"In der Nähe seiner Kinder alt werden"
Neu im Viertel - gemeinsam fühlt man sich schneller wohl
Eigentlich war dieses Fürstenried fast wie eine neue Stadt für Gudrun Brandl. Sie kannte sich hier nicht sehr gut aus, lebte sie doch in Obermenzing, also in einer ganz anderen Ecke der Landeshauptstadt. "Aber inzwischen fühle ich mich sehr wohl", sagt sie. Seit Mitte Januar wohnt die Seniorin an der Züricher Straße - im Mehrgenerationenprojekt der Freien Waldorfschule München Süd und der Münchner Wohnungsgenossenschaft Wogeno.
"Man findet hier schnell Kontakt"
"Ich wollte eine neue Wohnung und habe hier den Zuschlag bekommen", sagt sie. "Man findet hier so schnell Kontakt, so schnell kann man gar nicht schauen." Christel Güsgen nickt zustimmend. Seit kurzem lebt auch sie auf der ehemaligen Festwiese. Im Februar hat sie ihre Zelte in Berg am Starnberger See abgebrochen, um in der Nähe ihrer Tochter Anke Merk, Geschäftsführerin der Freien Waldorfschule, zu sein. Eine "erstaunlich schwere Entscheidung" sei der Umzug für Kathrin von Kaisenberg gewesen. Sie hat den weitesten Weg hinter sich. Am 2. Februar rückte sie mit ihren Umzugskartons an. Aus Aachen. "Ich habe da immerhin zwei Enkelkinder und viele Freunde verlassen", erklärt sie. "Trotzdem habe sie die Entscheidung noch keine halbe Sekunde bereut." Ihr Sohn habe sie von diesem Schritt überzeugt. "Es ist wunderbar, wenn man in der Nähe seiner Kinder alt werden kann."
"Ich möchte Museen besuchen"
Nun gewöhnen sie sich also ein, in diesem neuen Stadtteil, in dieser neuen Stadt. Gudrun Brandl erkundet die Gegend am liebsten mit dem Fahrrad. "Ich fahre zum Fürstenrieder Park oder zum Südpark. Für mich ist das viele Grün ganz wichtig", sagt sie. Kulturell habe München natürlich auch einiges zu bieten. "Aber man muss schon sagen, dass das auch eine finanzielle Frage ist. Auch die öffentlichen Verkehrsmittel sind teuer. Da überlege ich mir schon genau, ob ich jetzt ins Kino in die Innenstadt fahre", so Brandl. Inzwischen habe sie nämlich erfahren, dass die nahe gelegene Stadtbibliothek regelmäßig Filme zeige. "Und das ist gleich ums Eck." Ihre Fühler in die kulturelle Richtung ausstrecken möchte auch Kathrin von Kaisenberg. "Ich möchte Museen besuchen und Schloss Nymphenburg. Und ich werde zum Alten- und Servicezentrum gehen oder dort anrufen", plant sie. "Aber im Moment erhole ich mich noch vom Umzug."
Essen in der Schulmensa
Gudrun Brandl, Christel Güsgen und Kathrin von Kaisenberg sind Nachbarinnen. Ihre Wohnungen liegen nicht weit voneinander entfernt. Jeden Morgen sehen sie die Kinder in die Waldorfschule strömen, freuen sich am Kinderlachen in den Pausen. "Das ist kein nerviger Lärm hier", sind sie sich einig. "Es sind nette Kinder, die viel laufen und Roller fahren." Christel Güsgen arbeitet 40 Stunden im Monat im Kinderhaus. Hier betreut sie Mädchen und Buben, die in der Regel schulreif sind. "Das macht mir Spaß und man kennt mich schon als ,Oma Christel'", berichtet sie. Berührungsängste zwischen Jung und Alt gibt es nicht. Gerne nutzen die Damen die Möglichkeit, in der Schulmensa mittagzuessen. "Das ist superpraktisch. Es gibt so viel Platz und man sitzt mit Lehrern am Tisch oder Mitarbeitern aus der Verwaltung" erzählen sie. Oder mit Kindern.
Die Gelegenheit, in der Mensa zu essen, wird vielleicht auch Ursula Geisler hin und wieder nutzen. Sie wohnt zwar nicht auf dem Gelände, aber sie leitet eine Einrichtung, deren erste Bewohner nun ebenfalls hier sind."hpkj family" steht auf dem Schild, das Haustechniker Helmut Stumvoll neben der Wohnungstür im ersten Stock gerade anbringt.
Wohngruppe für Kinder und Jugendliche
Die Einrichtung der heilpädagogisch-psychotherapeutischen Kinder- und Jugendhilfe e.V. bietet in ihrer familienorientierten Wohngruppe Platz für acht Kinder und Jugendliche ab sechs Jahre. "Wir sind am Aschermittwoch eingezogen", sagt Geisler. Nun freut sich die promovierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin auf die jungen Bewohner, die noch kommen, etwa auf die drei Geschwister, die Mitte März einziehen werden. "Wir sind so froh, dass wir die drei nicht trennen müssen und sie hier zusammenbleiben können", sagt Geisler. Die beiden kleineren würden den Waldorfkindergarten besuchen. "Das größere Kind freut sich, weil es hier zur Schule gehen darf."
Ursula Geisler führt durch die Wohngruppe und zeigt Zimmer, die noch nicht bezogen sind. Räume, die schon von Kindern oder Jugendlichen bewohnt werden, sind tabu. Privatsphäre ist wichtig. Die großzügige Maisonette-Wohnung bietet Platz für Gemeinsamkeiten, aber auch viele Rückzugsmöglichkeiten. Die jungen Bewohner werden rund um die Uhr betreut. "Wir haben immer einen Nachtdienst", sagt Geisler und betont: "Die Einbeziehung der Eltern ist uns außerdem sehr wichtig." Gleichzeitig freuen sich die neuen Bewohner über Kontakte zu den Nachbarn.
"Ich komme zum Vorlesen"
Spontan bietet Gudrun Brandl ihre Hilfe an. "Ich komme gerne, wenn Sie Unterstützung bei der Hausaufgabenbetreuung oder jemanden zum Vorlesen brauchen", sagt sie. Ursula Geisler nimmt dieses Angebot dankbar an. Sofort werden Telefonnummern ausgetauscht, ganz unbürokratisch. Von Nachbar zu Nachbar.
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