozent statt. Freiberufliche Hebammen, die Geburtshilfe leisten, sind davon besonders stark betroffen. Ab Juli 2015 zahlen diese über 6.000 Euro Haftplichtprämie jährlich. Zum Vergleich: Zuvor waren es 4.242 Euro. Die Existenz der Hebammen ist dadurch akut bedroht. Das Problem betrifft auch angestellte Hebammen, die über das Krankenhaus versichert sind, sich jedoch oft noch zusatzversichern. Und zu allem Übel haften Hebammen im Schadensfall auch mit ihrem Privatvermögen. Kurzum: Wenn Hebammen, die für eine sichere Geburt unserer Kinder sorgen, unter unglücklichen Umständen einen Fehler machen, dann stehen sie vor dem Nichts.
Schwangere wurden abgewiesen
Sind die Auswirkungen für das Gesundheitswesen und die Patientinnen bereits spürbar?
Mechthild Hofner: Aufgrund der finanziellen Zusatzbelastung mussten viele freiberufliche Hebammen ihren Beruf bereits aufgeben. Vor allem in Ballungsräumen wie München hat das massive Auswirkungen auf das Geburtswesen. Hier übernehmen freiberufliche Hebammen sowohl die Vor- und Nachsorge als auch die Geburtshilfe in Geburtshäusern, Belegkliniken und großen Krankenhäusern. Einige kleine Kliniken mussten aus wirtschaftlichen Gründen bereits schließen. Der Druck auf die großen Zentren steigt damit immer weiter an. Da hier jedoch aufgrund der großen Arbeitsbelastung und des Fachkräftemangels Hebammenstellen unbesetzt bleiben, mussten Kliniken in München bereits Kreißsäle schließen und Schwangere abweisen.
Zusicherung läuft ins Leere
Stirbt der Beruf der Hebamme über kurz oder lang aus?
Mechthild Hofner: Wenn keine Lösung gefunden wird, besteht durchaus die Gefahr. Und wenn es immer weniger Hebammen gibt, stirbt auch die natürliche Geburtshilfe aus und es wird immer mehr Kaiserschnitte geben. Das ist ein Paradoxon, weil Frauen in Deutschland per Gesetz eine natürliche Geburt zugesichert wird, andererseits diese nur unter der fachlichen Betreuung einer Hebamme stattfinden darf.
"Muss endlich Chefsache werden!"
Was muss passieren, um das Blatt zu wenden?
Mechthild Hofner: Zwei Wege sind möglich. Entweder es kommt zur Einführung eines gesetzlich geregelten staatlichen Haftungsfonds, oder die derzeitige Haftpflichtsumme von 6 Millionen Euro wird als Haftungsobergrenze eingefroren und alles, was darüber hinaus geht, wird durch einen Fond aufgefangen. Wichtig ist: Der Gesetzgeber muss das Thema endlich zur Chefsache machen. Man kann da nicht nur kosmetisch korrigieren, das hat nur einen kurzfristigen Effekt. Die Regierung muss begreifen, dass Hebammen eine enorme Verantwortung für die Gesellschaft haben, diese aber im Klagefall ganz alleine tragen. Und das ist einfach unsozial.
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