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"Solange Eltern keinen Platz finden, muss mehr passieren!"

Ein Kita-Bummel über die Auer Dult mit Julika Sandt und Michael Piazolo

"Wir fuhren mit der Straßenbahn und waren spät dran", erinnert sich Julika Sandt an ihren ersten Kindergartentag, "meine Mutter war viel aufgeregter als ich und hatte vergessen, den Fahrschein zu lösen. Also stieg sie schnell noch einmal aus, da schlossen sich auch schon die Türen und die Tram fuhr mit mir allein weg ..." Jahre sind seither vergangen: Julika Sandt ist heute Landtagsabgeordnete, Michael Piazolo auch. Bei einem Bummel über die Auer Dult sprach Johannes Beetz mit beiden über die gegenwärtige Situation in Münchner Kitas und Schulen.

Bildung oder Bindung? Oder beides?

Johannes Beetz: Der Ausbau der Kita-Plätze geht voran, alle sprechen von der Bedeutung frühkindlicher Bildung. In der Kita meiner Kinder werden inzwischen nicht mehr Bilder gemalt, sondern "Reflexionsergebnisse dargestellt" - und keiner wundert sich. Zeigt das nicht, wie sich die Kita-Betreuung in Konzepten verliert, und kommt bei allem Bildungsdrang nicht der Blick auf etwas ebenso Wichtiges längst zu kurz: die familiäre Bindung?

Julika Sandt: Bindungen und Vertrauen sind mit Sicherheit Wichtigste für ein Kind. Als Politiker haben wir uns dennoch darum zu kümmern, dass Familien die Wahlfreiheit haben: Es soll niemand gezwungen werden, sein Kind in einer Kita abzugeben. Aber wenn jemand arbeiten muss und der Bedarf da ist, dann muss auch ein Kita-Platz für sein Kind vorhanden sein und die Qualität der Betreuung muss stimmen. Solange Eltern keinen Platz finden, muss mehr passieren!

Michael Piazolo: Wir brauchen genügend Kita-Plätze. Ich habe es oft erlebt, dass Eltern völlig verzweifelt sind. Man darf aber auch nicht diesen Doppeldruck ausüben, dass jeder sein Kind in eine Kita schicken und bis möglichst spät betreuen lassen muss.

Julika Sandt: Kinder müssen Kind sein und spielen können. Wir sollten sie aber auch darin unterstützen, wenn sie die Welt spielerisch und neugierig erforschen. Früher haben Kinder im Herbst Laub gesammelt und daraus Bilder gebastelt. Heute überlegen sie in der Kita: Warum färben sich die Blätter denn bunt? Warum fällt das Laub im Herbst ab? Das interessiert Kinder. Wenn Kinder neugierig sind, soll man darauf eingehen. Ich habe einmal erlebt, wie ein Kind seine Mama fragte: "Wo kommt der Regen her?" Es ist normal, dass man dazu nicht sofort eine Erklärung hat, aber diese Mama hat überhaupt nichts zu ihrem Kind gesagt. Das ist doch jammerschade! Bei allem Spaß und Spiel im Kindergarten halte ich auch die Sprachförderung für sehr wichtig, damit alle Kinder eine gerechte Chance bekommen.

Michael Piazolo: Spiel und Fantasie gehen in der Schule später oft verloren. In der Kita sollten Kinder nicht jeden Tag zu einem neuen Lernergebnis kommen müssen. Da müssen aber beide Seiten aufpassen: Eltern und Erzieher.

Jetzt folgt das Personalproblem

Johannes Beetz: In den letzten Jahren wurden viele Kita-Plätze geschaffen, jetzt bekommen wir ein Personalproblem: Die Kitas sind da, aber die Erzieher fehlen. Die Qualität der Betreuung, von der Sie sprechen, ist damit nicht zu erreichen.

Julika Sandt: Wir wollen eine gute Ausbildung der Erzieher und einen guten Personalschlüssel in den Kitas. Dafür haben wir beim Bildungsfinanzierungsgesetz viel Geld in die Hand genommen. Zu unseren Maßnahmen gehört u.a. eine  bessere Verzahnung der Kitas mit den Grundschulen etwa bei einer stärkeren Sprachförderung und das kostenfreie letzte Kindergartenjahr (das muss jetzt die Stadt umsetzen). Ab 2014 wird ein weiteres halbes Jahr kostenfrei.

Johannes Beetz: Mit dem Bildungsfinanzierungsgesetz im April hat die Staatsregierung die Forderung des - von den Freien Wählern initiierten - Volksbegehrens nach Abschaffung der Studiengebühren umgesetzt. Zugleich wurde geregelt, wie der finanzielle Verlust für die Unis ausgeglichen wird.

Julika Sandt: Ich hätte lieber mehr von diesem Geld unten, bei den Kitas ausgegeben, und nicht an der Spitze bei den Hochschulen. Wir haben mit dem Bildungsfinanzierungsgesetz aber unsere Hausaufgaben gemacht.

Michael Piazolo: Ich will über das Bildungsfinanzierungsgesetz nicht groß klagen. Wenn Geld ausgegeben wird, dann immer am liebsten im Bildungsbereich. Im Endeffekt war es ja ein Regierungsantrag, das Geld bei den Studierenden einzusetzen. Man darf die einzelnen Gruppen nicht gegeneinander ausspielen. Entscheidend ist: Bildungspolitik ist die Sozialpolitik für die Zukunft. Da liegen wir nicht so weit auseinander. Wir sind ja beide Bildungspolitiker.

Zu viel Stiefmütterlichkeit für private Initiativen

Johannes Beetz: Nicht nur in den Kitas gibt es Probleme. Münchens Schulen klagen über Sanierungsstau und Raumnot.

Michael Piazolo: Als Vertreter der Opposition tut man sich mit Kritik natürlich leicht. Mich wundert aber, dass man nicht rechtzeitig plant und es zum Beispiel in Neubaugebieten an Schulen fehlt. Es ist doch früh absehbar, für wie viele Kinder man Schulen braucht.

In München wird zu Recht auf Ganztagsschulen gesetzt, aber dadurch rücken Mittagsbetreuungen in den Hintergrund. Denen wird es schwer gemacht, da werden zu viele Hürden aufgebaut. Da hinkt die Stadtpolitik hinterher. Oft fehlt es dabei nicht einmal an Geld, sondern an Planung und gutem Willen: Eine zentrale Anmeldung für Kindergärten zum Beispiel müsste doch heutzutage längst machbar sein.

Julika Sandt: Bayern hat eine hohe  Dynamik beim Ausbau von Ganztagsschulen. Der Freistaat hat alle Anträge auf Ganztagsschulen genehmigt. Die Situation für die Münchner Schulen ist nicht einfach. Auf der einen Seite haben wir den Zuzug, auf der anderen den begrenzten Raum.

Ich verstehe allerdings nicht, dass die Stadt privaten Einrichtungen wie Kitas Steine in den Weg legt. Man müsste wegkommen von den extrem strengen Auflagen. Die Stadt behandelt alles an privaten Initiativen recht stiefmütterlich.

Michael Piazolo: Wir in Deutschland bauen bei privaten Initiativen viele Hürden auf. Ich hatte neulich einen Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland vorliegen. Mein Eindruck: Bei uns ist alles viel bürokratischer, wir sind sehr auf Sicherheit bedacht. In Frankreich gibt es viel mehr Tagesmütter, das läuft da wohl ganz gut. Man darf nicht alles zu locker sehen, aber Eltern haben in der Regel ein gutes Gespür dafür, was für ihre Kinder am besten ist.

Das Bauchgefühl zählt

Johannes Beetz: Sie sind beide Bildungspolitiker, waren aber auch einmal Kindergartenkinder. Welche Erinnerung haben Sie an diese Zeit?

Michael Piazolo: Ich erinnere mich ans Spielen und dass es eine angenehme Zeit war. Ich weiß, dass wir einmal ein kleines Theaterstück aufgeführt haben: die sieben Sängerlein. Ich stand das erste Mal auf der Bühne, wir standen der Größe nach nebeneinander, das war aufregend. Geblieben ist das Bauchgefühl, dass es eine schöne Zeit war.

Ihren ersten Kindergartentag hat auch Julika Sandt gut gemeistert. Sie fuhr damals in der Tram einfach bis zur Kita weiter, wo ihre Mutter sie wenig später überglücklich in die Arme schloss. Sie hatte ein Moped angehalten und sich voller Angst um ihre Tochter zur Kita fahren lassen. "Ich habe mich damals nur gewundert, warum sich alle solche Sorgen machten", erzählt Julika Sandt.

Julika Sandt ist Landtagsabgeordnete der FDP und Sprecherin ihrer Fraktion u.a. für Jugend, Kultur und Medien.

Prof. Michael Piazolo ist Landtagsabgeordneter der Freien Wähler und Sprecher seiner Fraktion für Hochschulpolitik und Kultur. Er ist der Generalsekretär der Freien Wähler Bayern.


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