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Tagebuch eines Zwangsarbeiters

Erschütternd aktuell: Erinnerungen eines 19-Jährigen

Ein Großteil der Tagebuchaufzeichnungen sind im Zwangsarbeiterlager Ehrenbürgstraße in Neuaubing entstanden. (Bild: Foto: Barbara Yelin /Verlag C.H.Beck)

Es ist fast acht Jahrzehnte her, dass der 19-jährige Jan Bazuin seine Tagebuchaufzeichnungen mitten im Zweiten Weltkrieg gemacht hat. Der junge Holländer war einer der vielen Zwangsarbeiter im Lager Ehrenbürgstraße Neuaubing. Anfang Januar 1945 war er zur Zwangsarbeit dorthin verschleppt worden. „So eine Quelle findet man nicht oft“, schwärmte Paul-Moritz Rabe, Leiter des Erinnerungsorts Neuaubing, über die „drei ungeheuer dicht beschriebenen Heften“. Zufällig sei der Kontakt mit dem Sohn Leon Bazuin zustande gekommen. Dieser hatte daraufhin dem NS-Dokumentationszentrum die Tagebücher zur Verfügung gestellt. Bei der Buchpräsentation berichtete er, dass sein Vater nie von seinen Kriegserlebnissen erzählt hatte.

Aus dem Material hat Rabe gemeinsam mit der Illustratorin Barbara Yelin ein Buch gemacht. Das „Tagebuch eines Zwangsarbeiters“, herausgegeben vom C.H.Beck-Verlag, ist angesichts der derzeitigen weltpolitischen Aktion aktueller denn je.

In lockerer Schreibweise beschreibt Jan seinen Alltag, der von Hunger, Kälte, von Heimweh und Fliegerangriffen geprägt ist. Bemerkenswert ist der Humor und die Lebensfreude, die sich der junge Mann in schwierigen Zeiten bewahren konnte. So schrieb er am Dienstag, 21. November 1944: „Morgen, Mittwoch, haben wir nur von Viertel nach fünf bis halb sieben Strom. Also noch früher zu Bett. Wie schön, da werden wir richtig ausgeschlafen sein“. Auf der Zugfahrt nach München schrieb er am Freitag, 12. Januar 1945: „Oh, was für eine elende Nacht. Kalt, kalt und nochmal kalt. (…). Und immer noch nichts zu essen. Was für eine Organisation! Sie wollen uns wohl verhungern lassen“. Es gab aber auch Berichte von Ausflügen nach Germering und Herrsching, die der abenteuerlustige junge Mann unternommen hatte. Ein holländischer Zwangsarbeiter sei nämlich trotz elender Lebensbedingungen keinesfalls mit einem KZ-Häftling zu vergleichen gewesen, so die Historiker.

„Bomben, Phosphor und Brandbomben“

Erschütternd ist der Bericht vom Montag, 9. April 1945: „(…) Fliegeralarm. Eine Viertelstunde war es ruhig, aber dann fing es an. Wir standen zu fünft in Freiham und schauten in Richtung München. Da fielen die ersten Bomben. Große Rauchsäulen stiegen auf. Hunderte von Flugzeugen kamen von allen Seiten. Dann ging es erst richtig los. Wir standen sozusagen in einem Kreis, und um uns herum fielen die Bomben, Phosphor und Brandbomben. (…) Das Ganze dauerte bis halb sieben. Bei so was, da muss ein Mensch doch verrückt werden! Als wir zur Baracke gingen, kamen uns ganze Rudel Hirsche entgegen, die der Lärm in die Flucht getrieben hatte“:

Yelin versuchte, Lücken im Text mit ihren Bildern zu schließen. Dabei waren ihre Vorlagen auch zeitgenössische Fotos. Viele Bilder hat sie in der Art von Graphic Novels mit Sprechblasen versehen, was das Ganze für junge Menschen ansprechend macht. Außerdem gibt es passend zum Buch ein Spiel, das über eine Smartphone-App gespielt werden kann.

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