Kleine Helden
Jahresausstellung in der Internationalen Jugendbibliothek
Es schwirrt, zirpt, brummt und summt in der Jahresausstellung der Internationalen Jugendbibliothek auf Schloss Blutenburg – Insekten und Spinnen sind in die Säle des Hauses gekrochen. Noch bis Oktober widmet sich die Bücherei unter dem Motto "Summende Staatenbauer und pikende Plagegeister" dem Auftritt der Tierchen in Kinder- und Jugendbüchern. Die Kleinen sind in der Literatur nämlich ganz groß: Sie schweben durch Sagen und Mythen, entspinnen sich in Romanen, krabbeln durch Gedichte, flattern durch Erzählungen, kribbeln in Sachbüchern oder lauern in Krimis.
"Wir haben bereits vor einigen Jahren die Idee zu einer solchen Schau gehabt", erklärt Kurator Jochen Weber. "Dass Bienensterben und Insektenschwund heute eine so große Rolle in gesellschaftlicher und politischer Debatte spielen würden, wussten wir damals noch nicht – wir hoffen aber, die Themen durch unsere Ausstellung zusätzlich in den Fokus zu rücken." Insekten und Spinnen seien alte Figuren der Kinderliteratur, "es gibt sehr viele entsprechende Bücher". In der Bibliothek sind Erzählungen aus unterschiedlichsten Ländern zu finden, darunter bekannte Klassiker wie die "Biene Maja" aus Waldemar Bonsels Roman oder die "kleine Raupe Nimmersatt" von Eric Carle. Dazu kommen Besucher, die vor allem in ihren Heimatländern Stars sind: die lustige Fliege Astrid aus Schweden, die trickreiche Spinne Anansi aus Westafrika oder eine diktatorische Kakerlake aus Russland, die heute schon einmal einen Vergleich mit Stalin aushalten muss.
"Faszination bis Ekel"
Die Beziehung des Menschen zu den Tieren ist voll des Widerspruchs. "Wir haben eine große Bandbreite der Insekten-Wahrnehmung", erklärt Weber. "Das geht von Faszination einerseits bis Ekel und Abscheu andererseits." In vielen Veröffentlichungen sind die Rollen eindeutig positiv oder negativ besetzt: Die Krabbler erscheinen als weise Schöpfer, Helfertiere, kluge Baumeister, Musikanten oder Verwandlungskünstler. Oder sie sind entsetzliche Nervensägen, ein überwältigender Schwarm Bösewichter, gerissene Manipulatoren.
"Wir zeigen in der Ausstellung in mehreren Vitrinen und unterschiedlichen Abschnitten die Perspektiven, aus denen Insekten betrachtet werden können," sagt Weber. "Wir beleuchten den naturwissenschaftlichen Zugang, erklären, dass Insekten in manchen Kulturen als Delikatesse gelten und stellen die Entwicklung, das Werden der Tiere dar – die Raupe wird zum Schmetterling." Außerdem gibt es Krabbeltier-Lyrik oder eine Auswahl an Fabeln zu lesen, die Bauten der Tiere sind genauso Thema wie ihre sozialen Strukturen. Weber: "In vielen Büchern spiegelt der Autor die menschliche Gesellschaft in der Insektengesellschaft, Tiere haben, wie der Mensch, bestimmte Charaktereigenschaften." Die Figuren dienen dazu, moralische oder gesellschaftliche Fragen zu klären. Herrschaftsformen und Werte werden angesprochen.
Unverzichtbar für das Leben
"Biene Maja ist das glänzende Beispiel eines monarchisch organisierten Staates," erläutert Weber. "Viele Experten werfen dem Buch sogar vor, einen nationalen und völkischen Ansatz zu verfolgen." Über "Insekten als Staatenbauer" spricht auch Niels Werber am Montag, 12. März, in seinem Vortrag im Zuge der Schau. Von 19 Uhr an geht es um das "zoon politikon" in der Kinder- und Jugendliteratur. Aristoteles hat den Menschen als "politisches Tier" bezeichnet – eine These, die Literatur- und Kulturwissenschaftler Werber aufgreift. Er referiert über die Beschreibung der Lebensformen von Insekten seit der Antike: Ameisen als republikanische Tiere, Bienen als Modellarbeiter in Logistik und Haushaltung, Arbeitsteilung und Organisation.
Zur Ausstellung bietet die Internationale Jugendbibliothek ein Begleitprogramm an: Für Schulklassen gibt es Workshops. Die Kids erfahren von originellen und innovativen Sachbüchern, die vor allem eines zeigen: Insekten und Spinnen sind unverzichtbar für das Leben auf der Erde – völlig unabhängig davon, wie wir sie empfinden. Natur und Menschen sind abhängig von den kleinen Helden, die unsere Welt am Laufen halten.
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