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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Ein Leben zählt mehr"
Martinsrieder wollen Hubschrauberflüge am Klinikum einschränken
"Wenn es um Minuten geht, überfliege ich jedes Wohngebiet", sagt Dietmar Gehr ohne zu zögern. Der Flugkapitän leitet die Luftrettungsstation mit dem Intensivtransporthubschrauber (ITH) am Klinikum Großhadern. "Ein Leben zählt mehr als die berechtigten Anliegen der Anwohner nach Ruhe", fügt er hinzu. Doch nur bei einem von 50 Flügen passiere das tatsächlich.
Vermeidbare Lärmbelastung?
Gerade einmal drei ITH, die auch nachts fliegen können, gibt es in Bayern - einer davon ist "Christoph München", den die DRF Stiftung Luftrettung in Großhadern betreibt. Der Lärm, den die Rettungsmaschine macht, geht vor allem nachts manchem gehörig auf die Nerven: Bürger klagen, immer wieder aus dem Schlaf gerissen zu werden. Einige von ihnen haben sich an den Haderner Bezirksausschuss gewandt, während vier Martinsrieder vor einem Jahr eine Petition an den Landtag gerichtet haben. Sie halten einen Teil der Lärmbelastung für vermeidbar.
Verzicht auf Nachtflüge?
"Wir akzeptieren alle Flüge mit Patienten zum Klinikum Großhadern", betonen die vier Martinsrieder und wenden sich gegen einen "kommerziellen" Einsatz der Maschine. Mit ihrer Petition wollen sie erreichen, dass der Großhaderner ITH nur noch Einsätze für das Klinikum Großhadern fliegen darf. Zumindest vorläufig sollen die Retter zudem auf Nachtflüge verzichten - schließlich gebe es in München noch andere nachtflugtaugliche Hubschrauber. Als Dauerlösung für die nächtlichen Rettungsflüge für Bayern müsse ein anderer Standort (z.B. der Flugplatz Oberschleißheim) gefunden werden. "Warum muss gerade dieser Hubschrauber nachts für ganz Bayern eingesetzt werden?" fragen die Martinsrieder. Bis zu fünf Mal würden sie in - manchen - Nächten von den Rettern geweckt (für 2012 sind am Klinikum durchschnittlich 1,3 Flugbewegungen pro Nacht dokumentiert).
In der Praxis nicht machbar
Den Vorschlag der Bürger, den ITH nur noch für Flüge nach Großhadern einzusetzen, ist nicht umzusetzen, erklärt Andreas Bayer, der leitende Arzt am Stützpunkt: Bei der Alarmierung des Hubschraubers ist nämlich oft noch unklar, welche Klinik für den Patienten geeignet, welche aufnahmebereit ist. Das bedeutet: Der Hubschrauber startet in Großhadern, bringt den Patienten dann aber (was zuvor nicht absehbar ist) in ein anderes Krankenhaus und kehrt "leer" zu seinem Stützpunkt zurück - für die Bürger ein unnützer Flug. Trotzdem ist das Klinikum Großhadern das am häufigsten angeflogene Zielkrankenhaus von Christoph München, so die Zahlen der DRF: 30 Prozent aller Notfall- und Intensivtranspatienten werden hierher gebracht.
"Alle Einsätze sind Notfälle"
"Alle Einsätze dienen der notfallmäßigen Verlegung von Patienten oder der Notfallrettung", unterstreicht das Klinikum in einer Erklärung zum ITH. Anders als von den Martinsriedern vermutet gilt das auch nachts, ergänzt Andreas Bayer: "Andere Patienten als Notfälle bringt man nicht nachts", erklärt er; "normale" Verlegungen werden tagsüber erledigt. "Es sind immer Einsätze höchster Dringlichkeit", sagt er zu den ITH-Flügen, z.B. um werdenden Müttern mit Risikoschwangerschaften, Patienten mit Herz-Kreislauf-Versagen oder mehrfachen schweren Verletzungen zu helfen.
Die Belastung nimmt zu
Keine Frage: Die Einsatzzahlen des Großhaderner ITH klettern seit Jahren nach oben. Die Belastung nimmt zu. Unstrittig ist die Zahl der Flugbewegungen: Die Martinsrieder sprechen von etwa 2.500 Flugbewegungen im Jahr 2012 (davon 500 nachts), die DRF Stiftung nennt als präzise Zahlen 2.502 Bewegungen (davon 494 nachts). Die meisten davon verursacht laut DRF-Statistik "Christoph München" (im Schnitt fliegt nicht einmal jeden zweiten Tag ein "Fremdhubschrauber" das Klinikum an, nachts kommt etwa alle zwei Wochen mal einer).
Neuer Standort brächte Nachteile
Könnte ein anderer Standort die Anwohner entlasten? In Nürnberg ist der ITH am Flughafen stationiert. Bayer und Gehr sehen darin kein Vorbild. Wäre der Großhaderner ITH in Oberschleißheim stationiert, müsste er von dort in vielen Fällen erst zum Klinikum Großhadern fliegen, um dort Ärzte und medizinisches Gerät aufzunehmen, ehe er zu einem Patienten weiterfliegen könnte. Das bedeutet nicht nur eine längere Zeit, in der der Patient auf Hilfe warten muss, sondern auch zusätzliche Überflüge für die Münchner.
Die Anbindung des Hubschraubers an das Klinikum ist für Bayer ausgesprochen wichtig, eben weil der Hubschrauber so ohne großen Zeitverlust spezielle Gerätschaften und Ärzte an Bord nehmen kann. Nur so könne die in Großhadern mögliche Maximalversorgung zu einem Patienten oder einem anderen Krankenhaus gebracht werden, ohne dass die Behandlung eines Patienten unterwegs unterbrochen werden muss.
Routen zu 98 Prozent eingehalten
Dass ein Rettungshubschrauber vor allem nachts für die Anwohner des Klinikums eine Lärmbelastung bedeutet, ist auch den Piloten klar. "Wir machen Lärm", sagt Flugkapitän Dietmar Gehr, "wir versuchen aber, ihn auf ein Mindestmaß zu reduzieren." Den Vorwurf, die vom Luftamt Südbayern vorgegebenen Anflugrouten nicht zu beachten, weist er als "grundlegend falsch" zurück. In 98 Prozent der Fälle werden sie eingehalten. Diese Routen nennt Gehr "Lärmminderungsstrecken", denn "bewohnte Gebiete werden weitgehend nicht überflogen" (Route Nord führt Richtung Pasing, aber ein bis zwei Kilometer vor dem Viertel hat der ITH bereits eine Höhe von 1.000 Fuß erreicht und damit die An- / Abflugzone verlassen. Nach Süden verläuft die Route Richtung Neuried, knickt zuvor nach Westen ab und führt etwas später wieder nach Süden). "Wir fliegen entlang der Viertel, aber nicht darüber", betont Gehr.
Keine "Tanke für alle"
Er widerspricht auch der Behauptung der Anwohner, die Großhaderner Station sei eine "Tankstelle für alle im öffentlichen Dienst befindlichen Hubschrauber". Selbst Polizeihubschrauber dürfen in Großhadern nur landen, wenn sie im konkreten Rettungseinsatz sind oder hoheitliche Augaben wahrnehmen. Allenfalls zwei oder drei Mal im Jahr komme es vor, dass ein solcher "Fremdhubschrauber" zum Auftanken in Großhadern landen müsse. "Absolut ausgeschlossen" ist, dass ein Hubschrauber die Station anfliegt, der nicht zu den Einsatzkräften gehört, versichert Gehr.
Landtag hat noch nicht entschieden
Über die Petition der Martinsrieder hat der Landtag bislang noch nicht entschieden. Zunächst wollen sich die Abgeordneten bei einem Termin vor Ort - voraussichtlich im Mai - ein Bild von der Situation machen. Von gut 6.000 vom Helilärm "direkt betroffenen" Haushalten rund um das Klinikum spricht die Initiative der Bürger. Auf einen Rundbrief hat sie nach eigenen Angaben etwa 700 Antworten erhalten, in denen "alle" über Schlafstörungen und Leistungsverlust klagen. Überprüfbar ist diese Zahl nicht, da viele Haushalte ("etwa 200", sagt die Initiative) ihre Beschwerden nur anonym äußerten.
Am weitesten weg
Für Gehr und Bayer ist die Situation nicht weiter zu verbessern: "Es gibt kaum bessere Landeplätze, bei denen die medizinischen Anforderungen und der Lärmschutz besser erfüllt sind", meint Gehr, denn rund um die Station am äußersten Stadtrand gibt es relativ viel unbebautes Gebiet. Andreas Bayer pflichtet ihm mit dem Hinweis auf andere Münchner Kliniken bei: Das Klinikum Schwabing, wo der Hubschrauber direkt landet, ist überall von Wohnbebauung umgeben. "Von allen Kliniken mit Maximalversorgung haben wir den Landeplatz, der am weitesten von anderer Bebauung weg ist", sagt er: "Das ist eine fast exklusive Situation!"
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