Kühl schmelzende Verführung
Sarcletti: Eistradition am Rotkreuzplatz
Sarcletti am Rotkreuzplatz.
Anfänge
Die Anfänge des Sarcletti Eises gingen von der Parkstraße aus. Dort wurden etwa 70 Eiswägen bestückt, die ihre Standplätze vor den Biergärten der Stadt hatten. 1906 eröffnete der sesshaft gewordene Firmengründer sein erstes Eiscafé in der Sendlinger Straße. Ein Eispavillon im Ausstellungspark Theresienhöhe, der von seinen vier Söhnen Peter, Emanuel, Josef und Ludwig betrieben wurde, kam hinzu. 1908 hatte Peter Paul Sarcletti auch erstmalig einen Stand auf der Wiesn. Am Rotkreuzplatz, wo inzwischen Urenkel Michael wirkt, gibt es seit 1921 das gefrorene Gaumenvergnügen. Ludwig Sarcletti, einer von Peter Paul Sarclettis Söhnen und Michaels Großvater, hatte sich dort mit einem Kiosk selbständig gemacht – an der gleichen Stelle, an der sich heute noch das Eiscafé Sarcletti befindet. Weitere Verkaufskioske standen an der Blutenburg- und Pappenheimerstraße. Auch auf der Rennbahn Daglfing und auf allen großen Münchner Volksfesten war das Eis der Familie zu haben. 1932 wurde eine große Eisdiele am Färbergraben und 1936 eine weitere Eisdiele an der Reichenbachbrücke eröffnet. Dann kam der zweite Weltkrieg, und es wurde alles zerstört.
Vom Kiosk zum Eiscafé
1946 wurde der Kiosk am Rotkreuzplatz neu errichtet. Ludwig Sarcletti begann sofort nach dem Wiederaufbau, allerdings unter widrigen Umständen, mit der Eisproduktion und dem Verkauf. 1950 eröffnete er am Hauptbahnhof, dort wo heute das Hotel „Deutscher Kaiser“ steht, ein großes Eiscafé. Seine zwei Söhne, Robert und Ludwig, traten der Familientradition folgend in seine Fußstapfen. Robert Sarcletti machte ein Eiscafé in der Sporerstraße auf, das er mittlerweile altersbedingt aufgegeben hat, Ludwig Sarcletti übernahm den Eisverkauf am Rotkreuzplatz. Wenn man heute das Eiseck im Herzen von Neuhausen betritt, so hat man die Qual der Wahl zwischen 55 Sorten, darunter raffinierte Kompositionen wie Baci mit gerösteten Haselnussstückchen, Mozart mit Nougat und Marzipan, Tiramisu mit gebackenen und getränkten Bisquitböden oder Carapino mit Karamell und gerösteten Pinienkernen. Insgesamt bietet das Eiscafé sogar an die 70 Sorten, die aber nicht alle in der Theke Platz haben. Einige werden deshalb wöchentlich gewechselt. An Spitzentagen werden 500 bis 600 Liter Eis verkauft. Auch Diabetiker müssen sich den kühlen Genuss nicht verkneifen. Für sie werden vier verschiedene Geschmacksrichtungen hergestellt. Dazu kommen selbstgemachte Kuchen und Torten sowie mittags verschiedene Nudelgerichte und süße Hauptspeisen. 15 feste Mitarbeiter, darunter fünf Konditoren, sind bei Sarcletti beschäftigt. Dazu kommen nochmals bis zu 15 Saisonkräfte, die im Sommer aushelfen, meist Schüler und Studenten.
Michael Sarcletti
Seit 1998 führt Michael Sarcletti den Betrieb. Er hatte nach dem Abitur Konditor bei Widmann in Großhadern gelernt, war dann einige Zeit im Café Luitpold angestellt und hatte schließlich auf der Meisterschule seinen Konditormeister gemacht. Bevor er die Eisdiele übernahm, war er ab 1996 schon als Geschäftsführer im elterlichen Unternehmen tätig. „Eine Kopfentscheidung im Hinblick auf das vorhandene Geschäft“, beschreibt er seinen Werdegang. „Konditor war am Anfang überhaupt nicht meine Sache“. Seine Begabung und sein Interesse habe eigentlich eher im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich gelegen. Im Nachhinein habe sich sein Weg aber als richtig erwiesen, fügt er hinzu. Die Produktionsräume befinden sich im Keller des Gebäudes, direkt unter dem Café. Das war nicht immer so. Als noch der Kiosk stand, gab es nur einen winzigen Raum für die Eisherstellung vor Ort. Daher wurde die Grundmasse damals in der Tizianstraße zubereitet, wo Großvater und Vater wohnten. Im dortigen Eiskeller, erzählt Michael Sarcletti, sei das Milcheis auf 95 Grad erhitzt, pasteurisiert und wieder schnell auf vier Grad abgekühlt worden. Anschließend sei die in Kannen befindliche Grundmasse im Auto zum Rotkreuzplatz transportiert worden, wo das Eis im winzigen Keller auf Minus 18 Grad gefroren wurde. Durch eine Luke sei es dann noch oben in den Verkaufsraum gereicht worden. In den 70er Jahren wurde an der Stelle, auf der der Kiosk stand, ein Wohnhaus gebaut. Im Erdgeschoss wurden Räume für das Eiscafé geschaffen, das Ludwig Sarcletti gemeinsam mit seiner Frau Leopoldine führte. Auch die Betriebsräume im Keller waren nun groß genug, um die ganze Produktion am Rotkreuzplatz unterzubringen. Inzwischen seien sie aber fast schon wieder zu klein, merkt der Inhaber an. Der Laden sei zwar Eigentum, doch die schlechte Bauweise des Hauses ziehe gigantische Nebenkosten nach sich, fügt er hinzu.
Ludwig und Leopoldine Sarcletti
Er und seine Schwester seien als Kinder nie in das Geschäft eingespannt worden. Beim Vater habe das anders ausgesehen. Schon als 12-jähriger habe Ludwig Sarcletti bei der Eisproduktion mitgeholfen, weiß sein Sohn aus dessen Erzählungen. Damals sei das harte körperliche Arbeit gewesen. Man habe die 20-Liter-Milchkannen herumschleppen müssen, und das offene System der älteren Maschinen mit der senkrechten Trommel, in denen man mit einem Spatel hantierte, habe Übung verlangt. Die modernen Eismaschinen heute besitzen ein geschlossenes System mit einer waagrechten Trommel. Einige Eissorten macht Michael Sarcletti aber noch in den älteren offenen Maschinen, Stracciatella-Eis zum Beispiel. „Das wird dari einfach besser“, sagt er. Die flüssige Schokolade werde in die Maschine gegossen, gefroren und dann in kleine Stückchen zerteilt. Bei den geschlossenen Maschinen könne man nicht sehen, wann die Schokostücke die richtige Größe erreicht hätten. Die Grundrezepte hätten sich seit den 50er Jahren nicht viel verändert. „Man versucht zu optimieren, aber es ist nicht so, dass man etwas völlig Anderes macht.“ Lange Jahre war Leopoldine Sarcletti die „Seele des Geschäfts“. „Meine Mutter war Chefin im Laden und für den Verkauf zuständig, mein Vater für die Produktion und den kaufmännischen Bereich. Als ich das Geschäft übernommen habe, hat sie anfangs immer noch hereingeschaut“, berichtet Michael Sarcletti. Seiner Mutter sei das Aufhören deutlich schwerer gefallen als dem Vater. Während der Urlaubszeit helfe ihm der Vater aber auch heute noch bei den Büroarbeiten. Vor etwa 20 Jahren hat Ludwig Sarcletti seinen Eisstand auf der Wiesn aufgegeben. „Es war ein großer Aufwand. Man war schon geschafft von der Saison und musste dann noch mal ran“, erinnert sich der Sohn. Die Verkaufsbude sei irgendwann ziemlich renovierungsbedürftig gewesen, und der Vater hätte neu investieren müssen. Da habe er sich entschlossen, das Wiesngeschäft einzustellen. Heute gebe es zwar auch einen Sarcletti auf dem Oktoberfest, das sei jedoch ein Ableger aus einem anderen Zweig der Familie.
Ausblick
Wie früher seine Mutter, so arbeitet jetzt Michael Sarclettis Frau Gabi im Laden mit. Dreimal in der Woche ist sie im Café anzutreffen. Und die 13-jährige Tochter Katharina schaut auch manchmal herein – allerdings nur um ein Eis zu schlecken. Über eine Nachfolge hat sich der Inhaber noch keine allzu großen Gedanken gemacht, schließlich ist er noch nicht mal Mitte 40. Falls kein Nachfolger aus der Familie da sein sollte, müsse man halt schauen, ob man jemanden finde, der das Geschäft in der bewährten Qualität weiterführe, meint er. Vom italienischen Urgroßvater sind der Name und die Profession geblieben. Der Großvater und die nachfolgenden Generationen wurden in der bayerischen Landeshauptstadt geboren. Insofern sind die Sarclettis etwas Besonderes – nämlich eine Münchner Familie, die seit über 125 Jahren den Sommer in der Stadt mit einer kühl schmelzenden Verführung bereichert.
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