"Bürger verstehen viel mehr als Politiker ihnen gemeinhin zutrauen"
CSU-Bundestagskandidat Michael Kuffer zu Peter Gauweiler, Europa, Wachstumsgrenzen und Sicherheit
Ein gefühltes "immer schon" hat Peter Gauweiler den Münchner Süden im Bundestag vertreten. Am Sonntag wird - so oder so - ein jüngerer Abgeordneter den Stab übernehmen. Für die CSU geht der 1972 geborene Michael Kuffer ins Rennen. Er ist stv. Fraktionsvorsitzender der CSU im Rathaus, Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter für Gefahrenabwehr und Rettungswesen. Kuffer beantwortete Fragen des Sendlinger Anzeigers.
"Offene Türen einrennen kann jeder"
Im Münchner Süden steht ein Generationenwechsel an. Sie wollen als lokaler Abgeordneter den Stab von Peter Gauweiler übernehmen. Welchen Traditionen und Kontinuitäten sehen Sie sich gegenüber Ihrem Vorgänger verpflichtet?
Michael Kuffer: Eine der wichtigsten Vorbildfunktionen Peter Gauweilers besteht wohl darin, dass er den Grundsatz des freien Mandats stets hochgehalten hat. Ich glaube, es entspricht seiner tiefen Überzeugen, den Wählerauftrag über Partei- und Fraktionsdisziplin zu stellen.
Diese Haltung stellt nach meinem Politikverständnis eine Schlüsselqualifikation für einen gestandenen Politiker dar. Deshalb habe ich dies in meinen letzten neuneinhalb Jahren im Münchner Stadtrat ähnlich gehandhabt. Politik braucht den Willen und den Mut zur Gestaltung. Offene Türen einrennen kann jeder. Ob ein Politiker etwas taugt, zeigt sich dann, wenn eine Idee noch am Anfang steht. Wenn man Mehrheiten suchen und Angriffe aushalten muss. Deshalb heißt Politik nicht nur: genau hinschauen, zuhören, Entscheidungen treffen. Politik heißt auch: Die Kraft zum Unbequem-Sein aufbringen.
"Ich habe meinen eigenen Kopf"
Was möchten Sie anders als Gauweiler machen?
Michael Kuffer: Peter Gauweiler ist ein Unikum. Er ist sicher einer der letzten, wenn nicht der letzte direkte politische Nachfahre von Franz-Josef Strauß. Aber alles hat seine Zeit. Und jede Zeit hat ihre Köpfe. In der Politik ist man gut beraten, wenn man nicht versucht, irgendeine Rolle zu spielen, sondern man möglichst authentisch bleibt. Auch wenn es zwischen Peter Gauweiler und mir in vielen inhaltlichen Fragen eine hohe Übereinstimmung und vielleicht auch gewisse Ähnlichkeiten im Stil gibt, hat jeder von uns doch seinen eigenen Stil und seine eigenen Schwerpunkte. Und ich habe meinen ganz eigenen Kopf. Und auch meine eigenen Ecken und Kanten. Ich denke, die Leute wissen, dass ich nicht gut darin bin, mich zu verstellen.
"Sie sprechen unterschiedliche Sprachen"
Viele Bürger fühlen sich abgehängt. Dabei geht es den meisten von uns besser als je zuvor. Wie passt das zusammen?
Michael Kuffer: Seit Jahren beschäftigt mich der Eindruck, dass im Verhältnis zwischen Politik und Bürgern gelinde gesagt „der Funke nicht mehr überspringt“. Die Politik pflegt ihre Rituale, die Bürger werden nicht mehr erreicht und erfahren wiederum Bestärkung in dem Vorurteil, dass all das mit ihrer Lebenswirklichkeit nicht mehr das Geringste zu tun hat.
Das sage ich im vollen Bewusstsein dessen, dass die Politik ihre Sache sicher besser macht als ihr gemeinhin unterstellt wird - und die Bürgerinnen und Bürger (jedenfalls nach meiner Erfahrung) viel mehr von den politischen Themen verstehen und viel Bedenkenswertes mehr in die zu treffenden Entscheidungen einbringen könnten als die Politiker es ihnen gemeinhin zutrauen.
Trotzdem scheinen beide Seiten unterschiedliche Sprachen zu sprechen. Wir brauchen deshalb eine neue Bürgerbeteiligungskultur, die damit beginnen muss, dass sich die Politik auch zwischen den Wahlen ihren Wählern stellt. Wir brauchen Politiker, die die Wirklichkeit der Menschen ins Parlament tragen und nicht umgekehrt die Unwirklichkeit des Parlaments zu den Menschen. Wir brauchen eine Politik, die nicht eine eigene „Klasse“ ist, sondern sich mit den Menschen und ihren Themen mischt, zuhört, aufnimmt, aber auch erklärt. Wir brauchen Mandatsträger, die „Träger“ heißen, weil sie etwas „tragen“, und nicht weil sie „träge“ sind und Mandatsträger, die sich lieber die Füße wundlaufen als den Hintern breit zu sitzen.
"Wir werden mehr aufwenden müssen"
Ein zentrales Thema ist für viele Menschen die Sicherheit. Die anderen fürchten den Verlust ihrer persönlichen Freiheit. Wie lösen Sie diesen Konflikt?
Michael Kuffer: Auch wenn es absolute Sicherheit nicht geben kann, haben die Menschen dennoch ein Recht darauf, dass der Staat alles Menschenmögliche unternimmt, um sie zu schützen. Wir leben in Bayern an einem der sichersten Orte der Welt. Aber ich sage auch ganz deutlich: Wir werden in den kommenden Jahren für unsere Sicherheit deutlich mehr aufwenden müssen, als wir es bisher gewohnt sind. Denn die Herausforderungen, insbesondere durch den internationalen Terror und die grenzüberschreitende Kriminalität, sind so groß wie schon lange nicht mehr.
Bei der Frage zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen werden wir daher künftig die Frage potentieller Freiheitsbeeinträchtigungen stärker gegen die Gefahr der Nichtergreifung der Maßnahme abwägen müssen, gegen die Gefahr von Anschlägen und gegen die damit verbundenen schwerwiegenden Freiheitsbeschränkungen, die darin bestehen, dass Angst und pauschales Misstrauen um sich greifen und öffentliche Orte gemieden werden.
Als jemand, der sich seit vielen Jahren - zunächst beruflich und dann politisch - mit Fragen der inneren Sicherheit beschäftigt, weiß ich: Die besten Sicherheitsmaßnahmen sind die, die einsetzen, bevor etwas passiert. Für diesen unbedingten Willen zu frühzeitigem und präventivem Handeln habe ich in den letzten Jahren politisch und auch persönlich viele Angriffe aushalten müssen. Ich werde hier dennoch den Kurs halten!
"Europa ist dringender gefragt denn je"
Im vergangenen Jahr haben viele Menschen Flagge für Europa gezeigt. Vielen ist wieder bewusst geworden, was wir an "Europa" haben. Wie gestalten wir Europa für die Zukunft?
Michael Kuffer: Das gemeinsame Europa gehört zu den größten Errungenschaften unserer Geschichte. Die großartige europäische Idee ist heute aktueller und dringender gefragt denn je. Allerdings ist in den europäischen Institutionen einiges in Schieflage geraten. Die Menschen spüren das - und zweifeln. Begeisterung für Europa schaffen wir nicht über das bloße Herunterbeten von Exportzahlen. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns in Europa künftig wieder stärker auf die Einlösung des Kernversprechens der Union - nämlich Sicherheit und Stabilität - konzentrieren müssen. Damit geben wir der EU eine Perspektive und gewinnen langfristig das Vertrauen der Menschen zurück.
Zu alledem gehört auch, dass wir eine gemeinsame europäische Haltung und Strategie zur Bewältigung der Flüchtlingskrise entwickeln: Wer aus akuter Notlage zu uns flüchtet, dem muss geholfen werden. Dazu ist es kein Widerspruch, sondern es ist vielmehr langfristig die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Hilfsbereitschaft, dass in der Asyl- und Flüchtlingspolitik der Schutzauftrag gegenüber der eigenen Bevölkerung in den Vordergrund gestellt wird. Es muss deshalb eine Selbstverständlichkeit sein, dass der Schutz von Flucht und Asyl endlich gegen Missbrauch abgesichert wird, dass Sicherheitsfragen und Aufenthaltsrecht vor dem Grenzübertritt geklärt werden und dass jemand, der unser Gastrecht missbraucht, unser Land verlassen muss - sofort und ganz gleich, woher er kommt.
"Die Grenzen des Wachstums respektieren"
München ist wirtschaftlich stark und wächst. Uns fehlen aber Wohnungen, Schulen, Verkehrswege. Wer schon hier lebt, fürchtet Nachverdichtung, den Verlust von Grünflächen und noch weiter kletternde Mieten. Wie wollen Sie hier einen Ausgleich finden?
Michael Kuffer: Den einzigartigen Charakter Münchens und die hohe Lebensqualität unter den gegebenen Herausforderungen des zu erwartenden Bevölkerungswachstums zu erhalten - das wird die große Aufgabe für alle verantwortungsvoll handelnden Münchner Politiker - gleich welcher Politikebene - der nächsten Jahre sein.
Dazu müssen wir eine aktive Gestaltungsrolle einnehmen und dürfen bestimmte Entwicklungen nicht einfach so weiter laufen lassen: Wir müssen auf qualitätsvolle Architektur bestehen, die auf eine Versöhnung mit der Umgebung ausgerichtet ist - und keine städtebauliche Ellenbogenmentalität an den Tag legt. Wir müssen auf kommunaler, auf Landes- und auch auf Bundesebene jeweils große Anstrengungen in den Ausbau der Infrastruktur Münchens legen.
Und wir müssen die Grenzen des Wachstums respektieren: Der bisherige Weg der städtebaulichen Expansion kann nicht einfach so weiter gegangen werden, ohne dass die Voraussetzungen und Grenzen des Wachstums in einem ergebnisoffenen Dialog mit der Münchner Bevölkerung erarbeitet worden sind. Die Stadt darf hier ihren Bürgern nicht länger aus dem Weg gehen.
Diese politischen Anliegen sind nicht neu. Zusammen mit den Münchner Bürger konnte ich dafür in den letzten Jahren - gegen oftmals große Widerstände - mehr und mehr Zustimmung erarbeiten - auch wenn ich dabei von allen anderen Parteien als der CSU im Stadtrat meist im Stich gelassen worden bin. Vieles bleibt noch zu tun. Dafür will ich weiterarbeiten - in Berlin für München.
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