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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
Markenkunst: Vom Siegel zum Etikett
Streifzug durch die Geschichte des Werbe-Designs
Begonnen hat alles mit dem Siegel. Schon die ersten Herrscher drückten damit ihren Machtanspruch aus und ließen die kleine Fläche entsprechend aussagekräftig gestalten. Der Siegellack auf Briefen hielt sich bis weit ins 19. Jahrhundert und wurde dann von gezackten Briefverschlussmarken aus Papier abgelöst. Apotheker verwendeten Etiketten auf ihren Gläsern und Schachteln, um Verwechslungen zu vermeiden. Produktverpackungen wurden Immer wirkungsvoller gestaltet. Heute werden Etiketten mit integrierten Funktionen hergestellt: Label verbinden Bauteile, tragen Batterien, isolieren, speichern Informationen oder Geldbeträge.
Im Gasteig ist vom 12. Dezember bis 19. Januar ein Streifzug durch die Geschichte der Markenkunst zu sehen. Die Ausstellungswände mit Vergrößerungen sowie Vitrinen im Foyer des Carl-Orff-Saals sind bei freiem Eintritt täglich von 8 bis 23 Uhr zugänglich.
Plakate im Kleinformat
"So eine Ausstellung hat es noch nie gegeben", betont Veranstalter Siegfried Michl. Initiiert hat er sie zu seinem ganz persönlichen "Geschäftsjubiläum": Seit 25 Jahren "handelt" er nun mit Werbe- bzw. Reklamemarken, früher auch Propagandamarken genannt. Das sind die erwähnten Briefverschlussmarken, die um das Jahr 1900 herum als Nachfolger des Siegels aus Siegellack oder Siegelmarken verwendet wurden. Sie waren etwa doppelt so groß wie Briefmarken, klebten auf der Rückseite der Briefe und wurden immer kunstvoller von Grafikern gestaltet. Auf ihnen wurde für öffentliche Einrichtungen, für Firmen oder Produkte geworben – die kleine bunte Marke stand für eine große Marke. Sie waren Werbeplakate im Kleinformat und wurden über die Tante-Emma-Läden als kostenlose Warenbeigaben unter die Leute gebracht oder für wenige Pfennige in Schreibwarengeschäften verkauft.
Sitz in Pasing
Die kleinen Zackenbilder waren bald so begehrt, dass der Verkaufserfolg für das beworbene Produkt vorprogrammiert war. Schätzungsweise sind allein in Deutschland bis 1914 etwa 100.000 verschiedene Reklamemarken erschienen. Zum Sammeln waren sie wie Briefmarken bestens geeignet, es gab dafür auch spezielle Alben, und Horden von Kindern befanden sich im Tausch-Rausch. Das Werbemedium verbreitete sich auch in die Nachbarländer und sogar bis in die USA. "Und von Pasing ging das alles aus", erzählt Siegfried Michl. Hier hatte die "Internationale Propagandamarken-Union" ihren Sitz. München war weltweit die Hochburg der Reklamemarken. Nach dem ersten Weltkrieg kamen meist nur noch Messemarken heraus. Reklamemarken werden heute auf Märkten und Börsen und über Auktionshäuser gehandelt. Sie sind nicht nur ein Fall für Sammler und Liebhaber, sondern definitiv auch ein Stück Kunst- und Kulturgeschichte.
Geld für die Armen
Doch zurück zu Siegfried Michls 25-jährigem "Geschäftsjubiläum": "Ich handle mit altem, bedrucktem Papier", erklärt der 78-Jährige, der in seinem früheren Erwerbsleben Anlageberater bei der Bayerischen Vereinsbank war. Das Schicksal brachte zwei Alben mit Reklamemarken zu ihm und er stellte fest, dass man mit dem Handel der Marken Geld verdienen kann. Das wollte er, und zwar keineswegs für sich selbst: Schon seit Jahrzehnten "erbettelt und erwirtschaftet" er große Summen, um sie für mildtätige und humanitäre Projekte zu spenden. Dazu angeregt hat ihn seine ehemalige Kollegin Anni Berger, die im Alter von 50 Jahren ihre Anstellung bei der Bank aufgab, um als Missionshelferin nach Südafrika zu gehen. Michl und seine Bankkollegen unterstützten Anni Bergers Arbeit mit großzügigen Geldtransfers. Auch heute noch ist Siegfried Michl dem Katholischen Missionswerk missio als Spender und Stifter verbunden.
Traditionsfirmen oft nicht interessiert
So war Michls ursprüngliche Idee, mit der Ausstellung über die "Markenkunst im Lauf der Geschichte" auch einen Erlös zu erwirtschaften, der dann an drei caritative Einrichtungen in München gespendet werden sollte. Doch mit dem Erlös sieht es nicht so gut aus. Michl hat etwa 150 Traditionsfirmen angeschrieben, deren historische Reklamemarken vergrößert ausgestellt werden sollen – immerhin eine schöne Werbung für das Haus und dessen Produkte von heute. Vor 16 Jahren gab es eine solche Ausstellung zuletzt in München, zum Jahreswechsel 1999/2000 in der Rathausgalerie. Damals stieß das Ansinnen von Siegfried Michl und Grafiker Hans Martin Müller noch häufig auf positive Resonanz: Viele Münchner Firmen waren gerne bereit, eine Teilnahmegebühr zu entrichten, um ihr Traditionsunternehmen in diesem Rahmen zu präsentieren. Diesmal bekommt Michl überwiegend Absagen: "Standardbriefe, in denen man mir und dem Projekt alles Gute wünscht."
Doch da gibt es noch den Schirmherrn, Helmut F. Schreiner, den Seniorchef der Schreiner Group. Das Familienunternehmen hat sich von der "Spezialfabrik für geprägte Siegelmarken und Etiketten" zu einer internationalen High-Tech-Druckerei für Etiketten- und Folienlösungen entwickelt und trägt seinen Teil zur Dokumentation der Geschichte der Markenkunst bei.
Eine Vernissage mit einführenden Vorträgen findet am 12. Dezember um 18 Uhr statt. Die Ausstellung "Markenkunst im Lauf der Geschichte" im Foyer im Gasteig läuft vom 12. Dezember 2015 bis 19. Januar 2016, täglich von 8 bis 23 Uhr, Eintritt frei.
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