Hunger und Fron
Historischer Rundgang im Aubinger Arbeitslager
Eine kleine Oase erwartet die Besucher in der Ehrenbürgstraße 9. Die langgestreckten niedrigen Gebäude beherbergen Künstler und Handwerker. Dazwischen wächst viel Grün. Vögel singen in den Bäumen. Doch die Idylle trügt. Vor rund 70 Jahren stellten sich hier Arbeiterkolonnen allmorgendlich auf. Vor allem aus Osteuropa waren während des Zweiten Weltkriegs Arbeiter nach Neuaubing in das Zwangsarbeiterlager geschleppt worden. Sie mussten unter anderem im Reichsausbesserungswerk der Bahn arbeiten.
Regelmäßig gibt es Führungen zu diesem Erinnerungsort, der seit einiger Zeit dem NS-Dokumentationszentrum angegliedert ist. An diesem Vormittag führte Kerstin Schwenke vom Münchner Kulturreferat die Besucher über das Gelände. „Ohne Zwangsarbeiter wäre die deutsche Wirtschaft zusammengebrochen“, berichtete Schwenke. Dankbarkeit haben die Männer und Frauen für ihre Arbeit nicht erhalten. Vor allem Arbeiter aus dem Osten wurden systematisch diskriminiert. Die Rassengesetze der Nationalsozialisten waren die Grundlage dafür. Die Unterschiede erläuterte Schwenke anhand eines Speiseplans. Während deutsche Zwangsarbeiter das Wochenende frei bekamen und ihnen Suppe, Beilagen und Fleisch aufgetischt wurde, gab es für die Ostarbeiter nur wenig Kraut und Kartoffeln zu essen.
Unterlagen nach dem Krieg verloren
Wie der Alltag abgelaufen ist, darüber gibt es kaum Quellen oder Zeitzeugen. Die meisten Unterlagen aus dem Lager sind nach dem Krieg nicht mehr auffindbar gewesen. Ein Zeitzeuge, der heute noch lebt, ist Iwan Hont. 1943 ist der damals 14-Jährige aus Kiew nach Neuaubing verschleppt worden. Es folgten qualvolle Jahre voller Hunger und Fron. Die für 400 Menschen vorgesehenen Baracken waren mit 500 Menschen heillos überbelegt. „Wir hatten Hunger, aber wir starben nicht“, erinnerte sich Hont. Vor allem die Winter waren hart. Keine warme Kleidung und dünne Decken ließen die Menschen frieren. Es gab Schläge, willkürliche Strafen und Hinrichtungen. Trotz allem waren die Bedingungen längst nicht so unmenschlich wie in den Konzentrationslagern. Die Menschen konnten das Lager verlassen. Manchmal kamen Bürger, um sich Arbeiter für ihren Hof auszuleihen. Für Iwan Hont war das ein Fest. „Dann gab es Essen für uns.“
1947 wurde aus dem Zwangsarbeiterlager eine Flüchtlingsunterkunft für Sudetendeutsche. In den 50-er Jahre wurden die Gebäude als Eisenbahner- und Lehrlingswohnheim genutzt. Nach einer gewerblichen Nutzung des Areals in den 70-er Jahren zogen in den 80-er Jahre Künstler ein. Die Bausubstanz der Baracken blieb über die Jahre relativ unverändert. Vor allem eine Baracke war noch im Originalzustand. Sie wurde von der Stadt vorsichtig renoviert und soll jetzt das Herzstück des Ensembles werden. Der Innenraum kann leider nicht genutzt werden. Das Schimmelproblem muss noch gelöst werden.
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