Herr Funke reist um die Welt
81-jähriger Gehörloser aus Großhadern berichtet über sein Leben
52 Gläser stehen fein geordnet auf einem schmalen Brett vor der Landkarte. Ihr Inhalt erinnert auf den ersten Blick an Gewürze aus aller Welt - Curry, Safran, Kurkuma... Peter Funke lächelt und greift zu einem Glas. "Sand", sagt er und deutet darauf. Von allen seinen Reisen hat er Sand mitgebracht, ein Häuflein Welt zu sich nachhause geholt. Mit Nadeln hat Peter Funke die Orte auf der Karte markiert, die er, oftmals mit seiner Frau Ursula, bereits besucht hat. Mal haben sie sich einer organisierten Reise angeschlossen, mal sind sie alleine los, haben sich dann am Zielflughafen durchgefragt. Klingt einfach, ist es aber nicht. Zumindest nicht für Peter Funke. Denn der inzwischen 81-Jährige ist von Geburt an gehörlos. Genau wie seine Frau.
Von Geburt an gehörlos
Wenn es an der Wohnungstür des Ehepaars in Großhadern läutet, blitzt grelles Licht auf. Im Wohnzimmer, im Essbereich, "nur im Schlafzimmer nicht", sagt Peter Funke. Der ausgebildete Tischlermeister liest von den Lippen seiner hörenden Gesprächspartner ab und verständigt sich selbst mit Gesten. Als "Dolmetscherin" ist ihm auch seine Schwägerin oft eine Hilfe.
Geboren wurde Peter Funke 1933 im sächsischen Meerane. Verantwortlich für seine Behinderung ist die Nabelschnur, die sich eng um seinen Hals gewickelt hatte. Seine Kindheit bezeichnet Funke selbst als schwierig. Aufgewachsen mit drei hörenden Geschwistern, kam er zunächst in einen Kindergarten für gehörlose Kinder. Dann besuchte er eine Gehörlosen-Schule. Gebärdensprache war hier nicht erlaubt. "Wir Kinder haben nur heimlich untereinander gebärdet, sonst gab es etwas auf die Finger", erzählt Funke. Dann tauchte er ein in die Welt der Hörenden, absolvierte von 1947 bis 1949 eine Tischlerlehre in Leipzig und war der einzige Gehörlose an der Schule. Sieben Jahre später legte Funke die Meisterprüfung ab. 1960 lernte er seine Frau Ursula, eine gelernte Feinmechanikerin, kennen. Irgendwann in Kindertagen waren sich die beiden schon einmal begegnet, hatten sich aber wieder aus den Augen verloren. 1961 heiratete das Paar. Seit 40 Jahren wohnen sie nun in Großhadern.
Meistens lächelt der 81-Jährige. Er ist keiner, der groß mit seinem Schicksal hadert. "Ich bin es so gewohnt", sagt er. "Und ich kann doch viel machen. Wir haben kein Telefon, aber ein Fax-Gerät. Und ich habe einen Computer. Damit kann ich im Internet chatten."
Ehrenamtliches Engagement
Doch nur zuhause zu sitzen, ist überhaupt nicht sein Ding. Seit Jahren engagiert sich Peter Funke ehrenamtlich. Erst im Januar erhielt er mit "München dankt!" eine Auszeichnung der Landeshauptstadt für bügerschaftlich Engagierte. Seit Juli 2007 besuchte Funke gemeinsam mit seiner Frau ein ebenfalls gehörloses Ehepaar im Hans-Sieber-Haus der Münchenstift GmbH. "Nachdem die Bewohnerin verstorben ist, betreut Herr Funke weiterhin deren Ehemann. Er geht mit ihm in die Cafeteria oder macht Spaziergänge. Zusätzlich besucht er einen an Demenz erkrankten Bewohner, der im Rollstuhl mit Herrn Funke spazieren fährt", heißt es in der Auszeichnung. Die Liste seiner Tätigkeiten ist lang. 27 Jahre lang war Peter Funke Vorsitzender der 1898 gegründeten Gehörlosen-Vereinigung "Hufeisen". Im verangenen Jahr hat er dieses Amt abgegeben. Inzwischen ist er Ehrenvorsitzender. Von 2000 bis 2006 war er 1. Beisitzer des Gehörlosen Bezirksverbandes Oberbayern und seit 1991 pflegt Funke eine Partnerschaft mit dem Gehörlosenortsverein Zwickau. Darüber hinaus organisiert er jährlich Tagestouren und Kurzreisen für gehörlose Menschen. Dann geht es beispielsweise nach Ungarn, in die Schweiz oder ins Erzgebirge. Nein, Peter Funke wird nicht müde, sich zu engagieren. Überhaupt reist er ja sehr gerne. 1961 waren er und seine Frau mit einem Fiat 500 in Finnland unterwegs. Peter Funke lacht. "Da wurde zuhause gerade die Mauer gebaut und wir haben es nicht mitbekommen."
Das Herzensprojekt
Zurück zu den 52 Sandgläsern. Peter Funkes ganz persönliches Herzensprojekt nennt sich "7 mal um die Erde - Herr Funke besucht Gehörlosenschulen in aller Welt". Ob die Einrichtungen in Peking oder Kapstadt, Kathmandu oder Dublin: Funke hat sie besucht, sich informiert und alles zusammengeschrieben. Nun soll ein Buch daraus werden. Die Arbeiten sind fast abgeschlossen, der passende Verlag muss noch gefunden werden. Von all diesen Reisen hat sich Funke ein wenig Sand mitgebracht. Und wenn es nach ihm geht, sitzt er auch schon bald wieder im Flugzeug. Gerade sind er und seine Frau aus London zurückgekehrt, da träumt er bereits von seinem nächsten Ziel. "Thailand wäre mal wieder schön." Ursula Funke lächelt. Und nickt mit dem Kopf.
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