"Stillstand ist keine Option"
Begeisterung geht anders: Öffentliche Infoveranstaltung zur Nachverdichtung Fürstenried West
"Meiner Ansicht nach wird hier ohne Rücksicht auf Verluste zugebaut, das ist eine pure Katastrophe", äußerst sich der erste Anwohner nach Vorstellung der Planungen zur Nachverdichtung Fürstenried West. Bewohner des betroffenen Gebietes um Appenzeller Straße, Forst-Kasten-Allee, Bellinzonastraße, Graubündener- und Neurieder Straße haben sich zur öffentlichen Informationsveranstaltung im Bürgersaal Fürstenried versammelt. Außerdem sind zahlreich Interessierte erschienen: Vertreter des zuständigen Bezirksausschusses im Münchner Süden oder Stadtrat Michael Kuffer von der CSU. Die Bayerische Versorgungskammer (BVK), Eigentümer der Bauflächen, sowie Verantwortliche von Referat für Bau und Planung der Stadt München und des zuständigen Architekturbüros LIN haben eben den Stand der Dinge erläutert: Der Bebauungsplan wurde leicht modifiziert. Es bleibt bei rund 600 neuen Wohnungen; statt eines siebenstöckigen Neubaus entsteht aber ein weiterer Wohnturm mit 15 Geschossen. Ein Bestandsgebäude an der Forst-Kasten-Allee 125 muss diesem weichen (detaillierte Informationen zu den Planungen sind unten stehendem Kasten zu entnehmen).
"Veränderungen lösen Argwohn aus"
Die Pläne haben sich etwas verändert; der Ärger der Bürger bleibt: Sie finden die Nachverdichtung zu extrem – 300 neue Wohnungen wären wohl ausreichend gewesen. Sie sorgen sich wegen zusätzlichen Verkehrs, haben Angst, keine Parkplätze zu finden und überfüllte U-Bahnen nutzen zu müssen; von einem Wegfall bestehender Grünflächen ganz zu schweigen: "Das Pferd wird hier von hinten aufgezäumt. Erst klotzt man riesige Betontürme in die Straßen, danach will man die passende Infrastruktur schaffen – dann sind die Menschen aber schon da!"
Die Stimmung im Bürgersaal lässt sich mit "angespannt" beschreiben. Vertreter des Baureferats und auch Architekt John Klepel haben ihre Erklärungen hinter sich gebracht – Zwischen- und Buhrufe inklusive. Dann versucht Daniel Just, Vorstandsvorsitzender der BVK, sein Glück: "Am Anfang einer Wegstrecke sind die Bedenken immer groß, es wird anstrengend werden, es wird eine Herausforderung, aber es ist unser Ziel, dass alle zusammen gut ankommen." Die BVK habe Erfahrung mit großen Bauprojekten, habe bisher alle Planungen erfolgreich umgesetzt. "Veränderungen lösen Argwohn und Sorge aus, dafür habe ich Verständnis, aber wir müssen auch die Chance auf Verbesserung sehen." München wachse, das sei Fakt. Die Stadt müsse sich weiterentwickeln. "Am Ende des Tages ist Stillstand keine Option."
"Langfristiger und verlässlicher Partner"
Für viele Investoren seien Immobilien wie ein quengelndes Kind: belastend. Die BVK hingegen sei ein erfahrener, motivierter Investor. "Seit Jahrzehnten halten und pflegen wir unsere Immobilienbestände. Wir sind langfristiger und verlässlicher Partner." Gut gesagt, wenig bewirkt. Anwohner finden die Pläne des "verlässlichen Partners" weiterhin so gar nicht optimal: "Ich wohne seit 30 Jahren hier, jetzt setzen Sie mir einen Anbau direkt vor die Nase, wenn ich das Küchenfenster öffne, schaue ich auf eine Wand." Zudem sei es ein Unding, zu behaupten, bei weiterem Bau werde die Natur erhalten, "wir werden hier für dumm verkauft". Auch der geplante Quartiersplatz wird in der Luft zerrissen. In der Mitte des Viertels soll er laut Architekten und Eigentümer als gemeinschaftlicher Raum Freizeit- und Lebensqualität schaffen. Dazu ein Bürger: "Wir haben schon einen Quartiersplatz – den Schweizer Platz. Bereits der ist total verdreckt. Wie kann die Verwaltung garantieren, dass die neuen Flächen sauber gehalten werden?"
"Unbegreiflich und unzumutbar"
Außerdem erhitzt der Abriss der Wohnungen an der Forst-Kasten-Allee 125 die Gemüter. Ein betroffener Bewohner: "Hier leben noch fünf Familien, die bereits 1969 eingezogen sind." Die Menschen seien teilweise über 90 Jahre alt. "Es ist mir unbegreiflich und für mich unzumutbar, dass diese Leute umziehen sollen." Just: "Wir sind uns des stärkeren Eingriffs bewusst, aber wir bemühen uns, mit den Mietern in persönlichem Gespräch einvernehmliche Lösungen zu finden." Keiner habe finanzielle Nachteile zu fürchten, kostenfrei stünden Ausweichwohnungen zur Verfügung.
"Prinzip Egoismus funktioniert nicht"
Eine Anwohnerin probiert sich schließlich noch in Versöhnung: "München explodiert. Wohnraum muss geschaffen werden und bezahlbar bleiben. Wir müssen uns mit der Situation arrangieren." Es sei wichtig, die neuen Nachbarn freundlich zu begrüßen, jeder müsse mit Einschränkungen rechnen. "Aber das Prinzip Egoismus funktioniert eben auch nicht." Das sehe er schon ein, entgegnet ein Bewohner. "Aber ich bin seit 25 Jahren Mieter der BVK und habe mich immer gut aufgehoben gefühlt. Jetzt habe ich Angst, dass die bisherige Lebensqualität nicht erhalten bleiben kann." Verantwortliche und Anwohner gehen unversöhnt auseinander. Vor dem Bürgersaal ist ein Gespräch zweier Männer zu hören: "Das wird schlimm werden, der Lärm und Dreck." "Ja", kommt es zurück: "Aber mei, was willst machen. Veränderung gehört zum Leben."
Das ist geplant:
1.500 bestehende Wohnungen auf den 13,5 Hektar großen Flächen der Bayerischen Versorgungskammer werden um etwa 600 weitere Wohnungen ergänzt. Pro geplantem Neumieter besteht nach Münchner Stellplatzschlüssel Anrecht auf einen Parkplatz. Diese 600 Stellplätze entstehen in Tiefgaragen. Vorhandene Parkplätze wandern ebenfalls in Tiefgaragen. Es sind außerdem Fahrradständer vorgesehen.
15 bestehende Gebäude werden um ein bis zwei Geschosse aufgestockt. An zwei Gebäude an der Forst-Kasten-Allee/ Ecke Graubündener Straße wird angebaut. Zehn Häuser werden neu gebaut. Entlang der Appenzeller Straße haben die Gebäude sechs bis sieben Stockwerke. Vier Neubauten an der Forst-Kasten-Allee sind sogenannte Hochpunkte mit 14 bis 16 Stockwerken. Das vierte Hochhaus war in ursprünglichen Planungen nicht vorgesehen. Es ersetzt ein früher geplantes Gebäude im Osten der Bellinzonastraße. Der Wohnturm ist zudem Ersatz eines viergeschossigen Bestandsgebäudes an der Forst-Kasten-Allee 125 mit insgesamt 16 Mietparteien. Dieses wird abgerissen.
An der Appenzeller Straße entsteht ein zentraler Quartiersplatz. In den Erdgeschossen gibt es Einkaufsmöglichkeiten, Dienstleister ziehen ein. Es wird eine Mobilitätsstation gebaut. Deren Ziel ist es, Alternativen zum eigenen Auto aufzuzeigen: Car Sharing und Leihräder, öffentliche Verkehrsmittel. Soziale Angebote wie ein Nachbarschaftstreff finden Platz. Der Wall am Westrand der Siedlung mit alten Bäumen bleibt erhalten. Ein Abenteuerspielplatz ist angedacht; zudem gemeinschaftlich nutzbare Dachgärten. Grün- und Freiflächen bleiben soweit möglich bestehen. Die notwendigen Kindertageseinrichtungen werden in Form dreier Kindertagesstätten geschaffen. Multifunktionale Flächen mit Erholungs-, Aufenthalts- und Spielbereichen entstehen. Das Durchqueren der Siedlung zu Fuß Richtung Neuried wird vereinfacht.
Hier können sich Bürger informieren und Anregungen einbringen:
Noch bis Mittwoch, 26. Juli, liegen die Planungsunterlagen im Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Hauptabteilung II, an der Blumenstraße 28b aus, außerdem bei der Bezirksinspektion Süd an der Implerstraße 9 sowie bei der Stadtbibliothek Fürstenried an der Forstenrieder Allee 61. Ideen können hier vorgebracht werden. Allgemeine Informationen gibt es unter www.muenchen.de/projekte im Internet.
Vertreter der Bayerischen Versorgungskammer sind von Samstag, 29. Juli, bis Sonntag, 15. Oktober, in einem Infopavillon an der Appenzeller Straße 102 zu sprechen. Jeweils dienstags ist von 16 Uhr bis 19 Uhr jemand vor Ort, es liegen auch wichtigste Informationen zum aktuellen Planungsstand aus. Außerdem sind Details zum Bauvorhaben unter www.bvk-fuerstenried.de zu finden. Die Billigung des Bebauungsplans im Stadtrat wird Ende 2018 erwartet. Anfang 2019 folgt voraussichtlich eine weitere Bürgerbeteiligung.
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