"Manchmal einfach erschöpft"
Schwierige Bedingungen erschweren Unterricht in Ü-Klassen
„Die Sprache ist der Weg der Integration“, ist Lehrerin Natalia Rink sicher. Sie unterrichtet eine der beiden Übergangsklassen an der Grundschule am Ravensburger Ring. Trotz all ihrer Leidenschaft für den Lehrerberuf sind sie und ihre Kollegin Susanne Busl manchmal einfach erschöpft. Jeweils 20 Kinder unterrichten sie. Kinder, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die aber eines gemeinsam haben: Sie können kein Deutsch. Dabei ist es nicht der Unterricht, der die Lehrkräfte so anstrengt. Es sind die schwierigen Lebensumstände der Kinder, die schlechten Perspektiven, aber auch die beschränkten Möglichkeiten, die Kinder optimal zu fördern. Kleinere Klassen, mehr Ganztagsklassen, mehr individuelle Förderungen, auf den Spracherwerb ausgerichtete Lehrmaterialien wünschen sich die Lehrerinnen. Aber auch für deutsche Kinder so selbstverständliche Dinge wie eine Schuleingangsuntersuchung. Ein schwerhöriges oder sehbehindertes Kind, Kinder mit Asthma, mit orthopädischen Problemen – es sind die Lehrerinnen Susanne Busl und Natalia Rink, die diese Diagnose dann stellen, allerdings sind bis dahin meist schon viele Schulwochen vergangen.
Viele Kinder sind sich zuhause selbst überlassen
Seit zwei Jahren gibt es an der Ravensburger Grundschule eine Ganztagsklasse für die Ü-Schüler. Solche Klassen sollten mehr angeboten werden. Denn die Ganztagsklasse sei für einige Schüler ein Segen. Vor allem für viele Kinder aus Osteuropa. Oft arbeiten bei diesen Familien beide Eltern ganztags. Nachmittags sind die Schüler sich selbst überlassen. „Keiner kümmert sich, geschweige denn, dass nach den Hausaufgaben geschaut wird“. Diese Kinder hätten es besonders schwer, wenn sie nach maximal drei Jahren in die Regelklasse wechseln müssen. Es gibt auch ausländische Eltern, die „schwarz“ arbeiten und sich anonym in Deutschland aufhalten. Für deren Kinder sei die Lebenssituation äußerst schwierig. Es gibt kein Kindergeld, keine Krankenversicherung, keine Möglichkeit, die sozialen Systeme zu nutzen und beispielsweise zur „Tafel“ zu gehen, zählen die Lehrerinnen auf. Es gibt auch Schüler, die beispielsweise zu sechst in einem Wohnwagen am Campingplatz leben würden. Lesen, Schreiben und Rechnen ist für diese Kinder nicht immer das Wichtigste. „Wir haben viele lebenspraktische Elemente in den Unterricht eingebaut“, berichten die Lehrerinnen. Ausschneiden mit einer Schere, Ausmalen, den Klebestift benutzen – längst nicht jedes Kind beherrscht diese Grundlagen. Auch wer nur arabische Schriftzeichen kennt oder gar Analphabet ist, tut sich schwer. Trotz aller Bemühungen seien die Leistungsdifferenzen ihrer Schüler so groß, dass eine homogene Klassengemeinschaft unmöglich ist. „Mehr als zwölf Schüler sollten es nicht sein“, erklärt Dusl. Denn neben den schulischen Problemen, haben viele Kinder auch psychische Probleme oder traumatische Erfahrungen in ihren jungen Leben gemacht.
Mit dem Kopf nicht in der Schule
Besonders das Schicksal des neunjährigen Muhammed (Kindernamen von der Redaktion geändert) bereitet den Lehrerinnen Sorgen. Der sensible Junge ist ohne Eltern nur mit seiner schwermütigen Tante aus Syrien nach Deutschland geflohen. Ein halbes Jahr verbrachte er in der Erstaufnahmeeinrichtung im Hotel Pollinger. Erst dann wurde er auf Initiative von ehrenamtlichen Helfern in die Ü-Klasse vermittelt. Tante und Neffe mussten später in die überfüllte Bayernkaserne umziehen. Die wenig kindgerechte Umgebung hat das Kind stark belastet. Wegen Bauchschmerzen fehlt es nun öfter im Unterricht. Das Verhalten des ehemals ruhigen Kindes wird zunehmend auffällig. „In der Bayernkaserne hat er sich schlechtes Verhalten abgeschaut“, vermutet die Lehrkraft. Ein weiterer Wohnungswechsel erfolgte. „Der Junge hat so viele Sorgen, der kann mit dem Kopf nie in der Schule sein“, bedauert Susanne Busl. Die Schule muss er wenigstens nicht wechseln. Dafür haben sich die Lehrerinnen eingesetzt. Fortschritte macht das stark belastete Kind jedoch keine. Eine Ü-Klasse hat er schon wiederholt.
Aber es gibt auch positive Fälle. Jenny ist aus einem nordeuropäischen Land vor ein paar Monaten nach Deutschland gezogen. Der Vater der gutbürgerlichen Familie ist Ingenieur, die Mutter kümmert sich als Hausfrau um die Schülerin, lernt selbst Deutsch und ist am schulischen Erfolg ihrer Tochter interessiert. Jenny wird nur ein halbes Jahr in der Ü-Klasse bleiben müssen, „dann kann sie nahtlos in ihre Jahrgangsstufe wechseln“, ist ihre Klassenlehrerin sicher.
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