Das Drehkreuz des Bildungsdorfes
Angelika Westerhoff-Nelling ist Sozialtrainerin in der Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein
"Gib mir zehn Euro – sofort", sagt Helana mit böser Stimme. Gemeinsam mit Schazu steht sie dicht vor Nina, drängt sie nach hinten. Und als diese nicht wie gewünscht reagiert, wiederholt sie nochmals herrisch: "Ich will zehn Euro."
"Gut gemacht", kommentiert Erzieherin Angelika Westerhoff-Nelling die Szene, die Bestandteil des Sozialtrainings in der 6. Klasse der Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein ist. Mobbing lautet das Thema, mit dem sich die Schüler in der Heiglhofstraße bereits seit einigen Wochen auseinandersetzen. Die Mädchen und Jungen haben dazu kleine Sequenzen eingeübt, die sie nun vorführen. "Was ist der Unterschied zwischen Mobbing und Ärgern?", hakt Angelika Westerhoff-Nelling nochmals nach, und die Schüler zählen die Merkmale von Mobbing auf: mehrere Leute, immer wieder, immer auf den gleichen. Ärgern dagegen, das haben sie längst begriffen, tun sich alle abwechselnd hin und wieder – und der, den es trifft, wird das nächste Mal einem anderen das Federmäppchen verstecken oder sonstigen harmlosen Blödsinn anstellen.
Spielend lernen
Um zu unterstreichen, welchen Zusammenhang die Erziehung mit dem Thema Mobbing hat, lässt die Soziatrainerin eine Gruppe noch einen typischen Konflikt im Familienleben vorspielen: Wie bringe ich mein Kind dazu, sein Zimmer aufzuräumen und welche Sanktionen zieht ein ständig unaufgeräumtes Zimmer nach sich? "Wenn ich so erzogen werde, dass ich etwas sagen kann, dass ich mir selbst etwas wert bin, dann gehe ich heim und erzähle, was passiert ist, dann verschließe ich auch die Augen nicht, wenn ein anderer gemobbt wird, sondern gehe hin und sage: 'Hey, was macht Ihr da?!", ermuntert Angelika Westerhoff-Nelling ihre Schüler am Ende der Stunde zur Zivilcourage.
Die Erzieherin ist nicht nur für das Sozialtraining in den sechsten Klassen zuständig sondern auch für den Förderschwerpunkt Mathe – Deutsch. Und wenn einer der Lehrer des Bildungsdorfes ausfällt, dann hält sie schon auch schon mal dessen Stunde. "Bei uns ist alles dokumentiert, da kann man die Stunde nahtlos übernehmen", erläutert die Sozialtrainerin. "Damit wirken wir der Tatsache entgegen, dass zuviel Unterricht ausfällt. Wir haben ein gutes, funktionales Team."
Alles im Blick
Um 7 Uhr beginnt sie ihre Arbeit mit einem Rundgang durch die Toiletten, um zu überprüfen, ob dort alles in Ordnung ist. Sie sperrt die Klassenzimmer auf und organisiert eine Vertretung, wenn eine Lehrkraft im Bildungsdorf erkrankt ist. Sie begleitet die Mädchen und Jungen zum Mittagessen, sorgt dafür, dass Geschirr, Besteck und Gläser ausgeteilt werden und jeder etwas auf seinem Teller hat. Bei der anschließenden Essensbewertung, die vom Elternbeirat initiiert wurde, mahnt sie ihre Schützlinge, nicht einfach irgendein Unwort auf die Zettel zu kritzeln, sondern eine sinnvolle – positive oder negative – Kritik niederzuschreiben.
Nach der Mittagspause betreut sie die Schüler, die Hausaufgabe machen und behält ein Auge auf die Kleingruppen, die ihre Freizeit unter anderem mit Brettspielen oder Programmieren von Lego-Robotern verbringen. Am Ende ihrer Arbeitszeit dreht sie erneut eine Runde, um sicher zu gehen, dass in den Klassenzimmern alle Stühle auf den Tischen stehen. "Sonst wird nicht geputzt", sagt sie.
Fairer Umgang miteinander
Angelika Westerhoff-Nelling sieht sich als Auffangrohr, als "Drehkreuz des Bildungsdorfes", als übergreifendes, verbindendes Element. Das Bildungsdorf ist aus dem Schulkonzept der Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein heraus entstanden. Der Begriff bedeutet, dass sämtliche Kinder und Jugendliche einer Jahrgangsstufe miteinander lernen und leben wie in einem Dorf. Die Klassenräume sind um einen kleinen Platz herum gruppiert, der Zentrum und Treffpunkt ist und Raum bietet für klassenübergreifende Aktivitäten. Da die Lehrer und die Erzieher die Kinder des jeweiligen Bildungsdorfes durch alle Jahrgangsstufen begleiten, lernen sie sich recht gut kennen.
"Ich kenne sie alle 60", konstatiert die Sozialtrainerin. Ihr sei wichtig, dass alle Schüler mit Förderbedarf ganz im Jahrgangsverbund integriert sind. Die Schüler lernten, sich gegenseitig mit Respekt zu behandeln und einen fairen Umgang miteinander. Ein anschaulicher Unterricht, in dem am Beispiel erklärt werde, in dem Dinge erlebt werden könnten, trage viel dazu bei. Man müsse von vorne herein Strukturen schaffen, betont die Erzieherin. "Ich behaupte, dass sich das bemerkbar macht", sagt sie und verweist auf Linus, der in der Freizeitgruppe Lego Mind an diesem Nachmittag die Aufsicht übernommen hat. "Er war einer meiner ersten Schüler. Jetzt ist er zu uns zurückgekommen – als Praktikant."
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