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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
"Es muss nicht aufwändig oder kostenintensiv sein"
Simone Damschek erklärt, wie betriebliche Gesundheitsförderung umgesetzt werden kann
Die vom Wirtschaftsverband Germering e.V. ins Leben gerufene Messe Gesund in Germering GIG (am 27. / 28. Mai in der Stadthalle) startet bereits im Vorfeld mit drei Informationsabenden rund um das Thema betriebliche Gesundheitsförderung. Wichtige Impulse erhielten die Germeringer Unternehmen beim ersten Abend von Simone Damschek vom Forum Arbeitsgesundheit. Mit ihr sprach Chefredakteur Johannes Beetz über Möglichkeiten und Herausforderungen für Unternehmen.
"Gesundheit ist die Basis für Erfolg"
Betriebliches Gesundheitsmanagement ist ein zentrales Element für Firmen, um langfristig wettbewerbsfähig sein zu können. Was können insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen tun, um hier Vorsorge zu treffen?
Simone Damschek: Als Unternehmer haben Sie täglich zahlreiche Herausforderungen im Blick, um den Erfolg Ihres Unternehmens sicherzustellen. Sie achten auf qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen, um ihre Kunden zufriedenzustellen und müssen sich dabei in einem immer flexibleren dynamischen Umfeld behaupten. So sind zum Beispiel Planungszyklen in vielen Betrieben von sechs auf zwei Monate geschrumpft.
Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Motivation jedes einzelnen Mitarbeitenden bilden dabei die Basis für einen langfristigen Unternehmenserfolg. Um dies zu erreichen, müssen organisatorische Strukturen, Prozesse und Arbeitsplätze so gestaltet werden, dass Mitarbeiter dauerhaft gesund bleiben können.
„Gesundheit“ sollte dabei nicht als ein gesondertes Thema verstanden werden, sondern als Bestandteil der Alltagsentscheidungen und Handlungen von allen Beteiligten im Betrieb. Meine Empfehlung ist daher, gezielt mit Hilfe einer kurzen Bestandsaufnahme die eigenen Prozesse und Strukturen zu reflektieren, Entwicklungsbedarfe zu präzisieren und Handlungsbedarfe festzulegen. So erreichen Sie effektiv die Bereiche, in denen Handlungsbedarf besteht.
Der „INQA Check Gesundheit“, der im Oktober 2016 auf der Personalmesse in Köln vorgestellt wurde, ist ein kostenlos erhältliches Selbstbewertungsinstrument, aus der Praxis entstanden vom Mittelstand für den Mittelstand. Dieser Firmencheck gibt eine umfassende Übersicht und ermöglicht, die Themenfelder festzulegen, bei denen der größte Handlungsbedarf besteht. Die sechs Themenfelder der Checks sind: Gesundes Unternehmen (Strategie), gesunde Organisation, gesundes Verhalten (Beschäftigte), gesundes Miteinander (Unternehmenskultur), gesundes Arbeitsumfeld und gesunde Führung. Die Umsetzung der priorisierten Handlungsfelder muss dabei nicht aufwändig sein oder kostenintensiv.
"Das Potential wird noch nicht ausgeschöpft"
Den Fachkräftemangel bewertet die bayerische Wirtschaft als das größte Risiko, dem sie sich gegenüber sieht. Die Gesundheit der Mitarbeiter bewerten Sie auch vor diesem Hintergrund als "die wichtigste Unternehmensressource überhaupt". Unterschätzen Unternehmen diesen Faktor?
Simone Damschek: Qualifizierte und gesunde Mitarbeitende sind die Voraussetzung für Innovationen und eine hohe Produktivität, um im Wettbewerb bestehen zu können. Das ist bei vielen Unternehmen angekommen und bereits spürbar laut Mittelstandsbarometer 2017 von Ernst & Young. Demnach beklagen die befragten Firmen ca. 49 Mrd. Euro entgangenen Umsatz durch Fachkräftemangel.
Betriebliche Gesundheitsförderung hilft einerseits, die Attraktivität als Arbeitgeber in Zeiten des zunehmenden Wettbewerbs ums Nachwuchs- und Fachkräfte zu erhöhen, und fördert andererseits die Gesundheit der Beschäftigten, damit diese den aktuellen Anforderungen und Veränderungen gelassen begegnen können.
Dieses Potenzial wird aus meiner Erfahrung noch nicht ausgeschöpft. Was zählt heute bei der Suche nach einem neuen Arbeitgeber? Personalverantwortliche bestätigen, dass das Gehalt heute häufig nur ein Hygienefaktor ist. Stattdessen zählen Angebote im Umfeld Work-Life-Balance, flexible Arbeitszeitmodelle, Sinnhaftigkeit der Arbeit, Identifikation mit dem Unternehmen und Konzepte zur Kinderbetreuung.
Zudem zeigt das Ergebnis einer Auswertung mehrerer hundert Studien der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga): Mit betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention lassen sich sowohl Kosten reduzieren als auch die Gesundheit der Beschäftigten verbessern. Unter anderem können die Fehlzeitenraten von Beschäftigten durch Programme der Gesundheitsförderung um durchschnittlich 25% reduziert werden.
"Die eigenen Stressmuster wahrnehmen"
Viele Menschen empfinden eine zunehmende Arbeitsverdichtung und -belastung. Was hilft, um aus dem Hamsterrad auszusteigen oder mit Stress besser umzugehen?
Simone Damschek: Der Stressreport Deutschland 2012 der BAuA zeigt auf, was die befragten Beschäftigten am Arbeitsplatz als tatsächlich belastend empfinden. Termin- und Leistungsdruck stehen an erster Stelle, gefolgt von Arbeitsunterbrechungen und Multitasking. Hier kann angesetzt werden und in Betrieben individuell die Belastung ermittelt werden.
Die seit 2014 gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen zielt darauf, Gefährdungen bei der Arbeit frühzeitig zu erkennen und diesen präventiv entgegenzuwirken -bevor also gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Unfälle auftreten. Dies wird in einem systematischen Prozess abgebildet und umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher psychische bedeutsamer Einflüsse, wie Arbeitsintensität, soziale Unterstützung am Arbeitsplatz oder Merkmale der Arbeitszeit.
Im Falle festgestellter Gestaltungserfordernisse werden geeignete betriebsspezifische Maßnahmen entwickelt und umgesetzt.
Was ist Stress? Nach Prof. Dr. Gert Kaluza erfordert Stress eine ganzheitliche Betrachtungsweise aus unterschiedlichen Perspektiven. Stressreaktionen sind individuell und es geht darum, die eigenen individuellen Stressreaktionsmuster zu kennen, um sie frühzeitig wahrnehmen zu können und dann zu bewältigen.
Kaluza unterscheidet drei Säulen des Stressmanagements:
Instrumentell, zum Beispiel Zeitmanagement, fachliche Kompetenzen erwerben oder um Unterstützung bitten; Mental, Veränderung der inneren Einstellung und Selbstwirksamkeit; Regenerativ, hierzu gehören zum Beispiel Entspannungstechniken, die Kunst der Pause, regelmäßige Bewegung und eine gesunde, abwechslungsreiche Ernährung.
"Es stärkte den Zusammenhalt"
Welche präventiven Maßnahmen können Unternehmen kurzfristig und trotzdem effektiv und nachhaltig umsetzen?
Simone Damschek: Damit Maßnahmen nachhaltig und effektiv, d.h. langfristig erfolgreich wirkend sind, sollten sie konkret auf das Unternehmen zugeschnitten sein und in ein ganzheitliches Konzept zur Gesundheitsförderung eingebunden werden. Dies ist auch eine sehr gute Voraussetzung, um eine Förderung durch eine Krankenkasse zu erhalten.
Ausgezeichnete Erfolge konnten Firmen erzielen, die bei der Geschäftsführung begonnen haben. Das Management ist sich erst durch ein Seminar zum Thema „gesunde Führung“ seiner Vorbildfunktion bewusst geworden. Seitdem achten sie darauf, wie sie sich ernähren, und sind selbst sportlich aktiv. Dabei geholfen haben Seminare zu den Themen Bewegung, Ernährung und Stressbewältigung, die der Betrieb im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements durchgeführt hat.
Bei einem Handwerksbetrieb startet der Tag zum Beispiel mit gemeinsamer Ausgleichsgymnastik und den Mitarbeitern steht ein Firmenfahrrad zur Verfügung. Dies stärkte den Zusammenhalt und war Anstoß für mehr Bewegung im Betrieb und in der Freizeit. Die Beschäftigten haben dadurch deutlich weniger Rückenbeschwerden und die Stimmung am Morgen ist entspannter.
Ein niederschwelliger Einstieg in Gesundheitsförderung kann auch eine Ergonomie-Beratung sein, die Arbeitsplätze hinsichtlich gesundheitsgerechter Haltung bei Bildschirmarbeit oder auch in der Produktion beleuchtet. Auch hier konnten in einigen Betrieben Rückenbeschwerden und Muskel-Skelett-Erkrankungen deutlich reduziert werden.
"Den Druck herausnehmen"
Die Investition in die Gesundheit und in die Zufriedenheit der Beschäftigten eröffnet neue Perspektiven: Mehr Freude an der Arbeit, ein niedrigerer Krankenstand, neue Marketingansätze, ein spürbar besseres Betriebsklima und ein echtes „Wir“-Gefühl. Können Sie ein Beispiel schildern, wo dies besonders gut gelungen ist?
Simone Damschek: Die psyGA als ein Angebot der Initiative Neue Qualität der Arbeit liefert einige erfolgreiche Beispiele gelungener Projekte. So auch den Betrieb „Lessing Friseure“ im nordhessischen Korbach mit insgesamt 20 Mitarbeitern, die in zwei Betriebsstätten arbeiten.
Der Kunde stand auch hier immer im Vordergrund, bis der Fachkräftemangel die Geschäftsführung zum Handeln bewegte. Auf Basis einer anonymen Mitarbeiterbefragung und Gruppenarbeit wurde die alte Betriebsordnung durch einfache gemeinsame Leitlinien ersetzt. Es wurde an der Kommunikation gearbeitet, Druck aus den täglichen Arbeitsgesprächen genommen und das Betriebsklima damit spürbar verbessert. Eine „Wir-Sagen-Danke-Aktion“ sollte die Wertschätzung für die Mitarbeitenden ausdrücken mit dem Ergebnis, dass Kunden und Kollegen hinterher Herrn Lessing darauf ansprachen und Bewerbungen von Friseuren kamen, die gerne im Salon arbeiten möchten. Insgesamt wird jetzt auch mehr für die Gesundheit der Mitarbeiter in Form von Bewegung und physiotherapeutischer Beratung getan.
Herr Lessing rät anderen kleineren und mittleren Unternehmen: „In der Friseurbranche wird oft versucht, mit Preisdumping neue Kunden zu gewinnen. In meinen Augen ist das der falsche Weg, denn schlechte Bezahlung und sinkende Qualität machen auf Dauer weder Beschäftigte noch Kunden glücklich. Ich kann jedem Kollegen nur raten, stattdessen in die Gesundheit und die Zufriedenheit der Beschäftigten zu investieren und Beratungs- und Förderangebote in diesem Bereich zu nutzen.“
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