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Rubrik: Gesamt · Stadtteil: München
Weitab von jeder Verkehrsanbindung
Stadtteilhistoriker Dr. Walter Demmel berichtet über die Waldkolonie
„Mit dem wiederholten Nein von Stadt und Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) will sich der Bezirksausschuss nicht abfinden. Er fordert nach wie vor die bessere Anbindung der Waldkolonie an öffentliche Verkehrsmittel, so wie es auch die Bürgerversammlung beschlossen hatte“, schrieb die SZ am 27.04.2012. Mehrere Anträge und Berichte folgten 2013 und heute sind wir noch auf dem Stand von vorgestern. Dem interessierten Besucher dieser Siedlung (Bild 1) wird schnell klar, dass sie am schnellsten mit dem Auto, von Untermenzing östlich der Bahnlinie aber besser mit dem Fahrrad oder, wenn er sportlich gehen kann, auch gut zu Fuß erreichbar ist – aber nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Meine vergangenen Besuche, per Rad und zu Fuß, galten dem jetzigen Jugendtreff und früheren HJ-Heim in der unmittelbar benachbarten Hausmannsiedlung und führten mich immer wieder durch die Spiegelberg-, Lister- und Peter-Müller-Straße. Über das HJ-Heim gibt es bereits einen Artikel (Werbe-Spiegel 30.11.2011), ebenso über die Peter-Müller-Straße (Werbe-Spiegel 20.04.2011), die Geschichte der Waldkolonie mit der „Allacher Alm“ und dem Splitterbunker lässt bis heute ebenso auf sich warten wie die Geschichte des „Bauern in der Au“. Die heute immer noch aktuelle Diskussion um die Verkehrsanbindung und die intensiven Auseinandersetzungen um das geplante Giftgaslager an der Ludwigsfelder Straße 160 führten mich per Rad wiederholt in die Gegend.
Eine erste Spur zur Geschichte der Waldkolonie fand ich aber noch zu Hause in Rudolphs Stadtteilbuch (S.79): „Zwischen 1909 und 1911 entstand beim und in den Allacher Forst hinein für die Arbeiter der Firma Krautheim eine erste Wohnkolonie.“ Diese Wohnkolonie befand sich im heutigen Geviert Lister-, Spiegelberg-, Descartes- und Peter-Müller-Straße. Bild 2 zeigt 1920 bereits die Erweiterung von „Sachsenhausen“ nach Westen, Norden und Osten. Von den damaligen Häusern sind heute die meisten umgebaut, nur einige lassen noch das ursprüngliche Erscheinungsbild der damaligen Siedlungshäuser erkennen.
Zur Bayerischen Stahlformgießerei Krautheim & Co. sei nur so viel gesagt, dass sie mit mechanischer Werkstätte von dem Allacher Hütteningenieur Peter Müller von 1907 bis 1911 eingerichtet und geleitet wurde. Krautheim, der in Chemnitz das größte sächsische Stahlwerk betrieb, eröffnete im Jahre 1907 östlich des Allacher Bahnhofs ein Zweigwerk und brachte die benötigten Facharbeiter – Kernmacher, Former, Gießer – gleich aus Sachsen mit. Ländliches, traditionsbewusstes Gedankengut in Allach sah sich nun technischem, industriellem Fortschrittsdenken aus Chemnitz gegenüber. Volkstümlicher ausgedruckt könnte man auch sagen: Eingefleischten Bayern standen "Zuag'roaste" gegenüber, die eine ganz andere Lebensauffassung hatten. Das brachten auch die Gründer der „Freien Turnerschaft Allach“ im Jahr 1909 zum Ausdruck, indem die Einheimischen, die in der Minderzahl waren, angeblich sagten: „Den Verein ham’ mia Deitsche und d’ Sachs’n gründ’t.“ 1922 stellte dann die Gemeinde Allach dem Verein pachtweise ein Grundstück an der „Allacher Alm“ am nördlichen Rande der Waldkolonie zur Verfügung, das bis 1938 die Heimat der Fußballer blieb. Der Verein nannte sich ab 1924 F.C. Allach.
In einem Allacher „Fuaßboigedicht“ von Hermann Rassinger heißt es: „Auf geht’s zur Alm! Jeds Wochenend! Da ham ab jetzt de Schuahsoin brennt. Bis achtedreißige spuit ma dort, dann muaß ma leider vo dort furt, weil d’Gmoa do infrastrukturell was Neies bau’n wui, auf de Schnell.“
Laut Protokollbuch der Gemeinde Allach beantragte der Inhaber der Naßlwirtschaft in Allach, Josef Naßl, im Jahr 1908 eine Waldschenke (Bild 3 1934), „Allacher Alm“ genannt, weil mit dem Bau der Waldkolonie für die sächsischen Gießereiarbeiter der Firma Krautheim sich ein neuer Bedarf ankündigte. Ende der Dreißigerjahre wurde die Alm durch einen Gleisbau der Reichsbahn von Norden her eingeengt und damit auch für die Fußballer uninteressant. Abgerissen wurde die auch als Wochenendtanz- und Musiklokal bekannte Wirtschaft – es spielte dort der in der Nachbarschaft der Rueßstraße, damals Parkstraße, bekannte Herr Raab – nach Auskunft von ehemaligen Anwohnern und Besuchern in den Sechzigerjahren. Das genaue Abrissjahr wartet noch auf Klärung.
Noch aus den Fünfzigerjahren stammt folgende Werbung (Bild 5), aus der die genaue Anschrift, die in einem Ausschnitt aus dem damaligen Stadtplan (Bild 4) zu sehen ist, hervorgeht. Merkwürdigerweise wirbt dort auch der „Ottohof“ in Untermenzing.
Eine besondere Rolle spielte bei den Nachforschungen jedoch der „Bauer in der Au“. Erst nach langwierigen Recherchen war festzustellen, dass die Angermeiersche „Waldrestauration zum Bauern in der Au“ ab Herbst 1904 auf einem 500 qm großen Grundstück als Almhütte mit Bierschänke und Kiesplatz, auf weiteren 13.000 qm als Waldung mit Biergarten angesiedelt war (Bild 6).
Der östliche Teil der heutigen Streberstraße verläuft mitten durch das ehemalige Grundstück Nr. 1312 (Bild 7, das große Dreieck), das nach Abbruch der Wirtschaft 1928 nach und nach bebaut wurde. Das Bild zeigt unter vielen Bäumen zwei rot markierte Gebäude des Bauern in der Au. Diese Wirtschaft ist aus der Erinnerung aller befragten Allacher, ja sogar der „Waldkolonisten“ verschwunden und wurde deshalb mühevoll von Dr. Rudolph und mir wieder „ausgegraben“.
Die Bewohner der Waldkolonie aber sollten sich um eine neue Alm mit dem schönen Namen „Allacher Morgenröte“ umsehen. Die zunehmende Besucherzahl könnte vielleicht die MVG veranlassen, die Waldkolonie doch noch an das öffentliche Verkehrsnetz anzuschließen – schließlich geht es dann um kommerzielle Interessen.
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