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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Danke fürs Unbequem Sein!"
Der Sozialverband VdK vermisst den großen Wurf
Kritisch bewertet der VdK die von der Bundesregierung angekündigten Reformen der Pflege: "Der große Wurf muss noch folgen", sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher beim Haderner Dorffest. Der dortige sozialpolitische Nachmittag des Sozialverbandes schloss das Dorffest am Muttertag ab. Und auch Mascher stand vor einem Abschluss: Nach fast zehnjähriger Amtszeit trat sie nicht mehr zur Wahl in die bundesdeutsche VdK-Spitze an (als Nachfolgerin wurde am Mittwoch Verena Bentele gewählt).
150.000 Pflegekräfte werden mehr gebraucht
Mascher bleibt aber Landesvorsitzende des VdK Bayern. Beim Dorffest bezeichnete sie das Sofortprogramm der Regierung, 8.000 neue Pflegestellen zu schaffen, als nicht ausreichend: Bei derzeit 13.600 Pflegeeinrichtungen in Deutschland bekomme damit jede gerade einmal 0,58 zusätzliche Stellen. "Damit ist keine spürbare Verbesserung zu erreichen", sagte Mascher. Der Bedarf liege gut 15 Mal höher: Es gebe Bedarf für 100.000 bis 150.000 zusätzliche Pflegekräfte.
Unabhängig von der Anzahl neuer Stelle müsse erst einmal passendes Personal dafür vorhanden sein, mahnte Mascher. Um den Personalmangel zu beseitigen, fordert der VdK u.a. eine deutliche Verbesserung der Vergütung in der Altenpflege. Diese Mehrkosten dürften allerdings nicht dazu führen, dass die Eigenanteile der Pflegebedürftigen weiter steigen. Dringend notwendig sei auch die bessere Entlastung pflegender Angehöriger. Dasbayerische Landespflegegeld sei daher begrüßenswert. Man brauche aber auch mehr Kurzzeitpflegeplätze, so Mascher.
Zeichen der Wertschätzung
Staatsminister Georg Eisenreich wies beim Dorffest darauf hin, dass Ministerpräsident Söder einen Schwerpunkt mit seiner Familien- und Sozialpolitik gesetzt habe. Das bayerische Pflegepaket bedeutet nicht nur mehr Pflegeplätze, sondern gebe mit dem Landespflegegeld von 1.000 Euro, das es nur in Bayern gebe, pflegenden Angehörigen auch ein Zeichen der Wertschätzung. Auch das neue Familiengeld sprach Eisenreich an. Diese bayerische Unterstützung für Kinder bedeute für Familien eine spürbare Entlastung.
Der Minister dankte dem VdK für seinen Einsatz: "Der VdK steht für Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit!" so Georg Eisenreich. "Danke, dass der VdK unbequem ist und seine Forderungen vorträgt!" Der Sozialverband und seine Mitglieder haben viel bewegt: "Sie machen Bayern menschlicher", so der Minister.
"Die Menschen sollen profitieren"
Das sieht Ulrike Mascher nicht anders: "Ohne den stetigen Druck des VdK gäbe es kei zweites Mütterrentenjahr, keine Verbesserungen in der Erwerbsminderungsrente, keine Rente mit 63, keinen Mindestlohn", erinnerte sie und forderte weitere Schritte. Bei der Erwerbsminderungsrente sprach sie sich gegen die Abschläge aus. Eine Krankheit dürfe nicht mit oiner freiwilligen vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente gleichgesetzt werden, betonte Mascher. Betroffene würden so für ihre Krankheit bestraft.
Mascher begrüßte die geplante Pflicht für Selbständige, für ihr Alter vorzusorgen. Die alternativen Möglichkeiten dazu lehnt sie indes ab: Es müsse für Selbständige eine Pflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung geben. Diese biete die einzige und sichere Lösung. "Wir wollen, dass die Menschen profitieren, nicht die Versicherungswirtschaft!"
Wie vermeidet man Altersarmut?
Eindringlich mahnte Ulrike Mascher, die Altersarmut einzudämmen - aber nicht durch eine Grundrente, denn die Voraussetzungen, diese zu bekommen, seien zu hoch gesteckt.
Man solle beim bewährten Grundsatz bleiben, das Rentensystem (beitragsfinanziert) und die staatliche Fürsorge (aus Steuermitteln finanziert) nicht miteinander zu vermengen. "Dieses Prinzip soll ohne Not aufgegeben werden", kritiserte sie die Pläne der Bundesregierung. Der VdK schlägt sattdessen einen Freibetrag von 200 Euro in der Grundsicherung für Leistungen aus der gesetzlichen Rente vor. Dies würde "Altersarmut effektiv bekämpfen, ohne dass die Rentenversicherung ausgeplündert würde".
Wer Altersarmut vermeiden möchte, müsse die Arbeitsmarktpolitik richtig steuern. Mascher erklärte: "Wer während des Erwerbsleben nur ein geringes Einkommen hat, im Niedriglohnsektor arbeitet oder in der in Leiharbeit festhängt, ist nicht nur in jungen Jahren von Armut bedroht, sondern auch von Altersarmut!" Ein Vollzeitarbeitnehmer müsse derzeit über 45 Jahre im Schnitt 11,42 Euro in der Stunde verdienen, um überhaupt erst einmal die Schwelle der Grundsicherung zu überschreiten. "Deshalb fordern wireine Neuorientierung der Arbeitsmarkpolitik, die Eindämmung der Niedriglohnsektors und prekärer Beschäftigungsverhältnisse", unterstrich Mascher.
Politikern auf die Finger sehen
Sie kündigte zudem an, zur Landtagwahl eine VdK-Kampagne mit Großveranstaltungen in allen bayerischen Regierungsbezirken zu starten. In München treffe man sich zur Kundgebung "Auf geht's! Soziales Bayern - jetzt" am 14. September - genau einen Monat vor der Wahl.
Verena Bentele ist neue VdK-Präsidentin
Verena Bentele wurde beim VdK-Bundesverbandstag in Berlin an die Spitze des Verbands gewählt. Die 36-jährige neue VdK-Präsidentin ist zwölffache Paralympicssiegerin im Biathlon und Skilanglauf. "Wir sind die wichtigste unabhängige sozialpolitische Interessenvertretung in Deutschland. Der VdK ist ein in Politik und Öffentlichkeit anerkannter Fürsprecher für Menschen in Notlagen und ein Wächter für das sozialpolitische Gefüge", sagte Bentele. "Ich bin stolz darauf, an der Spitze des VdK für ein gerechtes Miteinander einzutreten."
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